Hamburg. Anwohner rund um den Garstedter Weg sind besorgt und aufgebracht. Angesichts des Standorts nachvollziehbar oder unmenschlich?
Die Nachricht, dass am Garstedter Weg in Hamburg-Niendorf ab Mitte April zwei neue Unterkünfte für Obdachlose eröffnet werden, sorgt im Stadtteil für sehr viel Unruhe. Anwohner fürchte um die Bullerbü-Idylle, Eltern sind in Sorge um ihre Kinder. Ist der Aufruhr verständlich? Ja, sagt Abendblatt-Redakteurin Elisabeth Jessen – nein, findet Abendblatt-Redakteurin Geneviève Wood.
PRO – Für eine Obdachlosenunterkunft am Garstedter Weg in Niendorf
Ja, die Menschen rund um den Garstedter Weg in Niendorf wurden bis jetzt schlecht informiert. Sie erfuhren erst aus den Medien, dass in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft bis zu 134 schwer kranke obdachlose Menschen ziehen werden.
Das ist äußerst ungünstig und zunächst einmal ein Schock, der verdaut werden muss. Völlig verständlich. Denn eine solche Klientel kennen die Niendorfer in dem beschaulichen Einfamilienhausgebiet, das manche Bullerbü nennen, nicht.
Fehlende Transparenz ist immer schlecht und sorgt für die wildesten Spekulationen, für Ängste, ja manchmal sogar für regelrechte Panik.
Niendorf: Schwer kranke Menschen sollen würdevolles Leben haben
Nun aber werden die Niendorfer informiert, können jederzeit Fragen stellen. Und jetzt ist es an der Zeit, die Emotionen einmal hintanzustellen und sachlicher an das Thema heranzugehen: Da sind also schwer, teilweise sterbenskranke Menschen, die bald am Garstedter Weg leben werden, denen die Stadt ein würdevolles Leben ermöglicht. Menschen, die aus welchen Gründen auch immer obdachlos geworden sind.
Und die besorgten Anwohner? Sie fürchten um die Sicherheit ihrer Kinder, die in die benachbarte Grundschule und in die Kita gehen, sie wollen ihre Kinder lieber mit dem Auto zur Schule bringen, als sie an der Unterkunft allein vorbeigehen zu lassen.
Obdachlosigkeit ist schlimm – gefährlich ist sie nicht
Ernsthaft? Obdachlosigkeit ist schlimm – ansteckend oder gefährlich ist sie nicht. Zumal diese Menschen vor allem eines sind: Sie sind krank und nicht kriminell. Es sind keine Junkies, die sich in der Grünanlage am Burgunderweg ihren Schuss setzen werden. Letztendlich sind sie mit dem Einzug in die Unterkunft auch keine Obdachlosen mehr, sondern kranke, pflegebedürftige Menschen.
Vielleicht macht dieses Beispiel Mut: An der Bundesstraße in Eimsbüttel betreibt das Diakonische Werk eine Tagesaufenthaltsstätte für Obdachlose. Gegenüber sind das Kaifu-Gymnasium und die Kita Kaifu, daneben die Kaifu-Lodge – und es klappt. Von größeren Problemen ist nichts bekannt.
Garstedter Weg: Wer sich nur um sich sorgt, ist unmenschlich statt solidarisch
Für ältere Kinder in der Großstadt wird das irgendwann normal. Das Leben eben.
Wer diesen kranken Menschen keine würdevolle Unterkunft in der eigenen Nachbarschaft gönnt und nur um sich selbst besorgt ist, zeigt sich vor allem unmenschlich statt solidarisch.
KONTRA – Gegen eine Obdachlosenunterkunft am Garstedter Weg in Niendorf
Tue Gutes und rede darüber! Was aber, wenn wichtige Entscheidungen im Stillen getroffen werden und darüber absichtlich geschwiegen wird? Bescheidenheit ist sicher nicht der Grund dafür, dass der Senat Informationen über die beiden geplanten Obdachlosenheime in Niendorf nur stückweise herausrückt. Der verheerende Eindruck im Stadtteil: Die da oben verschweigen uns etwas.
Die Ablehnung, die jetzt überall laut wird, war erwartbar. Aber deshalb bis zum letzten Moment zu schweigen kommt bei den Niendorfern schlecht an. Sogar die Kommunalpolitiker im Bezirk sind mehr als konsterniert, dass sie erst nach monatelangen Geheimverhandlungen informiert wurden. Erst als die Pläne ruchbar wurden, weil der Senat die Bezirksversammlung beteiligen musste, rückte die Sozialbehörde mit ersten Informationen raus.
Niendorf: Menschen sind hierhergezogen, weil man hier gut leben kann
In Niendorf wohnen viele Familien und ältere Menschen. Viele Paare sind in diesen Stadtteil gezogen, weil sie sich die Mieten im Kerngebiet von Eimsbüttel oder in Eppendorf nicht mehr leisten konnten, als die Kinder kamen. Und weil das Angebot an Restaurants und Kultur, das eine Großstadt bietet, mit kleinen Kindern nicht mehr dieselbe Bedeutung hat.
Sie wohnen jetzt weniger zentral, dafür ist Niendorf grüner, luftiger bebaut als andere Stadtteile, und die Nachbarn kennen sich hier meist noch. Viele bleiben auch dann, wenn die Kinder flügge wurden, weil man hier gut leben kann.
Obdachlose: Probleme vom Hauptbahnhof werden nach Niendorf geholt
Den Niendorfern jetzt vorzuwerfen, sie seien grundsätzlich gegen Obdachlose und Menschen in Not, und ihnen vorzuhalten, Niendorf sei nun mal nicht Bullerbü, ist infam. Denn an der Schmiedekoppel gibt es eine der größten Flüchtlingsunterkünfte in Hamburg, und unzählige engagierte Ehrenamtliche kümmern sich hier seit Jahren mit um die Bewohner.
- Rattenplage in Niendorf: Wie Schilder dagegen helfen sollen
- Lokstedt: Historisches Haus mit bewegter Geschichte bedroht
- Niendorf: Plan für neues Kundenzentrum geplatzt – was die SPD fordert
Aber die Entwicklung, die der Stadtteil nach politischem Willen nehmen soll, gefällt vielen nicht. Es soll auf Teufel komm raus nachverdichtet werden, und nun holt man die Probleme, die es rund um den Hauptbahnhof gibt, in die Vorstadt.
Niendorf: Wahl des Standorts gegenüber der Schule bereitet Eltern Sorgen
Zwei neue Unterkünfte für Obdachlose mit möglicherweise erheblichen Suchtproblematiken mitten im Wohngebiet direkt gegenüber von einer Grundschule und zwei Kitas? Haben sich die Verantwortlichen das wirklich genau überlegt?
Es ist die Wahl des Standortes, die den Eltern der Kita- und Grundschulkinder, aber auch vielen anderen Menschen große Sorgen bereitet. Und es ist die Geheimniskrämerei, die sie so aufbringt. Ihnen vorzuwerfen, sie seien grundsätzlich gegen Obdachlose, ist unsachlich und ungerecht.