Hamburg. Nachbarn der neuen Unterkunft sehen ihr Recht verletzt. Hamburger Verwaltungsgericht und Rechtsanwalt stützen die Argumente.
Ist der Betrieb der neuen Obdachlosenunterkunft in Niendorf möglicherweise illegal? Davon gehen Beate und Peter Müller (Namen geändert) aus, die in dem Stadtteil im Nord-Westen von Hamburg leben. Die Eltern von zwei kleinen Kindern beklagen, dass das Heim am Garstedter Weg 79–85, das von Fördern & Wohnen (F&W) betrieben wird, gegen die Bestimmungen des geltenden Bebauungsplans „Niendorf 9“ von 1964 verstößt. Dieser weist das Areal westlich der Straße als reines Wohngebiet aus.
Beate Müller, selbst Juristin, hat Zweifel, dass es sich wirklich um eine Pflegeeinrichtung handelt. Sie zweifelt auch an der Pflegebedürftigkeit der Bewohnerinnen und Bewohner, denn es gebe keine Einstufung der Bewohner nach Pflegestufen. „Es handelt sich vielmehr um eine allgemeine Obdachlosenunterkunft, die partiell Personen betreut, die einen sehr geringen Betreuungsbedarf aufweisen“, sagt Müller. Nur so lasse sich der geringe Personalschlüssel von zwei Pflegekräften tagsüber erklären. Damit sei die Unterkunft im juristischen Sinn keine Pflegeeinrichtung mehr und mit dem Charakter eines Wohngebiets nicht vereinbar.
Obdachlosenheim in Niendorf: Laut Anwalt aus Hamburg ist Nutzungsänderung nötig
„Fördern & Wohnen hat keine Änderung des Nutzungszwecks beantragt“, sagt Beate Müller. Damit verstoße der Betreiber gegen den geltenden Bebauungsplan. Der Hamburger Verwaltungsrechtler Gero Tuttlewski stützt diese Sichtweise. Auf Abendblatt-Anfrage sagte er, eine Einrichtung für Senioren, wie sie es davor war, sei nicht gleichbedeutend mit einer Einrichtung für Obdachlose. „Eine Nutzungsänderung wäre auf jeden Fall nötig.“
Wolfgang Arnhold, Sprecher der Hamburger Sozialbehörde, widerspricht der Darstellung von Müller und Tuttlewski: „Bei den beiden Einrichtungen im Garstedter Weg 20 und Garstedter Weg 79–85 handelt es sich nicht um öffentlich-rechtliche Wohnunterkünfte. Die Nutzung der Standorte als spezielle Obdachlosenunterkünfte befindet sich im Rahmen der aktuellen Genehmigungslagen.“
Garstedter Weg: Anwohner haben Klage eingereicht, aber wieder zurückgezogen
Beate und Peter Müller hatten zwar im März Klage eingereicht, sie aber inzwischen wieder zurückgezogen. Unter anderem, weil sie die hohen Kosten eines Rechtsstreits durch mehrere Instanzen mit der Stadt fürchteten, die von einer Hamburger Großkanzlei vertreten wurde. Laut Arnhold liegen derzeit keine weiteren Klagen von Anwohnern vor.
Allerdings bedauert das Ehepaar Müller den Rückzug inzwischen. Denn das Hamburger Verwaltungsgericht stützt in seinem Beschluss die Auffassung der Kläger – doch dieser ist den Müllers erst nach der Rücknahme der Klage zugegangen.
Obdachlose in Hamburg: Anwohnerin will Heim in Niendorf nicht verhindern – aber sorgt sich
In dem Beschluss heißt es: „Die geplante Obdachlosenunterkunft dürfte nach der Art der baulichen Nutzung den Festsetzungen des Bebauungsplans Niendorf 9 – der das Gebiet, in dem sowohl das Vorhabengrundstück als auch das Grundstück des Antragstellers gelegen sind, als reines Wohngebiet (WR) ausweist – widersprechen. In dem hier in Rede stehenden reinen Wohngebiet sind gemäß der hier anwendbaren Vorschrift des § 3 Abs. 2 BauNVO 1962 nach der Art der baulichen Nutzung regelhaft nur ,Wohngebäude‘ zulässig. Die geplante Obdachlosenunterkunft dürfte die von der Rechtsprechung entwickelten Kriterien für die Annahme einer Wohnnutzung nicht erfüllen.“
Der Begriff des Wohnens sei dabei unter anderem durch eine „auf Dauer angelegte Häuslichkeit“, „Eigenständigkeit der Haushaltsführung“ und „Freiwilligkeit des Aufenthalts“ gekennzeichnet. Bei der Obdachlosenunterkunft dürfte es sich nicht um „Wohnen“ im Sinne des Bauplanungsrechts handeln, heißt es in dem Beschluss des Verwaltungsgerichts weiter. Demnach erscheine es nicht ausgeschlossen, dass die nunmehr beabsichtigte Nutzung als Obdachlosenunterkunft die Variationsbreite dieser (genehmigten) Nutzung überschreitet und damit eine genehmigungspflichtige Nutzungsänderung darstellt.
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Beate Müller sagt, sie wolle das Obdachlosenheim gar nicht verhindern. „Gegen ein echtes Pflegeheim habe ich keine Bedenken.“ Aber sie und viele Mitstreiter von der Gruppierung „Niendorf. Lebenswert für alle!“ hätten das Vertrauen in die Behörden verloren. „Es gibt kein Drogenscreening der Bewohnerinnen und Bewohner und uns macht Sorgen, dass sie Alkohol konsumieren dürfen – und das alles gegenüber der Grundschule. Da entstehen Risiken.“
Niendorf: Rücknahme von Tempo 30 vor Heim in Hamburg sorgt für Verwunderung
Interessant ist in dem Zusammenhang auch, dass die Tempo-30-Strecke in dem Bereich des Garstedter Wegs plötzlich wieder aufgehoben wurde. Nach Angaben der Polizei entspricht die neue Obdachlosenunterkunft nicht mehr den Vorgaben. Ein solches Tempolimit kann von den Kommunen vor Kitas, Schulen, Alten- und Pflegeheimen oder Krankenhäusern angeordnet werden. Doch offenbar gilt das Obdachlosenheim eben nicht als Alten- und Pflegeheim.
Das findet auch Beate Müller bemerkenswert: „Für das Beibehalten der Tempo-30-Zone reicht der Betrieb der Obdachlosenunterkunft jedenfalls nicht aus. Das macht mich sehr skeptisch“, sagt die Niendorferin.