Harburg. Stadtmuseum präsentiert virtuelle Ausstellung über legendäre Rennen der Nachkriegszeit bis in die Gegenwart

Das erste Harburger Radrennen der Nachkriegszeit führte durch eine Trümmerlandschaft. Es startete am 8. Juli 1951 und gilt als Geburtsstunde des Radsports in Harburg. Über Jahrzehnte spielte er eine wichtige Rolle; elf Deutsche Meisterschaften wurden hier ausgerichtet. Unterstützt vom reichhaltigen Fundus zweier Legenden des Harburger Radsports präsentiert das Stadtmuseum nun die Online-Ausstellung „Harburger Fahrradgeschichte(n)“.

Auf der Museumswebsite amh.de können Interessierte nun trockenen Fußes und ohne Coronagefahr am heimischen Bildschirm die glorreichen Rennen der Lokalmatadoren, die Begeisterung der Zuschauer und die Entwicklung des Radsports nacherleben.

Ehemaligen Rennfahrer steuern Fotos und Dokumente bei

Womöglich war das 1951er-Rennen mehr eine Wiedergeburt des Radsports in Harburg. Denn die ersten Radsportabteilungen bildeten sich schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts. „Aus dieser Zeit haben wir leider nur spärliche Quellen und wenige Fotos“, bedauert Harburgs Stadthistoriker Jens Brauer und zeigt ein Bild aus dem Jahr 1928, auf dem eine Gruppe Radsportler einen Schützenumzug begleitet. Ganz anders in der Nachkriegszeit: Die ehemaligen Rennfahrer Karl-Heinz Knabenreich und Jürgen Baranski haben Fotos und andere Dokumente rund um die Harburger Rennen gesammelt. Und zusammen mit Brauer beschlossen, die Sammlung für ein breites Publikum aufzubereiten.

„De Renners kümmt“ war in den 1950er Jahren ein begeisterter Ausruf der Harburg auf der innerstädtischen Rundstrecke mit Start- und Zielpunkt Denickestraße. Dort, wo im Sommer 2021 Harburgs erste Fahrradstraße als Teil der Veloroute 11 fertiggestellt wurde, strömten vor 70 Jahren Radsportfans zu den Absperrungen und lösten für 20 Pfennige Eintrittskarten. Im ersten Rennjahr säumten 8000 Zuschauer die Straßenrunde von der Denicke- über die Thörl-, die Haake- und die Gazertstraße zurück zum Ausgangspunkt. 60 Mal musste die gut ein Kilometer lange Strecke absolviert werden.

An der Rennstrecke lernten sich auch Ehepaare kennen

Das Rennen, gesponsert vom Tempo-Werk und den Phoenix-Werken, war ein großer Erfolg. Schon kurz danach gründete sich der Radsportverein „Elbe“ Harburg 1951. Sein Vereinsemblem lehnt sich stark an den Hauptsponsor an: Der blaue Salmi mit weißer Schrift und rotblauem Rahmen hat das rautenförmige Firmenzeichen der Phoenix-Werke mit derselben Farbgebung zum Vorbild. „Phoenix produzierte ab 1893 Fahrradreifen“, erläutert Brauer. „1895 wurden bereits 1600 Reifen ausgeliefert.“

Schon im zweiten Anlauf wurde die Rundstrecke 1952 zum „Großen Phoenix-Preis“ umgetauft. „Wir hatten 15.000 Eintrittskarten gedruckt, das war schon toll“, berichtet Baranski. Er war im Oktober 1951 im Alter von 16 Jahren als Mitglied Nummer drei dem RV „Elbe“ beigetreten und nahm selbst an den Rennen teil. „Sechs Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, in einer Zeit, als es noch keinen Fernseher gab, waren die Leute begeistert von den Veranstaltungen“, ergänzt Brauer.

Sie präsentieren die Harburger Radrenngeschichte (v.l.) Stadthistoriker Jens Brauer mit den Radsportlern Frank Plambeck, Jürgen Baranski und Karl-Heinz Knabenreich.
Sie präsentieren die Harburger Radrenngeschichte (v.l.) Stadthistoriker Jens Brauer mit den Radsportlern Frank Plambeck, Jürgen Baranski und Karl-Heinz Knabenreich. © Angelika Hillmer

Mit zwei Siegen in den Jahren 1952 und 1953 avancierte der Neugrabener Albert Mußfeld (1928–2005) zum Publikumsliebling. Mußfeld wurde das Idol von Karl-Heinz Knabenreich (Jahrgang 1937). „Er war der erste Harburger Fahrer, der im Nationaltrikot gefahren ist. Er hätte Profi werden können, hat sich aber für seinen Beruf des Schiffsmaschinenschlossers entschieden“, sagt Knabenreich. Eine junge Zuschauerin namens Lotti, die Mußfeld besonders enthusiastisch vom Straßenrand zujubelte, wurde seine Frau.

Große Phoenix-Preis wird auf dem Heimfelder Rundkurs ausgetragen

Von 1951 bis 1967 wird der Große Phoenix-Preis auf dem Heimfelder Rundkurs ausgetragen. Bei seinem Sieg 1953 legt Mußfeldt die 61 Kilometer in einer Stunde, 52 Minuten und 15 Sekunden zurück. Eine Minute und 50 Sekunden braucht er für eine Runde. Sein Durchschnittstempo liegt bei 32 Kilometer pro Stunde. In den 60 Runden überwindet er 720 Höhenmeter.

Weitere Helden folgen ihm. Beim Hamburger „Rennen um das Grindeler Häusermeer“ errang Jürgen Baranski 1952 mit einem selbstgebauten Fahrrad Platz zwei. Von 1952 bis 1955 nimmt er am Großen Phoenix-Preis teil, ebenso bei den Hamburger Bergmeisterschaften und Querfeldeinrennen, die in den Harburger Bergen ausgetragen werden. 1955 wechselt Baranski aus der aktiven Mannschaft in den Vorstand des RV „Elbe“, wird zum bundesweit jüngsten Vorsitzenden eines Radsportvereins gewählt.

Ein Querfeldein-Rennen, der „8. Große Pepsi-Preis“, wurde 1978 in Harburg erstmals als Deutsche Meisterschaft ausgetragen. Auf dem in der virtuellen Ausstellung gezeigten Plakat ist das Piktogramm eines Radfahrers mit wehendem Zopf zu sehen – offenbar ist hier eine Radfahrerin gemeint. „Frauenrennen gab es schon in den 1950er Jahren auch in Harburg“, sagt Brauer. „Aber es gibt kaum Bilder von ihnen.“ Zwischen 1980 und 2017 sollten weitere zehn Deutsche Meisterschaften in unterschiedlichen Disziplinen folgen. Die letzte war 2017 die DM im Hallenradsport in der Arena Süderelbe.

Die BMXer des RV
Die BMXer des RV "Elbe" Harburg auf ihrem Trainingsgelände auf den Schießstandwällen in Harburg Heimfeld in den 1980er-Jahren.  © Sammlung Knabenreich/Baranski

Mehr als 30 Jahre bleibt der RV „Elbe“ der einzige Radsportverein in Harburg. Mit dem Radsportclub City Harburg, gegründet 1983, und dem Bicycle Racing Club Harburg von 1994 konkurrierten eine Zeit lang drei Vereine um Mitglieder. 1999 schlossen sie sich zur „Harburger Radsport Gemeinschaft von 1951“ (HRG) zusammen. Sie veranstaltet das einzige große Radrennen, das Harburg blieb: den „Weihnachts-Cross“ am zweiten Weihnachtstag, regelmäßig mit internationaler Beteiligung. In zwei Wochen soll das Rennen zum 42. Mal starten. Traditionell führte es durch das Waldgebiet Haake an der Kuhtrift. Doch der Wald ist heute in privater Hand und steht nicht mehr zur Verfügung. Seitdem wird auf dem Festgelände des Schwarzenbergs samt angrenzendem Park in die Pedalen getreten.

2022 könnte ein Rennen durch den Harburger Hafen führen

Heute gebe es in Hamburg, in Norddeutschland, ja in ganz Deutschland nur noch wenige Straßenrennen, sagt Frank Plambeck. Viele Straßen seien umgebaut worden, außerdem sei es schwierig, Genehmigungen zu bekommen. Plambeck und seine Frau Susanne gehören zu den erfolgreichsten Harburger Radsportlern. „Susanne war zweimal bei Weltmeisterschaften, ich habe es nur einmal geschafft“, sagt er. Heute engagiert sich das Paar besonders im Nachwuchsbereich. Und arbeitet daran, ein paar Harburger Straßen für den Radsport zurückgewinnen zu können: „Wir hoffen darauf, 2022 ein Rennen im Harburger Hafen durchführen zu dürfen, auf einer drei Kilometer langen Rundstrecke.“