Hamburg. Das Kutscherhaus an der Stellinger Chaussee ist mit den Familien Amsinck und Burchard verbunden. Doch der Bezirk will es abreißen.

Verwunschen liegt das Kutscherhaus unter hohen Bäumen hinter einer Grundschule in Hamburg-Lokstedt. Von seiner Vergangenheit zeugen Ringe mit Löwenmäulern an den Mauern zum Anbinden der Pferde und die Remise, in der einst die Kutschen der Kaufmannsfamilie Amsinck standen.

Deren ehemaliges Wohnhaus, die Amsinck-Villa, liegt nicht weit weg. Sie wurde von Rathaus-Architekt Martin Haller gebaut, dem auch das Ende des 19. Jahrhunderts errichtete Kutscherhaus zugeschrieben wird. Doch während die Amsinck-Villa unlängst mit großem Aufwand denkmalgerecht saniert wurde und nun von einer Kita der Ballin-Stiftung genutzt wird, droht dem charmanten Kutscherhaus an der Stellinger Chaussee der Abriss. Zumindest, wenn es nach dem Bezirksamt Eimsbüttel geht.

Hamburg-Lokstedt: Historisches Kutscherhaus – Bezirksamt will es abreißen

Das Bezirksamt hat das zweistöckige Gebäude, das noch 2019 für 410.000 Euro zum Verkauf stand, erworben und will es abreißen lassen. Stattdessen soll dort ein Grünzug entstehen. Das 2020 von der Bezirksversammlung beschlossene Vorhaben hat mittlerweile den Denkmalschutzverein und das Forum Kollau, das sich für den Erhalt von kultureller Substanz in Niendorf, Schnelsen und Lokstedt einsetzt, auf den Plan gerufen.

Das Kutscherhaus in Lokstedt soll abgerissen werden. Herwyn Ehlers (v. l.) und Joerg Kilian vom Forum Kollau, Kristina Sassenscheidt und Zeitzeugin Elisabeth Günther-Burchard vom Denkmalverein wollen das verhindern.
Das Kutscherhaus in Lokstedt soll abgerissen werden. Herwyn Ehlers (v. l.) und Joerg Kilian vom Forum Kollau, Kristina Sassenscheidt und Zeitzeugin Elisabeth Günther-Burchard vom Denkmalverein wollen das verhindern. © FUNKE Foto Services | Mark Sandten

„Das Kutscherhaus gehört zu den letzten Resten der Landhauskultur des Stadtteils“, sagt der Forum-Kollau-Vorsitzende Joerg Kilian, der mit Kristina Sassenscheidt vom Denkmalverein zum Vor-Ort-Termin geladen hat. Tatsächlich war das Gebäude, in dessen Dachkammern Kutscher und Stallbursche schliefen, weitaus enger mit der Geschichte der Amsincks verknüpft, als sein Name es suggeriert.

Kutscherhaus in Lokstedt: In „Burchard-Villa“ nebenan war Kaiser Wilhelm II. Gast

Mit dem ursprünglichen Nachbarhaus, das im Zweiten Weltkrieg abbrannte (auf seinen Grundmauern wurde in den 50er-Jahren ein neues Haus errichtet, das noch bewohnt wird), bildete es das sogenannte Burchard-Ensemble – benannt nach dem Hamburger Bürgermeister Johann Heinrich Burchard.

Ring mit Löwenkopf an der Mauer des Kutscherhauses in Lokstedt. Hier wurden früher die Pferde der Amsincks, der Burchards und vielleicht auch des Kaisers festgebunden.
Ring mit Löwenkopf an der Mauer des Kutscherhauses in Lokstedt. Hier wurden früher die Pferde der Amsincks, der Burchards und vielleicht auch des Kaisers festgebunden. © Joerg Kilian/ Forum Kollau | Joerg Kilian/ Forum Kollau

Dieser hatte 1877 Amsinck-Tochter Emily Henriette geheiratet und bewohnte mit ihr die im Schweizer Stil errichtete „Burchard-Villa“, die ihr Vater an der Stellinger Chaussee von Haller bauen ließ. Auch das gleichzeitig entstandene Kutscherhaus wird dem bekannten Architekten zugeschrieben. Durch die Freundschaft von Bürgermeister Burchard mit Kaiser Wilhelm II. war dieser oft bei ihm zu Gast.

„Hier, wo jetzt die Pfütze ist, stand früher eine Marmorsäule mit der Büste des Kaisers“, sagt Elisabeth Günter-Burchard, die mit dem Enkel des Bürgermeisters verheiratet war. Bis in die 1970er-Jahre habe die Familie Burchard in den beiden Häusern gelebt.

Lokstedt: Saga vermietete das Kutscherhaus bis 2017 als Wohnhaus

Sie und ihr Mann bewohnten mit ihren beiden Kindern in den 60er-Jahren das Kutscherhaus. „Es war spartanisch, mit Kohleheizung und ohne Warmwasser, aber irgendwie auch schön“, erinnert sich die 87-Jährige, die sich ebenfalls im Denkmalverein engagiert.

Später ging das Kutscherhaus in das Eigentum der Saga über, die es bis 2017 als Wohnhaus vermietete und dann zum Verkauf anbot. Seitdem steht es leer. Sein baulicher Zustand sei bei einer Besichtigung im Jahr 2020 jedoch gut gewesen, sagt Joerg Kilian. Bis auf einen Wasserschaden, der durch Unachtsamkeit entstanden sei, gebe es keine wesentlichen Schäden.

Blick ins Innere des Kutscherhauses mit Kachelofen und Dielenboden. Nach Angaben des Hamburger Denkmalschutzamts wurde das Haus zu stark umgebaut, um es unter Schutz zu stellen.
Blick ins Innere des Kutscherhauses mit Kachelofen und Dielenboden. Nach Angaben des Hamburger Denkmalschutzamts wurde das Haus zu stark umgebaut, um es unter Schutz zu stellen. © Joerg Kilian/ Forum Kollau | Joerg Kilian/ Forum Kollau

Er schlägt vor, aus dem Haus einen kulturellen Ort zu machen – zum Beispiel eine außerschulische Bildungsstätte mit Workshops, Vorträgen oder Ausstellungen zur Geschichte Eimsbüttels. So, wie es der Stadtparkverein im ehemaligen Sierichschen Forsthaus umsetzt.

Der Denkmalverein unterstützt diese Vision. „Wir plädieren dringend dafür, dieses bauliche Zeugnis der Eimsbütteler Geschichte zu sanieren und einer für den Stadtteil sinnvollen Nutzung zuzuführen“, sagt Kristina Sassenscheidt. Gerade nördliche Stadtteile wie Stellingen und Lokstedt hätten durch den Krieg und die anschließende Stadtplanung sehr viele historische Gebäude verloren.

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Das Denkmalschutzamt ist anderer Ansicht. Das Kutscherhaus sei zu Wohnzwecken zu stark umgebaut worden, um unter Schutz gestellt zu werden, so Sprecherin Claudia Preiksch. Auf Nachfrage, warum das bei der Amsinck-Villa, in der in den 50er-Jahren etliche Sozialwohnungen eingebaut wurden, keine Rolle gespielt habe, betont sie, dass eine Unterschutzstellung auch vor Gericht Bestand haben müsse. Das Kutscherhaus erfülle die Grundvoraussetzung dafür nicht, weil es zu einem großen Teil nicht mehr aus seiner Erbauungszeit stamme, so Preiksch.

Lokstedt: Grünzug an Stellinger Chaussee soll Anbindung an Amsinckpark werden

Sobald die Flächen vollständig zur Verfügung stehen (und die Nachbarin des Kutscherhauses ausgezogen ist), will das Bezirksamt mit einem externen Büro in die konkreten Planungen der Parkanlage einsteigen. „Ziel wird sein, eine verbesserte Wegeverbindung und Aufenthaltsqualität für die Bevölkerung zu erreichen. Und den Bereich durch Entsiegelung und Abbruch der Gebäude ökologisch aufzuwerten“, so Bezirkssprecher Kay Becker.

Vorstellbar sei eine attraktive Grünfläche mit Sitzmöglichkeiten und Spielelementen. Der Baumbestand und andere „ökologisch wertvolle Strukturen“ sollten erhalten bleiben. Mit der vor wenigen Wochen fertiggestellten Wegeverbindung „Hinter der Lieth“ mit direkter Anbindung an den Amsinckpark sei ein erster Teil der geplanten Grünanlage bereits fertiggestellt worden.