Hamburg. „Ich weine mich in den Schlaf“: Anwohner äußern ihre Ängste vor bald 134 Wohnungslosen am Garstedter Weg – und erhalten neue Infos.
- Die Diskussion um die geplante Obdachlosenunterkunft in Niendorf bewegt die Gemüter aller Beteiligten
- Anwohner haben Sorge um ihren Stadtteil
- In der Bezirksversammlung kochten die Emotionen hoch
Die Nachricht, dass am Garstedter Weg in Hamburg-Niendorf bereits ab Mitte April zwei neue Unterkünfte für Obdachlose eröffnet werden, sorgt in dem Eimsbütteler Stadtteil für sehr viel Unruhe. An die 80 Niendorfer – aufgebracht und frustriert – kamen am Donnerstagabend zur Bürgerfragestunde in die Bezirksversammlung Eimsbüttel. Sie wollten Antworten von der Politik.
Der Andrang im 12. Stock des Bezirksamtes Eimsbüttel am Grindelberg war so groß wie schon lange nicht mehr. Bei einer erlaubten Personenzahl von 120 Menschen im Ferdinand-Streb-Saal mussten einige Niendorfer draußen bleiben.
Hamburg-Niendorf: „Wir fühlen uns von der Politik überhaupt nicht abgeholt“
Sie alle eint die Enttäuschung darüber, dass in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft gleich zwei Obdachlosenunterkünfte entstehen und sie davon erst aus der Presse erfahren haben: In der Fett‘schen Villa am Garstedter Weg 20 sollen 16 Wohnungslose unterkommen, in der früheren Seniorenresidenz, Hausnummer 79-85, bis zu 118 Obdachlose mit gesundheitlichem und pflegerischem Bedarf.
Was die Anwohner so wütend macht, ist die fehlende Informationspolitik. „Wir fühlen uns von der Politik überhaupt nicht abgeholt“, sagte Anwohner Nico Heitmann in Richtung der Bezirkspolitiker und der Staatsrätin für Soziales, Petra Lotzkat, die ebenfalls in die Bezirksversammlung gekommen war.
Staatsrätin entschuldigt sich: „Beim nächsten Mal werden wir es anders machen“
Für die fehlenden Informationen entschuldigte sich die Staatsrätin. „Wir haben nicht informell Nachbarn oder die Bezirkspolitik mit einbezogen. Beim nächsten Mal werden wir das anders machen.“
Die Niendorfer fühlen sich überrumpelt, machten aber auch deutlich, dass sie ihr bislang beschauliches Leben in dem Einfamilienhausgebiet gefährdet sehen. Vor allem sorgen sie sich um das Wohl ihrer Kinder.
„Wir haben uns gezielt Niendorf ausgesucht, um dort zu leben. Es ist ein Bullerbü-Leben, in dem wir die Kinder frei groß werden lassen können“, sagte Imke D. Dass nun schwer kranke, wohnungslose Menschen aus der Gegend um den Hamburger Hauptbahnhof in das beschauliche Niendorf ziehen sollen, macht ihr Angst.
Obdachlose in Niendorf: „Diese Bewohner sind die Kinder gar nicht gewohnt“
Ihre Kinder gehen in die Grundschule Burgunderweg direkt gegenüber dem ehemaligen Pflegeheim, in dem ab dem 15. April schwer und schwerstkranke Obdachlose einziehen werden. „Seitdem ich davon erfahren haben, weine ich mich jeden Abend in den Schlaf“, sagte die besorgte Mutter.
Ein anderer Anwohner sagte: „Den Einfluss dieser Bewohner sind die Kinder gar nicht gewohnt.“ Er prophezeit eine zunehmende Anzahl von sogenannten Elterntaxis, weil Eltern ihre Kinder vermutlich lieber mit dem Auto zur Schule fahren, als sie den Weg vorbei an der Obdachlosenunterkunft zu Fuß gehen zu lassen.
Der Versuch, den Niendorfern solche Ängste zu nehmen, war schwierig. Die Emotionen überwiegen, und das Vertrauen in die Politik und Verwaltung scheint nicht gerade groß zu sein.
Garstedter Weg: „Wir haben Angst vor dem Milieu, das da hineinkommt“
Niendorf sei sicher eine „Insel der Glücklichen“, sagte Ines Schwarzarius von der SPD-Fraktion in Eimsbüttel. Die Politikerin machte aber deutlich, dass auch die Niendorfer ihren Beitrag leisten müssten. „Wenn man in einem Stadtteil lebt, in dem es einem gut geht, muss man Raum geben für Menschen, denen es nicht so gut geht.“
„Wir haben Angst vor dem Milieu, das da hineinkommt“, so ein lauter Zwischenruf. Solche Wortbeiträge machten sie „sprachlos“, so Kathrin Warnecke, Fraktionschefin der Grünen. „Das sind wohnungslose Menschen, die krank sind, die auf der Straße sterben. Jetzt endlich gibt es für diese Menschen ein Angebot. Die Welt ist kein Bullerbü, auch Niendorf nicht. Auch bei Ihnen kann Not und Elend vorkommen.“ Verständnis für die Befürchtungen der Niendorfer hat sie nicht. „Die Ängste, dass Ihre Kinder gefährdet sind, sind unbegründet.“
Obdachlosenunterkünfte: CDU möchte lieber Studenten und Azubis
Rüdiger Kuhn von der CDU-Fraktion: „Diese Leute werden sich auch am Tibarg aufhalten oder in der Erholungsanlage am Burgunderweg. Das verheißt nichts Gutes.“ Statt schwerstkranken Obdachlosen dort eine Unterkunft zu ermöglichen, plädiert Kuhn dafür, in der ehemaligen Seniorenresidenz studentisches Wohnen zu ermöglichen oder Wohnraum für Auszubildende zu schaffen.
Antworten gab es an diesem Abend dann doch einige: So wird ein Sicherheitsdienst in den Unterkünften eingerichtet, damit die Nachbarn sich weniger sorgen. Dass die Anwohner so spät von der Einrichtung der beiden Obdachlosenunterkünfte erfahren haben, sagte Petra Lotzkat, lag auch daran, dass die Verträge mit der Seniorenresidenz zunächst gesichert sein mussten, die Pläne also spruchreif waren.
Zwar sei man mit der Seniorenresidenz bereits seit dem Frühjahr 2023 im Gespräch gewesen, aber solche Verhandlungen zögen sich, so die Staatsrätin.
Staatsrätin Petra Lotzkat: „Das sind keine drogensüchtigen Kriminellen“
Der Garstedter Weg sei ein idealer Ort, um schwerstkranke Menschen zu versorgen. „Es sind Menschen dabei, die in absehbarer Zeit sterben werden.“ Menschen, die nicht auf der Straße leben können. Derzeit lebten 20 Frauen und 98 Männer noch in einer Einrichtung von Fördern & Wohnen an der Friesenstraße in Hammerbrook. Es seien demnach keine Fremden. „Wir kennen diese Menschen, darunter sind auch Menschen in Rollstühlen“, so Petra Lotzkat. In Niendorf seien die Bedingungen schlicht besser als an der Friesenstraße.
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Und die Staatsrätin stellte klar: „Das sind keine drogensüchtigen Kriminellen.“ Eine ärztliche Sprechstunde werde am Garstedter Weg eingerichtet, außerdem seien Sozialarbeiter und Ehrenamtliche vor Ort und kümmern sich um die Bewohner.
Niendorf: Die Plätze werden schrittweise belegt, am Ende sind es 134 Obdachlose
Es würden auch nicht alle 134 Plätze auf einmal bezogen, sondern nach und nach. Ein runder Tisch sei möglich. Um ab sofort für mehr Transparenz zu sorgen, hat die zuständige Sozialbehörde eine Homepage mit Fragen und Antworten zum Garstedter Weg veröffentlicht.
Und die Niendorfer, sagte eine Anwohnerin, seien durchaus hilfsbereit, „wir wollen aber mitgenommen werden. Gerade weil es hier ein Bullerbü ist, helfen wir gern.“