Harburg. Archäologen suchen auf Grundstück des früheren Gasthauses „Weißer Schwan“ nach Spuren des mittelalterlichen Harburg
Voraussichtlich im April wird eine weitere große Grabung auf einem Baufeld an der Harburger Schloßstraße starten, um im Binnenhafen historische Schätze aus dem mittelalterlichen Harburg zu Tage zu fördern: Ein zehnköpfiges Team untersucht dann etwa ein Jahr lang tiefer gelegene Erdschichten des Eckgrundstücks zum Kanalplatz – dort, wo einst das stattliche Gasthaus „Weißer Schwan“ stand, das zu den renommiertesten Hotels in Harburg zählte. Es war im Zweiten Weltkrieg stark beschädigt, dennoch in den 1950er-Jahren weiter genutzt und 1965 abgerissen worden.
„Wir hatten dort im Jahr 2001 schon gegraben“, sagt Kay-Peter Suchowa vom Archäologischen Museum Hamburg (AMH). „Damals sind wir unter Leitung meines Kollegen Mustafa Altun bis zu einer Tiefe von 1,60 Meter gekommen. Dann mussten wir abbrechen, weil das Grundwasser zu hoch stand.“ Offenbar schafft eine durchlässige Sandschicht eine Verbindung zum nahe gelegenen Lotsekanal, so dass die Forschungsstätte mit einem Wasserproblem zu kämpfen hatte. Die Gruben wurden mit Sand aufgefüllt, das Grundstück sich selbst überlassen.
Schloßstraße ist die älteste Straße Harburgs
Zwei Jahrzehnte lang herrschte dort Wildwuchs, die ersten Bäume wurden groß. Die bezirkliche Planung sieht an dem Standort Wohnungsbau vor. Zuvor müssen jedoch die wissenschaftlichen Untersuchungen des Untergrunds abgeschlossen werden. Schließlich handelt es sich um einen Ort, an dem reichhaltige archäologische Funde zu erwarten sind. Suchowa: „Die Schloßstraße ist die älteste Straße Harburgs. Das Grundstück steht in unmittelbarer Hafennähe. Das lässt auf Funde hoffen, die Handelsbeziehungen dokumentieren.“
Außerdem stand das Gebäude in unmittelbarer Nähe zum alten Rathaus aus dem 16. Jahrhundert und zur sternförmigen Festung. In dieser unmittelbaren Nähe zur Macht sei mit „gehobenem Fundgut“ zu rechnen, so der Archäologe. Dazu trägt auch der Gasthof bei. 1806 wurde dort sogar der Leichnam des Herzogs von Braunschweig aufgebahrt, und 1846 nächtigte König Ernst August von Hannover im „Weißen Schwan“. Zu erwarten seien Scherben von Porzellan aus China und von niederländischen Fayencen (kunsthandwerklich hergestellte Keramiken).
Er hoffe auf Erkenntnisse, wann das Gebäude zum Gasthof wurde, so Suchowa: „Der Weiße Schwan wurde erstmals in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts erwähnt. Aber schon im 17. Jahrhundert gab es entlang der Schloßstraße ein traufständiges Gebäude. Eine ältere gastronomische Nutzung wäre relativ gut erkennbar an Überresten von Trinkgeschirr, etwa Bierkrügen.“
Häuser des 12. oder 13. Jahrhunderts standen auf Holzpfählen
Möglicherweise werden die Archäologen auf eine noch viel ältere Siedlungsgeschichte stoßen. Häuser des 12. oder 13. Jahrhunderts standen auf Holzpfählen. Anhand von Überresten lässt sich das Alter des verwendeten Holzes bestimmen. Auch Zeiträume, in denen das Grundstück möglicherweise brach lag (so zeigt es der Merianstich von 1654), lassen sich auf diese Weise dokumentieren. „Solche Grundstücke wurden schnell von Pioniergehölzen wie Birken besiedelt. Bei der erneuten Bebauung wurden die Bäume abgesägt, aber oft blieben Stubben und Wurzeln im Boden, deren Alter wir bestimmen können“, erläutert Suchowa.
Weitere interessante Fundstücke sind Pilgerzeichen. Sie stammen hauptsächlich aus dem 14. und 15. Jahrhundert und wurden von Pilgern als Abzeichen an Kleidung oder Hüten getragen. Die Zeichen aus einer Zinn-Blei-Legierung tragen das Signet der jeweiligen Pilgerstätten – das berühmteste ist das Muschel-Symbol des Jakobswegs nach Santiago de Compostela. Auch Hamburg und verschiedene imposante Kirchen in Norddeutschland hatten eigene Pilgerzeichen. Viele von ihnen tauchten bereits bei älteren Grabungen auf. Suchowa: „Entlang der Harburger Schloßstraße wurden die zweitmeisten Pilgerzeichen in Deutschland gefunden. Nach Stade.“
Stadt wird die Hälfte der Grabungskosten in Höhe von 870.000 Euro übernehmen
Bevor die aktuellen Arbeiten starten können, müssen zwei Tiefbauunternehmen zunächst die Grabungsstätte trockenlegen. Sie werden Spundwände setzen, mit Pumpen den Grundwasserspiegel absenken, den aufgefüllten Sand bis auf eine Tiefe von 1,60 Meter abtragen. Bis zu den Erdschichten des 15./16. Jahrhunderts. Von dort wird auf einer Fläche von 480 Quadratmetern, unterteilt in vier Felder, weitergegraben: Zwei Archäologen, eine Dokumentarin, fünf Grabungsarbeiter und zwei studentische Hilfskräfte – alle vom AMH angestellt – werden sich auf die Suche nach historischen Spuren begeben.
Dass die Grabungen jetzt starten, obwohl auf der Fläche noch kein konkretes Bauprojekt geplant ist, liegt an der Teilfinanzierung über das Stadtteilentwicklungs-Programm RISE: Im Rahmen eines eigentlich schon abgeschlossenen RISE-Projekts im Harburger Binnenhafen mit dem Schwerpunkt „Städtebaulicher Denkmalschutz“ war zugesagt, dass die Stadt die Hälfte der Grabungskosten in Höhe von 870.000 Euro übernehmen wird. Dieses Geld muss nun abgerufen und verwendet werden. Wie es nach der Grabung weitergeht, ist nach Aussagen des Bezirksamts noch unklar: „Ob die Fläche öffentlich ausgeschrieben wird oder gemeinsam mit dem Nachbargrundstück für Zwecke der Wissenschaftsbehörde bebaut wird, steht noch nicht fest.“
Kay-Peter Suchowa freut sich erst einmal auf weitere Erkenntnisse zur Geschichte Harburgs. In den vergangenen Jahren hat er die Ausgrabungen zur legendären Hammaburg und der Neuen Burg, den Keimzellen Hamburgs, geleitet. Doch an der Harburger Schloßstraße hängt sein Herz. Sie sei sein Steckenpferd, ebenso die Gasthof-Archäologie und die Pilgerzeichen. Verglichen mit den Grabungen in der Hamburger Altstadt seien die Harburger Grabungen „auf jeden Fall gleichwertig. Die Vielfalt der Funde ist etwas Besonderes, oft haben wir ein Fundstück in die Hand genommen und gerätselt, was das wohl war.“
Nirgends so viele Waffen und Rüstungsteile gefunden wie hier
Er habe noch nirgends so viele Waffen und Rüstungsteile gefunden wie entlang der Harburger Schloßstraße, sagt Suchowa. Außerdem habe es weniger Brände als nördlich der Elbe gegeben, durch die viel Material vernichtet worden sei. Auch Archivmaterial. Dagegen war die Harburger Geschichte in Hannover eingelagert. Vieles sei erhalten und die Stadtgeschichte deshalb relativ gut dokumentiert.
Auch nach dieser Ausgrabung wird im Binnenhafen weiter archäologisch geforscht werden. Die Grundstücke an der Harburger Schloßstraße, am Kanalplatz und auf der Schlossinsel liegen in Grabungsschutzgebieten. Auf diesen Flächen sind bereits archäologische Gegenstände nachgewiesen worden, oder sie werden dort vermutet. Für alle gilt: Vor einer Bebauung stehen wissenschaftliche Ausgrabungen an. „Wir haben hier noch viel zu tun“, sagt Kay-Peter Suchowa.