Harburg/Bremen. Holger-Philipp Bergt sammelt historische Fotos, Dokumente und Gegenstände aus Karstadt-Filialen. Harburg ist nur lückenhaft vertreten.
Karstadt ist seine Leidenschaft: Vor gut 30 Jahren begann Holger-Philipp Bergt historische Dokumente und Gegenstände aus den ersten Jahrzehnten der Warenhaus-Geschichte zu sammeln. Heute hat er einen Fundus, der deutschlandweit einmalig ist. Anlässlich der Schließung von Karstadt Harburg möchte der 58-jährige Bremer nun speziell Fundstücke aus Harburger Haushaltensichern.
Seine knapp 90 Quadratmeter große Wohnung ist längst zum Warenhaus-Archiv geworden. Im Flur zieren 50 Holzbügel von verschiedenen Karstadt-Filialen aus Norddeutschland und dem Ruhrgebiet die Wände. Dort und im Schlafzimmer von Holger-Philipp Bergt stehen mittlerweile 112 Aktenordner mit Dokumenten, Fotos, Plakaten und anderen abheftbaren Zeitzeugnissen der mehr als hundertjährigen Karstadt-Geschichte, abgerundet mit Material aus anderen Warenhäusern.
Karstadt-Fahnen dienen jetzt als Sonnensegel auf dem Balkon
Gegenstände wie versilbertes Restaurantgeschirr, Anstecknadeln und aufwendiges Werbematerial sind in einer Vitrine mit fünf Böden im Wohnzimmer angeordnet, gegessen wird mit Besteck aus dem Alsterhaus und von Karstadt Wertheim. „Nur das Badezimmer und der Balkon sind karstadtfrei“, sagt der eifrige Sammler. Für den Balkon gilt das allerdings nicht mehr: „Ich habe mir gerade ein Sonnensegel aus zwei Karstadt-Fahnen gemacht.“ Seit gut 30 Jahren sammelt Bergt alles, was aus der ersten Hälfte der 140-jährigen Warenhaus-Historie aufzutreiben ist, auch von Privatleuten.
Nach der Abendblatt-Berichterstattung über die Schließung von Karstadt in Harburg meldete sich Bergt in der Redaktion und bat um Mithilfe: „Gerne würde ich weitere Gegenstände und Zeugnisse aus der Harburger Karstadt-Geschichte gerade vor 1945 der Nachwelt erhalten – für Ausstellungen und für ein späteres Museum zur Warenhausgeschichte. Könnten Sie sich vorstellen, einen Artikel darüber zu schreiben?“, fragte er.
Harburger Kaufhausgeschichte begann 1927
Schnell wurde klar, dass der Bremer mehr über die Vor- und Nachkriegsgeschichte des Harburger Warenhauses weiß, als das hiesige Stadtmuseum. Zum Beispiel über den Notverkauf, den Karstadt am 1. Dezember 1946 startete, nachdem das alte Warenhaus im November 1944 zunächst teilweise und dann bei einem zweiten Bombenangriff komplett zerstört worden war. Dieses alte Kaufhaus bestand eigentlich aus zwei zusammengelegten Kaufhäusern, sagt Bergt: „Das Karstadt-Kaufhaus wurde 1927 eröffnet. Daneben befand sich das Kaufhaus Hirsch, eine jüdische Gründung. 1929 wurde es von Karstadt übernommen, 1939 entstand eine einheitliche Schaufensterfront.“
In der Nachkriegszeit wurde in Behelfsräumen weiterverkauft
Aus dem Jahr 1933 besitzt Bergt eine Postkarte, die die Gebäude an der Lüneburger Straße (heute Schloßmühlendamm) zeigt. Sie trägt die Aufschrift „Rudolf Karstadt AG Harburg-Wilhelmsburg 1.“ Damals war Harburg-Wilhelmsburg eine eigenständige preußische Stadt, die in dieser Struktur gerade mal zehn Jahre bestand, bevor sie 1937 in den Stadtstaat Hamburg eingegliedert wurde. Ein alter Holzbügel aus der Personalgarderobe trägt dagegen schon die Aufschrift: „Karstadt Hamburg-Harburg“.
Beruflich leitet Bergt als gelernter Schifffahrtskaufmann die Logistikabteilung des Groß- und Außenhandelsunterunternehmens Melchers – ein Vollzeitjob. Nebenbei und im Urlaub geht er seiner Sammelleidenschaft nach, besucht Staatsarchive und Warenhaus-Filialen, schaut bei Ebay und anderen potenziellen Quellen im Internet nach Angeboten von Karstadt-Gegenständen. Mit der Zeit sammelte sich vieles an – allein Holzbügel aus verschiedenen Filialen füllen sechs Umzugskartons. „Die ersten Bügel wurden um 1900 gefertigt. Sie wurden zunächst im Verkauf und später in der Personalgarderobe eingesetzt. Und das über drei Generationen, bis in die 1970er Jahre.“
Harburg: Im Mai 1962 wurde heutiges Warenhaus-Gebäude eingeweiht
Zum 90-jährigen Bestehen von Karstadt Harburg steuerte Bergt 2017 viele Exponate für eine Ausstellung bei. Zum Fest wurde eine Chronik des Warenhauses erstellt. Sie enthält unter anderem Details zum Notverkauf nach dem Bombenangriff und in der Nachkriegszeit. Nur drei Tage nach der Zerstörung des Warenhauses, am 15. November 1944, wurden aus einem nur 100 Quadratmeter großen Ausweichlager wieder Waren verkauft.
1945 begann das Personal in Selbsthilfe die Trümmer des Warenhauses beiseite zu räumen. In einem provisorisch hergerichteten Teil des Erdgeschosses wurde am 1. Dezember 1946 der Verkauf auf 470 Quadratmetern wieder aufgenommen. Nach der Einführung der D-Mark 1949 wurde das Grundstück an der Lüneburger Straße planiert und eine Betonhalle mit 1000 Quadratmeter Fläche errichtet. Dort startete zum Oktober 1949 der Verkauf, mit 102 Mitarbeitern und acht Schaufenstern.
Harburger Rathausstraße wurde 1959 Übergangsstandort
Nach und nach entstanden weitere Anbauten. Sie vergrößerten die Verkaufsfläche, und es entstanden neue Büroräume und Garderobe, eine Warenannahme, eine Lebensmittelabteilung. Doch es blieben Behelfsverkaufsräume. Ein neues Gebäude musste her. Deshalb zog das Patchwork-Warenhaus 1959 an einen Übergangsstandort an der Harburger Rathausstraße. Bis zur Eröffnung des neugebauten Karstadt-Gebäudes im Mai 1962.
Gesucht: Harburger Überbleibsel, vom Lehrvertrag über Fotos bis zu Werbegeschenken
Dessen Ära ist am 17. Juni 2023 mit dem letzten Verkaufstag zu Ende gegangen. Der Schriftzug am Gebäude ist schon entfernt. Holger-Philipp Bergt möchte nun dazu beitragen, dass das Harburger Traditionshaus nicht ganz in Vergessenheit gerät. Obwohl die Lagerkapazität der Bremer Wohnung voll ausgeschöpft ist, hofft Bergt auf neue Fundstücke: „Von Harburg, eigentlich von ganz Hamburg, habe ich relativ wenig Material. Möglicherweise aufgrund der starken Kriegszerstörungen.“
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Er freut sich über alles, das den Karstadt-Schriftzug trägt: Vom Lehrvertrag (Original oder Kopie), über Fotos von (Ur-)Oma als junge Verkäuferin, Hüte oder langlebige Textilien, alte Werbung und Werbegeschenke, eine Speisekarte vom Restaurant oder Besteck, Porzellan und anderes Geschirr, das gerettet oder gefunden wurde. Natürlich nimmt er die Überbleibsel gern geschenkt, kauft aber auch besondere Gegenstände und Raritäten. Sie sollten nicht jünger sein als aus den 1960er Jahren. Harburger, die ein Fundstück zu bieten haben, wenden sich an holger.bergt@web.de, Telefon: 0421 47885875.
Wer einmal in die Karstadt-Sammlung von Holger-Philipp Bergt hineinschauen möchte, hat dazu aktuell in Wismar Gelegenheit: Dort zeigt das Stadtgeschichtliche Museum „Schabbell“ bis zum 20. August die Ausstellung „Karstadt und Wismar“. Schließlich eröffnete Rudolph Karstadt (1856 bis 1944) am 14. Mai 1881 sein erstes Kaufhaus in der Hansestadt an der Ostsee. „Mit rund 120 Exponaten stelle ich ungefähr 90 Prozent der Ausstellungsstücke zur Verfügung“, sagt Bergt. Wenn wundert’s...