Projekt “GroßstadtRaum“ will eine Flutschutzmauer zum Kunstwerk machen. Doch der Landesbetrieb Gewässer sperrt sich.
Harburg. In einer der unwirtlichsten Ecken der Stadt sehen Kulturschaffende die Chance, Harburg groß raus zu bringen: Sie wollen die Hochwasserschutzmauer am Bostelbeker Hauptdeich zur größten öffentlichen legalen Wand Hamburgs zur freien künstlerischen Gestaltung mit Pinsel, Rolle oder Dose machen - und eine ähnliche Wirkung erzielen wie die 1316 Meter lange East Side Gallery in Berlin, die längste Freiluft-Galerie der Welt.
"GroßstadtRaum" nennen Alexander Grieschat, 27, und Nandor Olah, 33, ihr Kunstprojekt. Professionelle Künstler und auch Laien könnten sich auf beiden Seiten der Mauern und damit auf 1500 Metern ihre großformatigen Träume erfüllen. "Harburg würde damit aus dem Schatten Hamburgs heraustreten, wenn es um Mitmach-Kunst geht", ist Grieschat überzeugt.
Aber selbst in der Gewerbebrache-Tristesse an den Bahngleisen stößt die Wandmalerei auf Vorbehalte. Der Landesbetrieb Straßen, Brücken und Gewässer, Verwalter der Hochwasserschutzanlage, lehnt das Kunstprojekt bis jetzt ab.
Doch die beiden jungen Initiatoren kämpfen nicht mehr allein. Süd-Kultur, eine Vereinigung mehrerer Kulturinstitutionen im Bezirk Harburg, hat den "GroßstadtRaum" als eines von drei Vorhaben auserkoren, um den Kulturraum Harburg voranzubringen. Bei Süd-Kultur arbeiten zum Beispiel das Harburger Theater, das Veranstaltungszentrum Rieckhof oder der Jazzclub im Stellwerk mit. Gemeinsam wollen die Kulturschaffenden die Fraktionen der neu gewählten Bezirksversammlung dazu bewegen, die Vorschläge für Harburgs Kunstszene zu unterstützen. Forum dazu ist am kommenden Mittwoch das "Stellwerk". Auf Einladung von Süd-Kultur kommen dann Kulturschaffende und Politiker zusammen. Zentrales Thema wird dabei das Projekt "GroßstadtRaum" sein.
Was spricht gegen eine bunt bemalte Wand? Dazu noch in einer lauten Ecke, an der Güterzüge vorbeifahren und keine Anlieger gestört werden? Eine Anfrage der Harburger Rundschau ließ der Landesbetrieb Straßen, Brücken und Gewässer auch nach zwei Tagen unbeantwortet.
In einem Schreiben an die Initiatoren erklärt die Behörde, großflächige Graffiti würden die "Wahrnehmung der Funktion des Bauwerks" stören. Weil seit 1976 keine Sturmflut mehr schwere Schäden verursacht habe, hätten die Hamburger das Bewusstsein für die Gefahren einer Sturmflut verloren. Die Mauer, argumentiert die Behörde, muss also grau bleiben, damit die Bevölkerung sie als Hochwasserschutzanlage erkennt.
"Eine graue Wand kann auf nichts hinweisen", sagt dagegen Nandor Olah - und schlägt stattdessen vor, aus dem Nichts etwas zu machen: Zur Eröffnung würden professionelle Künstler die Wand mit Motiven zum Flutschutz bemalen. "Dann würde für die Menschen die Hochwasserschutzfunktion an dieser Stelle dauerhaft sichtbar sein."
Eine großflächige Bemalung würde die Inspektion der Schutzmauer erschweren, gibt die Behörde zu bedenken. An den meisten Stellen bemalt ist die Wand allerdings jetzt schon. Wild und unkontrolliert von etwa 50 verschiedenen Sprayern.
"GroßstadtRaum" dagegen würde als Verein organisiert ein kontrolliertes Bemalen gewährleisten. "Leute melden sich an, und der Verein verschickt per SMS eine Berechtigung", erklärt Nandor Olah das geplante Prozedere. Vereinsmitglieder würden sich immer wieder auf dem Gelände umsehen und Müll aufsammeln. Etwas zum Mitmachen in Harburg soll das Projekt werden.
Wer sind die beiden, die einen Kulturraum für junge Leute schaffen wollen? Beide leben in Heimfeld und haben Erfahrung in der Kulturarbeit. Nandor Olah ist angehender Diplom-Pädagoge, arbeitet für den katholischen Frauenverband In Via. Der 33-Jährige macht Musik in der Band "Schlächter Umgang", hat donnerstags einen HipHop-Club im Kulturhaus 73 und moderiert im Freien Senderkombinat die Radio-Sendung "No TV Raps".
Alexander Grieschat, 27, arbeitet als Veranstaltungskaufmann bei der Hamburger Pferdestall Kultur GmbH. Er organisiert zum Beispiel Streetball-Turniere und mehrere Musikreihen in Hamburger Clubs ("Misch Mäsch", "Recall it Funk").
Das Projekt "GroßstadtRaum", davon sind die beiden Heimfelder überzeugt, böte Harburg die große Chance, sein Image aufzupolieren. "Eine Fläche, an der 100 Künstler gleichzeitig gemeinsam arbeiten können, gibt es nirgendwo", sagt Grieschat. Auf beiden Seiten der Mauer finden Künstler auf insgesamt 1500 Metern Platz - das entspricht nahezu der englischen Meile. Alexander Grieschat ermutigt das zu einem Wortspiel: "Wir würden der Meile Kunst geben."