Harburg. Revierförster Gido Hollmichel setzt auf natürliche Prozesse im örtlichen Erholungswald. Und blickt in eine unsichere Zukunft.
Der viele Regen hat auch etwas Gutes: „Mittlerweile hat sich die Wassersituation hier im Waldboden relativ gut regeneriert“, sagt Gido Hollmichel, Revierförster in Hausbruch. Hamburgs dienstältester Förster hatte 1999 alle Hamburger Stadtwälder als ersten deutschen Wald mit dem Öko-Standard FSC zertifizieren lassen. Anlässlich des 25-jährigen Bestehens des FSC führt er nun knapp 40 Teilnehmer einer Fachtagung durch „seinen“ Wald.
Heute helfen hohe ökologische Standards den Förstern bei der Personalsuche, sagt Hollmichel – es werde immer schwieriger, Personal zu akquirieren. Dabei werden die Aufgaben der Revierförstereien nicht weniger, im Gegenteil: Zur Gratwanderung zwischen forstlicher Nutzung, Naturschutz und Erholungswald kommt die Herausforderung des Klimawandels. Etwa in Form vieler trockener Sommer in den zurückliegenden Jahren.
Harburg: Der Wald hat mehrere Stockwerke bekommen, vom Kraut bis zum Kronendach
Als er 1990 Revierleiter in Hausbruch geworden war, habe im Waldgebiet Haake eine „einschichtige Struktur“ vorgeherrscht, sagt Hollmichel. Es fehlten Etagen im Wald. Oben war das Kronendach, darunter (fast) nichts. Inzwischen gibt es Bäume jeden Alters und jeder Größe, eine Strauch- und eine Kräuterschicht. Vor allem Buchen, die hier von Natur aus dominant sind. „Die Buche bedrängt die Eiche massiv“, so der Förster. „Ohne Forstwirtschaft hätten wir hier einen reinen Buchenwald.“ Die Baumart vermehre sich so stark, dass es keine Rehzäune mehr brauche, um den Nachwuchs zu schützen.
Allmählich hat Hollmichel seinen Wald von vielen Fichten befreit und einen Laubmischwald wachsen lassen, der gerade im Herbst ein buntes Naturspektakel bietet. Beim Waldumbau hatten Herbst- und Frühjahrsstürme wie beispielsweise 2022 einen großen Anteil. Sie legten viele Fichten um, schwerpunktmäßig allerdings im Revier seines Kollegen Arne Schulz in Eißendorf. Der Trend zum Buchenwald habe die Vielfalt im Wald erhöht, freut sich Hollmichel. So finden sich zum Beispiel mehr Käferarten im Wald.
Das gilt besonders auf sogenannten Naturwaldentwicklungsflächen. Hier wird der Wald komplett in Ruhe gelassen und darf – mit Ausnahme der Jagd – ohne menschlichen Einfluss wachsen. Rund 50 Hektar dieses „Bannwalds“ gibt es in den beiden Revieren Hausbruch und Eißendorf, etwa zu gleichen Teilen. Die Hausbrucher Fläche liegt zwischen dem Reiherberg und der B73. Dort stehen 180 bis 200 Jahre alte Buchen und Eichen.
Alte Bäume sind im Wald besonders wertvoll. Und nicht immer gut zu vermarkten
Die großen alten Bäume sind ökologisch besonders wertvoll. Ihr forstwirtschaftliche Wert ist dagegen gering: „In diesem Gebiet sind massenweise Bomben niedergegangen“, erläutert Hollmichel en auswärtigen Gästen. „Die Gefahr, dass Splitter in den Stämmen stecken, ist so groß, dass kein Sägewerk das Holz verarbeiten würde. Also wäre es nur als Brennholz zu vermarkten.“
Jenseits des Bannwalds stehen Bäume mit Migrationshintergrund. Zwischen den Buchen wachsen Roteichen, Douglasien und Lärchen. „Roteiche und Douglasie kommen aus Nordamerika, die Lärche aus den Alpen“, sagt der Forstmann. „Die nichtheimischen Arten sind ökologisch umstritten. Auf einer Roteiche leben 30 Insektenarten; die heimische Traubeneiche kommt fast auf das Zehnfache. Dennoch stellt sich die Frage, inwieweit wir uns im Zuge des Klimawandels öffnen müssen. Nach den düsteren Prognosen der Klimaforscher ist es fraglich, ob wir nur auf heimische Baumarten setzen können.“
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Die Harburger Berge sind keine Berge, sondern wurden aus Sand und Kies gebildet
Noch komme der Harburger Wald ganz gut mit dem Wandel zurecht, berichtet Hollmichel. Selbst bei großen Sturmereignissen seien nur 0,5 Prozent der Fläche entwaldet worden. „Einerseits sind wir mit einem blauen Auge davon gekommen. Andererseits ist dies auch ein Erfolg unserer waldbaulichen Maßnahmen.“ Allerdings gebe es einzelne Buchen, auch Vertreter anderer Baumarten, die plötzlich absterben, obwohl sie zuvor gesund und vital ausgesehen haben. Möglicherweise ein Alarmzeichen.
Die hiesigen Bodenverhältnisse mache es den Bäumen (und ihrem Förster) nicht leicht. Hollmichel: „Wir sprechen zwar von Harburger Bergen, aber im Untergrund ist kein Gestein. Wir befinden uns auf einer Endmoräne der letzten Eiszeit, in der Schmelzwasser die Täler ausgewaschen hat. Wir haben hier einen nährstoffarmen Podsolboden aus Sand und Kies.“ Durch das fehlende Gestein sei Bodenerosion ein großes Thema, etwa bei Fällarbeiten oder bei sportlichen Aktivitäten, die querfeldein durch den Wald führen.
Wie auf Bestellung kommt ein Mountainbike-Fahrer den Hang hinuntergefahren. Viele Jahre lang haben auch die Harburger Revierförster mit den Mountainbikern Katz und Maus gespielt, haben immer wieder illegale Trails entfernt, die ein paar Tage später wieder dort waren – durch den Wald gezogene Furchen. „Die Haake ist ein Mountainbike-Hotspot im Norden, sie kommt gleich nach dem Harz“, so Hollmichel. Seit 2020 ist die Situation befriedet.
Harburger Wald dient auch als Sportarena und Trinkwasserquelle für die Hamburger
Damals hatte sich der Harburger Berge Mountainbike e.V. gegründet. Gemeinsam mit den Harburger Förstern wurde ein Netz von Trails geschaffen, das vom Verein unterhalten wird. Er verpflichtet sich gleichzeitig, illegal entstandene Pfade zu beseitigen. Hollmichel freut sich über die Kooperation. Schließlich sollen auch Montainbiker neben Spaziergängern, Reitern und Radfahrern ihren Erholungswald nutzen können. Auf ihre Weise. „Ein Mountainbike Verein mit Wohlwollen des Forstes – richtig gelesen!“, steht auf der Website des Vereins. „Wir blicken auf eine lange Zusammenarbeit mit dem Forst zurück und freuen uns auf viele weitere partnerschaftliche Jahre.“
Auch technische Eingriffe hat die Harburger Waldnatur zu erdulden. Etwa den Bau und Betrieb von Trinkwasserbrunnen. Schließlich stellen Wälder bedeutende Trinkwasserressourcen dar. Entlang der Stadtscheide verlaufen neben einem großen Wasserrohr auch je eine Erdgas- und Ölleitung. Vielleicht kommt mittelfristig eine weitere Transportleitung hinzu. Gleich nach der Waldführung hat Hollmichel eine Besprechung, bei der es um eine mögliche Voruntersuchung für die Verlegung einer Wasserstoff-Pipeline geht.