Die HSV-Torwartlegende Rudi Kargus ist als Künstler längst anerkannt. In Harburg stellt de Ex-Torhüter seine Arbeiten aus
Harburg. Es gibt einen Roman von Peter Handke, der heißt "Die Angst des Tormannes beim Elfmeter" - und auch wenn der literarische Stoff eigentlich wenig Bezug zum Fußball hat, nahmen doch viele Kommentatoren den Spruch in ihr Repertoire auf. Allerdings gab es auch einen, den sie den "Elfmetertöter" nannten. Einen, der 24 Strafstöße hielt, in 254 Bundesligaspielen im Tor stand und die Pokale reihenweise nach Hause fuhr. Einen, bei dessen Namen den Stürmern der Angstschweiß auf der Stirn glänzte. Es ist Rudolf (Rudi) Kargus, die HSV-Fußballlegende. Ob es nun auch so etwas wie die Angst des Malers vor der Farbe gibt, oder noch besser die Angst der Farbe vor dem Maler, sei dahingestellt. Die Angst vor der weißen Leinwand kennt Rudi Kargus bestimmt nicht.
Seit 1996 malt Kargus. Soweit nichts Besonderes. Doch die Bilder sind nicht einfach die einer Fußballlegende, die nach dem Profisport im zweiten Leben Zerstreuung sucht. Kargus, mittlerweile 58, malt Bilder von zwingender Kraft, farbliche Explosionen, die auf der Leinwand mit Verve Gestalt werden. In diesem Sinne sind seine Bilder expressiv, ja ausdrucksvoll. Sie sind erstaunlich für einen Fußballer, von dem man vielleicht etwas eindimensionaleres und harmlos Figürlicheres erwartet hätte.
Durch die Motive weht eine sanfte Apokalypse
Warum eigentlich? Das Bilduniversum des Rudi Kargus ist hermetisch und persönlich. Das zeigen schon die Titel. "Painterman, zeig mir die Sonne!", "Schattenallee" oder "Syrakus Feeling" sind einige der rätselhaft-verspielten Namen. Sie wollen dem Betrachter etwas sagen. Aber was?
Kargus selbst, gebürtig aus Worms in Rheinland-Pfalz, lebt heute zurückgezogen mit seiner Frau auf einem einfachen Bauernhof mit Atelier zwischen Norderstedt und Quickborn. Erklären tue er seine Bilder ungern, heißt es, wolle sie nicht "verkopfen". Also schaut man selbst: Durch die Motive weht eine sanfte Apokalypse hindurch.
Weltuntergangsstimmung mit einem Fünkchen Licht. Vielleicht so viel: Es sind singuläre Bestandsaufnahmen unserer Welt, ein Gemüt sieht die Verfasstheit der Welt durch Ölfarbe hindurch und ringt dem eine fast schon existenzielle Dimension ab. Wild und archaisch. Die Bilder haben Dynamik, räumliche Tiefe: Sie fassen einen an.
In "Painter Man" scheinen allerlei Bewaffnete auf eine auf einem Sockel befindliche Statue zu schießen, kunterbunte Farbkleckse lösen das Ganze in eine poetische Unschärfe auf. Das witzige und doppeldeutige Wortspiel zwischen Painter, also Maler, und dem aggressiven Paintballspiel kommt einem assoziativ in den Sinn. Aber erst nach einer Weile (ähnlich in dem Bild "Global Player").
In Rudi Kargus' "Bad Boys" blickt einem eine verfremdet lädierte Gestalt mit grüner Atemmaske an. Im Arm hält sie den dreiköpfigen Torhüter zur Unterwelt, den Höllenhund Zerberus. Im Hintergrund züngeln rötliche Fegefeuerstrahlen, darin eine unglückliche Seele. Bedrohlich. Doch das Ganze wirkt nicht grotesk oder dämonisch. Denn wie einst Gerhard Richter, setzt Kargus geschickt eine Unschärfe ein, die den Betrachter mehr fesselt als die eindeutige Festschreibung.
Einige Gestalten haben motivisch etwas von jugendlich dahin geschmissener "Street Art" ("Die große Flatter"), fast sogar von dem jungen Street Art-Künstler Boxi, der seltsam verpackte Menschen in Schutzanzügen durch seine Bildwelten tapsen ließ, so als stünde die atomare Katastrophe direkt bevor (so auch in "Bad Boys").
Immer scheint es auf den riesigen Leinwänden mit den expressiven Farbflächen um einen existenziellen Augenblick zu gehen.
Kargus hat nicht drauflos gemalt. Seine Ergebnisse sind Resultat von Lehrstunden bei Professor Markus Lüpertz, dem exzentrischen Malerfürsten und ehemaligen Rektor der Kunstakademie in Düsseldorf, ein Bohemien und Pfau erster Klasse. Steht Lüpertz für Neoexpressionismus, so sieht man diesen Einschlag den Bildern von Kargus an.
Einige Bilder verarbeiten die lang vergessene Torwartkarriere
Prägend sei auch der Grafiker und Kunstdozent Jens Hasenberg an der Kunstschule Blankenese gewesen. Bis heute. Doch da man ja malen soll, was man am besten kennt, gibt es auch Bilder, die etwas Ureigenes verarbeiten: die lange vergessene Torwartkarriere, die dem sensiblen und den Auftritt in der Öffentlichkeit nicht allzu sehr liebenden Künstler und Sportler auch tief in den Knochen steckte, ihn belastete. Es gibt Arbeiten, die heißen "Flut II" und "Flut III" und thematisieren das grelle, erbarmungslose Flutlicht der Öffentlichkeit in den Stadien. Oder das Bild "Die Legende": Es zeigt einen einsamen Spieler im Trikot mit seltsam staksigen Beinen - wohlfühlen sieht anders aus.
Renate Selinger hat einen Coup gelandet, indem sie Rudi Kargus zu sich in den hit-technopark einlud, um im Rahmen der Reihe "Kunst verbindet" auszustellen. Kargus hatte freie Hand und kam mit dreizehn seiner imposanten Leinwände und mit bestimmten Vorstellungen.
Die "Bad Boys" sollten beispielsweise nur oben hängen, wo das Licht für seine Bilder vom lädierten Leben besonders gut sei. Einige der rätselhaften Bildtitel bekam Selinger nun aufgelöst: "RSDS - das steht für Rudi sucht die Security", erzählt die Kuratorin der Kunstreihe "Kunst verbindet" mit einem erstaunten Lachen. "Das hätte man selbst doch nie entschlüsselt."
Die Ausstellung läuft bis zum 8. Oktober im hit-Technopark, Tempowerkring 6. Geöffnet ist montags bis freitags von 8.30 bis 16 Uhr.