Seit fünf Jahren betreiben Anna-Carla Melchert, Christopher Müller und Frank Breker die Galerie Oel-Früh
Rothenburgsort. Auch in einer Off-Galerie wird penibel auf Jubiläen geachtet. Im Falle des kleinen Ausstellungssatelliten Galerie Oel-Früh, am düsteren Brandshofer Deich in Rothenburgsort zu Hause und damit für die meisten Hamburger gefühltes Niemandsland, sind es nun schon fünf Jahre. Fünf Jahre, seitdem Anna-Carla Melchert, Frank Breker und Christopher Müller mit ihrem ambitionierten Ausstellungsprogramm in Rothenburgsort begonnen haben.
Galerist Christopher Müller, 40, im normalen Erwerbsleben Kulturmanager und bald zweifacher Vater, sitzt im ersten Stock der weißen Galerieräume, die sich über drei Etagen in einem Häuschen mit 50er-Jahre Charme erstrecken. Die Fenster geben den Blick frei auf den Backsteinkomplex des Brandshofer Deiches, einst Sitz einer Binnenreederei, der wegen der düsteren Atmosphäre gerne für Krimis gemietet wird. Dahinter zeigt sich das Panorama der Norderelbbrücken und die S-Bahntrasse von Hammerbrook Richtung City an einem kalten Novembertag. Seit 1998 sei man hier, sagt Müller. Irgendwann wurde es ihm, der damals in der Hamburger Clubszene zu Hause war, in der Sternschanze einfach zu laut. Mit Freunden zog er in den Brandshofer Deich 33 und schnell begann der Ort, der damals noch viel exotischer für Außenstehende war, auf die Kreativität zu wirken. Man rief das "Brandshof festiv" ins Leben, ein musikalisches Kunstevent auf der kleinen Landzunge im Billhafen. Schon damals wurden möglichst viele Räume bespielt wie die Laderampe einer Spedition oder einzelne Verkaufsräume. Und plötzlich war der Gedanke gar nicht mehr weit "komm wir gründen ne Galerie."
Die Veranstaltungs- und Clubszene schien zu flüchtig und mit der Kunst wiederum eine andere Nachhaltigkeit möglich. Seit fünf Jahren bespielen die drei Galeristen den Ort in Rothenburgsort mit nationalen und internationalen Arbeiten, denen sie eine "Plattform" geben wollen. Einzige Vorgabe: Die Galerie schätzt es, wenn sich die Objekte und Installationen mit den Räumlichkeiten der Galerie und den räumlichen Gegebenheiten in Rothenburgsort beschäftigen. Ein Ort, den die Galeristen auch "beleben" wollen. Ein Künstler nahm das Räumliche schon mal sehr wörtlich und bohrte gleich durch die Betondecke der Galerie, andere wiederum zeigten sich fasziniert von den mehrspurigen Verkehrsadern kurz vor der Autobahn und interpretierten sie als pulsierendes raumfüllendes Herz, das sie in der Galerie installierten.
Der Dank für fünf idealistische Jahre Off-Galerie-Arbeit kommt dieser Tage auch per Post in die Galerie. Sogar aus Japan. Frank Breker, 41, der als Objektgestalter arbeitet, und Christopher Müller haben einen Tapeziertisch aufgebaut, auf dem Umschläge und kleine Päckchen liegen. Daraus ziehen sie nach und nach Wimpel und Flaggen. Denn alle Künstler, die bereits in der Galerie ausgestellt haben, wurden zum Jubiläum gebeten, doch eine Flagge zu entwerfen und rechtzeitig vor der Vernissage am 3. Dezember in Rothenburgsort für die Retrospektive der Galerie abzuliefern. Warum eine Flagge? Über die Deutungshoheit der Idee sind sich die Galeristen noch nicht ganz einig. Das habe etwas von Flagge zeigen, Position beziehen und Landnahme. Frank Breker, Bewohner erster Stunde im Künstlerhaus in der Wendenstraße, fühlt sich auch an die neue Kultur der Bürgerproteste erinnert. Und dann findet Christopher Müller doch noch die richtige Formulierung: "Es geht darum, für einen Ort Verantwortung zu übernehmen. Das ist es."
Mit den Gegebenheiten in Rothenburgsort hat sich das Galeristenteam genau auseinandergesetzt. Dass das Leben hier in Rothenburgsort einmal florierte und gewissermaßen so pulsierte wie heute die Verkehrsadern direkt vor der Nase, man sogar von Hamburgs "wildem Osten" sprach, einem vibrierenden Amüsier- und Ausgehviertel, wissen die wenigsten. Damals gab es auf der Verkehrsinsel, wo heute das prägnante Mercedeshaus die Autofahrer beim Kommen und Gehen grüßt, eine Boxhalle, in der Max Schmeling geboxt haben soll, und die großen Badeanstalten lagen ebenfalls hier vor den Toren der Stadt. Die Bombardements des Krieges beendeten schließlich diese Zeit von Rothenburgsort, das heute einen verschlafenen Inselstatus mit Brachen- und Industrieromantik genießt. Doch vielleicht nicht mehr lange.
Immer wieder wurde der Ort in jüngster Zeit als Geheimtipp für Kreative oder als Hamburgs kommende östliche Hafencity gehandelt. Aktuell, so die Galeristen, sei es hier jedoch noch ruhig, quasi verschlafen. Mittlerweile parkt draußen ein dunkler BMW vor dem Brandshof. Er gehöre dem selbst ernannten Kulturinvestor Klausmartin Kretschmer, der den Gebäudekomplex kaufte, um ihn zu sanieren und danach wieder an Künstler zu vermieten, so die Galeristen. Ziel: ein neues, interessantes Kreativenviertel mit preisgünstigem Atelier- und Wohnraum zu schaffen. Christopher Müller, auf einer der beigefarbenen Trödelcouchs im Obergeschoss der Galerie, kann sich die Gegend um den Brandshof ebenfalls als Ort "der Kreativwirtschaft" vorstellen. Ein Modebegriff, den er ironisch gedehnt spricht. Seiner Meinung nach müssten allerdings "die freien Kulturproduzenten der Nukleus" in diesem Szenario sein und die Entwicklung dürfe ihnen nicht von oben aufgedrückt werden. Ein bisschen so wie im Gängeviertel oder als "toller Ort", vergleichbar mit Kampnagel, könnte er sich den Brandshof vorstellen.
Doch der Stand, den Besitzer Klausmartin Kretschmer vorweisen kann, findet bei den Galeristen und anderen Kreativen im Umfeld wenig Zustimmung. Nach außen hin klinge die Kommunikation zwar vielversprechend, finden sie. Wer wolle schon etwas gegen günstige Atelierräume sagen? Doch nach "innen", bei den Künstlern verdichte sich das Gefühl, die steigenden Mietpreise für Atelierraum nicht mehr zahlen zu können. Nicht wenige der alten Bewohner des Brandshofs fühlen sich deswegen vertrieben.
Das Team der Galerie Oel-Früh hat jedoch an diesem Ort mit der speziellen Aura, die sicher für eine zweite vibrierende Zukunft von Rothenburgsort gut ist, schon die Fahnen in den Boden gesteckt und wird zum fünfjährigen Jubiläum sicher eins: die Sektgläser mit Freunden und Künstlern auf weitere fünf idealistische Galeriejahre erheben, in denen schon mal Bilder aus Wien und der Welt persönlich mit dem VW-Bus abgeholt werden. Der ganz alltägliche Wahnsinn einer Off-Galerie.
5-Jahre Oel-Früh, Retrospektive, Vernissage am 3. Dezember, 19 Uhr, Brandshofer Deich 45