Harburg. Die Erwartungen an der Harburger Schloßstraße wurden übertroffen. Welche Funde es gibt und warum die Arbeiten jetzt verlängert werden.

Tiefer sind Archäologen in die Harburger Stadtgeschichte nie eingedrungen: Bei der Grabung am nördlichen Ende der Harburger Schloßstraße laufen mittlerweile Pumpen, die das Grundwasser absenken. Dadurch können einen halben Meter tiefer als zunächst geplant noch ältere Bodenschichten und Relikte erschlossen werden.

Sie erzählen vom mittelalterlichen Harburg des 14./15. Jahrhunderts. Das Grundstück im Harburger Binnenhafen, an der Ecke Kanalplatz/Harburger Schloßstraße, liegt in unmittelbarer Nähe zum ehemaligen Schloss, also im ältesten Bereich der einst selbstständigen Stadt Harburg.

Harburger Binnenhafen: Archäologen dürfen aus Sicherheitsgründen nicht tiefer graben

„Die Grundwasserabsenkung ist sehr teuer. Wir arbeiten jetzt 80 Zentimeter über NN, also über dem Grundwasserspiegel. Weiter nach unten dürfen wir nicht graben, um die Stabilität der Gruben nicht zu gefährden“, sagt Grabungsleiter Martin Eckert. „Wir haben uns mit den Untersuchungen beeilt und schütten die tieferen Suchschnitte jetzt gleich wieder zu.“

Bis auf die ursprüngliche Solltiefe von 1,30 Meter über NN, in der nicht gepumpt werden muss. Im Bereich der Maximaltiefe suchen die Archäologen vor allem nach Holzresten. Sie sind in der dortigen Torfschicht gut erhalten geblieben. Mit ihnen lassen sich die Schichten datieren, was vor allem Aufschluss über die damalige Siedlungsstruktur gibt.

Funde: Torfschichten enthalten 600 Jahre alte Alltagsgegenstände

Nicht nur Holz aus dem 14./15. Jahrhundert, auch Alltagsgegenstände hat das zehnköpfige Archäologenteam bereits ausgegraben. Denn die Torfschichten sind kein ursprünglicher Boden, sondern Wurten: aufgeschüttete Erdhügel, mit denen sich die ersten Siedler gegen das Hochwasser der Elbe schützten. Auf jeder Wurt stand ein Haus.

Eckert: „Die Torfschichten sind durchsetzt mit recht mächtigen Kleischichten, die den Untergrund gegen das Wasser abdichteten. In die Wurten wurde viel reingeschmissen. Wir finden spätmittelalterliche Keramik, kaputte Tafelmesser, Gürtelschnallen, spitz zulaufende Schuhe, wie sie im Mittelalter Mode waren. Sogar Kinderschuhe.“

Schuhmode aus dem Mittelalter: Diese rund 600 Jahre alten ledernen Sohlen, auch von Kinderschuhen, haben sich in den Torfschichten gut erhalten.
Schuhmode aus dem Mittelalter: Diese rund 600 Jahre alten ledernen Sohlen, auch von Kinderschuhen, haben sich in den Torfschichten gut erhalten. © Angelika Hillmer | Angelika Hillmer

Harburger Grabungsergebnisse übertreffen Erwartungen der Fachleute

Die Grabung erfolgt unter der Regie des Archäologischen Museum Hamburg und Stadtmuseum Harburg. Schon im Dezember freute sich dessen Direktor Prof. Rainer Maria Weiß über die zahlreichen Funde, die seit Grabungsbeginn im Juli 2023 zutage gefördert wurden. „Schon der bis jetzt erreichte Erkenntnisstand ist außerordentlich hoch einzuschätzen und übertrifft unsere Erwartungen“, sagte er damals. Gerade hatten die Forscher Grundstücksgrenzen und damit die Siedlungsstruktur im 16. Jahrhundert freigelegt. Und außerdem neue Erkenntnisse zu dem ehemaligen Gaststätten-Standort gesammelt.

Bis 1965 stand an der heutigen Straßenecke Schloßstraße/Kanalplatz der Gasthof „Weißer Schwan“. Er konnte bislang sicher bis auf das Jahr 1819 zurückgeführt werden. Historische Quellen sprachen davon, dass dort sogar schon 1725 ein Gastwirt, Eberhardt Rönneborg, seine Dienste anbot. Tatsächlich stießen die Archäologen auf die Fundamente eines Vorgängerbaus vom „Weißen Schwan“, der zwischen 1695 und 1709 errichtet worden sein muss. Die Datierung gelang durch einen archäologischen Glücksfall: Im Bereich der massiven Feldsteinfundamente des Gebäudes fand sich eine Silbermünze des dänischen Königs Christian V. von 1695 sowie Keramik, vor allem friesische Fayence, aus derselben Zeit.

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Inzwischen hat das Grabungsteam das 17./18. Jahrhundert weit hinter sich gelassen. „Wir haben jetzt die Brandschicht von 1396 freigelegt“, sagt Eckert. „Weiter wird es wohl nicht gehen.“ Zwar reicht die Siedlungsgeschichte der Stadt Harburg bis ins 11./12. Jahrhundert zurück, doch die ersten Häuseransammlungen haben sich noch weiter nördlich von der heutigen Grabungsstätte befunden, so Eckert: „Sie wurden, ebenso wie die erste Kirche, die Marienkirche, um 1650 abgerissen, als das Schloss zur Festung umgebaut wurde.“ Heute befindet sich dort der Lotsekanal.

Noch bleibt eine wichtige Frage zur Siedlungsstruktur zu klären

In dem blauen Baucontainer hinter den weißen Zelten befinden sich drei Büroarbeitsplätze. Hier sitzt Grabungstechniker Thomas Hepfer hinter den Bildschirmen.
In dem blauen Baucontainer hinter den weißen Zelten befinden sich drei Büroarbeitsplätze. Hier sitzt Grabungstechniker Thomas Hepfer hinter den Bildschirmen. © Angelika Hillmer | Angelika Hillmer

Wie weit die Zeitreise in Harburgs Stadtgeschichte reichen wird, lässt sich später, in der Auswertungsphase, an den Altersbestimmung der geborgenen Hölzer erkennen. Sie erfolgt in Lübeck anhand der im Holz vorhandenen Jahresringe. Ein wichtiges Ziel der Grabung sind neue Erkenntnisse zur Siedlungsstruktur im 14./15. Jahrhundert. Bislang wurde ersichtlich, dass sich unter dem späteren Gebäude des Gasthofs „Zum weißen Schwan“ im Mittelalter mindestens zwei, vielleicht sogar drei schmale Parzellen im Handtuchformat befanden. Ob es zwei oder drei waren, lässt sich jedoch nur klären, wenn der Steg zwischen den Zelten abgebaut wird.

Harburger Grabung: Ende April werden die Zelte abgebaut, und das Finale beginnt

Um dem wissenschaftlichen Rätsel auf die Spur zu kommen, wird die Grabung um einen Monat verlängert, bis Ende Mai. „Wir haben sparsam gewirtschaftet. Deshalb ist noch etwas Geld für die Verlängerung übrig“, sagt Eckert. „Wir wollen den Steg zwischen den Grabungsbereichen entfernen, um zu sehen, ob sich dort eine dritte Wurt verbirgt.“

Beim Aufbau der Zelte im Juni 2023 ist der Mittelsteg zwischen den beiden Grabungsfeldern gut zu erkennen.
Beim Aufbau der Zelte im Juni 2023 ist der Mittelsteg zwischen den beiden Grabungsfeldern gut zu erkennen. © Hillmer/HA | Angelika Hillmer

Ende April sollen die großen weißen Zelte abgebaut werden. Dann ist der Steg, auf dem sie standen, zugänglich und die Archäologen werden sich vier Wochen lang dieser noch offenen Frage zur Siedlungsstruktur widmen können. Danach sind dem „Weißen Schwan“ alle archäologisch erschließbaren Geheimnisse entlockt. Und die Harburger Stadtgeschichte um viele Fakten reicher.