Hamburg. Ein Angehöriger schildert, wie betagte Bewohner die Unterkunft am Garstedter Weg räumen mussten. Die Diakonie bittet um Akzeptanz.
Der 12. März 2024 ist ein Datum, das sich viele Niendorfer schon im Kalender markiert haben, denn an diesem Tag sollen Bewohner des Stadtteils nähere Informationen über die beiden neuen Obdachlosenunterkünfte am Garstedter Weg bekommen. In einem Schreiben an die benachbarte Grundschule wurde nun auch die Uhrzeit für die Infoveranstaltung genannt: 18 bis 20.30 Uhr in der Kirche am Markt in Niendorf (Niendorfer Marktplatz 3a).
Nicht alle Niendorfer aber wollen noch so lange warten und werden sich schon an diesem Donnerstagabend zur öffentlichen Fragestunde in der Bezirksversammlung Eimsbüttel aufmachen, um dort weitere Details über die Schließung des Seniorenheims zu erfahren.
Hamburg-Niendorf: 94-Jähriger musste aus Heim am Garstedter Weg ausziehen
Volker Quast, dessen Vater mit 94 Jahren aus dem Pflegeheim ausziehen musste, hat angekündigt, auch darauf bei der Bezirksversammlung hinweisen zu wollen. „Die Verabschiedung schien mir wie eine lebendige Beerdigung.“ Denn es gehe um 40 betroffene Menschen, die sich nun neu orientieren müssten.
„Meine Eltern lebten seit 1964 in Niendorf und kamen 2016 beide ins Pflegeheim Garstedter Weg. Gemeinsam lebten sie in einem 36 Quadratmeter großen Zimmer und wurden herzlich betreut. Meine Mutter verstarb 2022, mein Vater baute altersgemäß weiter ab“, so der Sohn des Paares. Am 21. Februar habe sein Vater nun im Alter von 94 Jahren noch einmal umziehen müssen.
Garstedter Weg: Kündigung für Altenheim kam erst Anfang Februar 2024
Er habe als betreuender Sohn am 2. Februar 2024 einen Brief vom Pflegeheim bekommen, in dem der Vertrag zum 31. März 2024 gekündigt worden sei. „Zu wenig Pflegepersonal und mangelnde Barrierefreiheit im Anbau sind als Gründe angegeben worden“, sagt der 66-Jährige.
„Die 40 Bewohner wurden recht schnell in umliegenden Pflegeheimen ‚untergebracht‘. Es wurde auch eine Depandance der betreibenden Deutschen Seniorenstift Gesellschaft an der Alsterkrugchaussee angeboten.“ Sein Vater sei dort eingezogen. „Das Zimmer ist ein Drittel kleiner, aber 250 Euro teurer.“
Der Tag des Abschieds sei emotional sehr belastend für alle Beteiligten gewesen, die seinen Angaben zufolge „bis dahin eine funktionierende, harmonische Gemeinschaft bildeten. Betreuer weinten, Bewohner wussten nicht, was los ist, und beobachteten das Treiben mehrerer Umzüge schweigend.“
Geschlossenes Heim in Niendorf: Angehörige leiden mit pflegebedürftigen Eltern
Angehörige fühlten sich schlecht, weil sie so etwas für ihre alten, pflegebedürftigen Eltern niemals wollten. Pflegebedürftige, sehr alte Menschen, die diese Stadt nach dem Krieg mit aufgebaut haben, würden „verpflanzt“. Eine Beteiligte habe die Situation auf den Punkt gebracht: „Das ist nicht richtig!“
Das Diakonische Werk Hamburg dagegen begrüßt die Pläne für die Obdachlosenunterbringung und bittet die Niendorfer um Offenheit. „Wir kennen sehr gut die Fragen, Sorgen und auch Vorbehalte von Hamburgerinnen und Hamburgern, wenn in ihren Nachbarschaften Hilfsprojekte für obdachlose und suchtkranke Menschen, Geflüchtete oder andere sozial Benachteiligte geplant werden. Wir selbst und unsere über 300 Träger machen immer wieder die Erfahrung, dass wir überzeugen und um Akzeptanz in den Sozialräumen werben müssen“, sagt Dirk Hauer, Sozialexperte der Diakonie Hamburg.
Obdachlosenunterkünfte: Diakonisches Werk bittet Niendorfer um Akzeptanz
Das gelinge in aller Regel, „und zwar vor allem deshalb, weil wir einerseits die Sorgen und Befürchtungen ernst nehmen und andererseits plausibel machen können, dass diese Sorgen und Befürchtungen in aller Regel auf falschen oder nicht bekannten Informationen beruhen.“ Allerdings hapert es in Niendorf genau daran – die Anwohner wurden bislang nicht offiziell informiert.
Dirk Hauer sagt, der Zusammenhalt in einer Gesellschaft und einer Stadt wie Hamburg zeige sich nicht zuletzt auch daran, „wie wir konkret mit den Schwächsten in unserer Mitte, in unseren Nachbarschaften umgehen. Und da nehmen wir als Diakonie noch immer ein sehr hohes Maß an Solidarität wahr.“
Obdachlose in Niendorf: Sozialexperte setzt sich seit Jahren für Pflegeeinrichtung ein
Das Diakonische Werk Hamburg setze sich seit vielen Jahren für eine Pflegeeinrichtung für obdachlose Menschen ein. Niemand in der Stadt könne wollen, dass Menschen auf der Straße alt, schwer und teilweise gar todkrank werden und dann nicht versorgt werden.
„Wenn jetzt die Stadt eine spezielle Unterbringungseinrichtung für 118 solcher Menschen errichtet, dann ist das ein notwendiger Schritt in die richtige Richtung. Wir denken nicht, dass dadurch das soziale Gefüge oder die Sicherheitslage in Niendorf tatsächlich gefährdet würde“, so der Sozialexperte der Diakonie.
Das gelte auch für das Übergangswohnen in der Fett’schen Villa, wo 16 obdachlose Menschen, die aus allen Leistungssystemen herausgefallen sind, vorübergehend unterkommen können. „Genau wie in anderen Stadtteilen und Nachbarschaften auch, werden die neuen Nachbarn nicht unbemerkt bleiben, sie werden zur Nachbarschaft dazugehören. Aber eine Bedrohung oder Gefährdung wird von ihnen nicht ausgehen. Das ist die Erfahrung, die viele andere Sozialräume und Nachbarschaften auch gemacht haben“, sagt Dirk Hauer.
Hamburg-Niendorf: An der Grundschule gibt es Gespräche zwischen Behörden und Eltern
Doch davon sind viele Niendorfer nicht überzeugt. An der benachbarten Grundschule am Burgunderweg gab es in der vergangenen Woche ein erstes Gespräch zwischen Schullleitung, Elternrat und Behördenvertretern, dem in dieser Woche weitere folgten. In einem Schreiben des Amtes für Soziales an die Schulleitung, das dem Abendblatt vorliegt, bedauert die Amtsleiterin ausdrücklich „die nicht optimale Kommunikation im Vorwege mit der Schule und der Nachbarschaft“.
Darin besteht in der Hauptsache auch die Kritik im Stadtteil, dass es selbst jetzt, da die Pläne auf dem Tisch liegen, immer noch keine offiziellen Informationen für die Niendorfer gibt. Sorgen gibt es dafür schon.
Unterkünfte am Garstedter Weg: SPD-Politiker kritisiert Informationspolitik
Der SPD-Bürgerschaftsabgeordnete Marc Schemmel aus Niendorf bekommt sehr viele Fragen von besorgten Bürgern. Er hat am Mittwoch in einer Info-Mail die bislang bekannten Informationen aufgelistet und sagt: „Uns wurde zugesichert, dass mit einer schrittweise aufbauenden Belegung erst begonnen werde, wenn ein mit Schulen und Kitas abgestimmtes Sicherheitskonzept besprochen sei.“
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Er habe mittlerweile schon den Eindruck, dass bei allen behördlichen Stellen sehr deutlich angekommen sei, welche Sorgen und Erwartungen es gibt – gerade mit Blick auf Themen wie Schulwegsicherheit und Entwicklungen im öffentlichen Raum. „Für Eltern und Nachbarschaft müssen hier nachvollziehbare Antworten und Konzepte präsentiert werden, damit dies positiv begleitet werden kann“, so Marc Schemmel.
Die künftigen Bewohnerinnen und Bewohner der Einrichtungen könnten aber natürlich nichts für Kommunikationsversäumnisse und bisherige mangelhafte Einbindung. Die Sozialbehörde habe inzwischen eine Mail-Adresse eingerichtet, an die Fragen direkt geschickt werden können: fragengarstedterweg@soziales.hamburg.de.
Unterkünfte am Garstedter Weg in Niendorf – Mutter sorgt sich um ihre Tochter
Eine Mutter, deren Tochter auf die Grundschule Burgunderweg geht, sagte dem Abendblatt: „Ich weiß nicht, ob ich meine Tochter noch allein den Schulweg machen lassen soll oder ob sie allein am Abend noch zur Sportstunde gehen kann.“ Sie sorge sich fast noch mehr wegen der künftigen Bewohner der Fett‘schen Villa, denn diese seien ja deutlich weniger mobilitätseingeschränkt als jene im ehemaligen Pflegeheim an der Hausnummer 79–85 und damit im Stadtteil und vor allem auf dem Tibarg, der Einkaufsmeile, präsent.
Eine Abendblatt-Leserin schreibt: „Hier in Niendorf war ein Ort der Ruhe und Beschaulichkeit, das ist seit geraumer Zeit vorbei. Auf dem Tibarg liegen Obdachlose in Hauseingängen, und an jeder Ecke wird gebettelt. Das ist traurig, aber noch trauriger finde ich, dass Pflegeheime geschlossen werden und Behinderte durch Obdachlose ersetzt werden.“