Hamburg. Platzwarte sollen Kokain- und Crack-Süchtigen sowie Obdachlosen rund um den Hauptbahnhof helfen. Was das neue Konzept kosten soll.
Die Vorbilder sind Wien und Zürich: Der Hamburger Senat will die katastrophale Situation um den Hauptbahnhof mit neuen Maßnahmen angehen. Dazu gehören ein Umbau am Drob Inn, dem Konsumraum für Kokain- und Cracksüchtige, eine Konzentration von Hilfsangeboten zum Beispiel auch für Obdachlose an der Bahnhofsmission und der Einsatz von Platzwarten. Diese „Sozialraumläufer“ genannten Hilfskräfte sollen je zu dritt in einem Zweischichtenmodell von morgens um 6 bis abends um 22 Uhr Bedürftige auf die Regeln hinweisen, ihnen Hilfsangebote zeigen und auch Ansprechpartner für Anwohner und Reisende sein. Am ersten März-Wochenende ist das Projekt gestartet.
Das Neue ist, dass die Helfer auf die Hilfesuchenden und am Hauptbahnhof Gestrandeten aktiv zugehen. Wie Sozialsenatorin Melanie Schlotzhauer (SPD) sagte, sei das Konzept mit den Trägern der Drogen- und Obdachlosenhilfe erarbeitet worden. Nach der Einschätzung der Behörden habe sich die Lage am Drob Inn etwas gebessert. Das mag aber auch mit der – nassen – Witterung zusammenhängen.
Hamburger Hauptbahnhof: Neue Maßnahmen für Drogensüchtige und Obdachlose
Schlotzhauer sagte: „Die Akzeptanz für obdachlose und drogensüchtige Menschen droht zu sinken. Wir werden aber einen größeren Hilfebedarf haben.“ In dieser neuen Form des Zugangs zur Problemklientel am Hauptbahnhof unterscheiden die Behörden für Soziales und für Inneres sowie das Bezirksamt Mitte künftig in drei Fallgruppen: die Menschen, die bereits einen Anspruch auf Hilfe und Leistungen haben, die, die einen haben könnten, und die, die keinen haben. In Beratungsstellen soll der „anspruchslosen“ Gruppe eine Rückkehr in ihre Heimatländer aufgezeigt werden.
„In den Räumlichkeiten der Bahnhofsmission errichten wir vom 1. April an einen sogenannten social Hub. Das steht für Hilfe und Beratung“, sagte Schlotzhauer. In dieser neuen Koordinierungsstelle werde es eine Expertise für alle Zielgruppen rund um den Hauptbahnhof geben. „Wir wollen verhindern, dass fünf unterschiedliche Träger auf diese Zielgruppen losgehen“, so Schlotzhauer. Zu den weiteren Einrichtungen, in die die Betroffenen dann gehen sollen, zählen der sozialpsychiatrische Dienst, Arztpraxen, das Jobcenter oder Übergangswohnungen im Bezirk Eimsbüttel. Dort könnten, so Schlotzhauer, „Menschen vom Hauptbahnhof zur Ruhe kommen“.
Drob Inn und Streetwork Mobil als Beratung und Shuttle
Das sei noch nicht „housing first“, ein Konzept, das unter anderem die Experten des Straßenmagazins „Hinz und Kunzt“ fordern und bereits verwirklicht haben. Die Stadt sucht jedoch weiter nach Immobilien wie der, die jetzt in Niendorf in einem ehemaligen Seniorenheim für Obdachlose mit medizinischen Bedarfen eingerichtet wurde. Neu sein wird am Hauptbahnhof auch ein Streetwork Mobil, in dem es zum einen Beratung geben soll und das zusätzlich für Bedürftige als Shuttle zu anderen Einrichtungen dienen soll.
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Hamburger Hauptbahnhof: Alkoholkonsumverbot ab 1. April 2024
Mitte-Bezirksamtsleiter Ralf Neubauer sagte, am Drob Inn werde es im Laufe des Jahres Umbauten geben, die insgesamt etwa 1,3 Millionen Euro kosten werden. Das Gros dieser Summe wird für eine (blaue) Asphaltfläche verwendet. Aufwendig werden jedoch außerdem ein neuer Sichtschutzzaun („Stabmattenzaun“ mit durchlässigen Elementen) sowie ein Baumhain, in dem Bäume mit rund 25 Zentimeter Durchmesser gepflanzt werden sollen, damit sie von Beginn an solide stehen. Zwei Drittel der Fläche vor dem Drob Inn sollen für die Suchtkranken sein, ein Drittel für das neue Grün. Leuchtmasten mit LED-Lampen erhellen in Zukunft den tristen Ort.
Alle Maßnahmen seien mit Polizei und Drob Inn abgesprochen. Der viel diskutierte zweite Drogenkonsumraum, ein zweites Drob Inn, könnte in Zukunft noch kommen. Momentan reichten aber die Kapazitäten im bestehenden aus, sagte Sozialsenatorin Schlotzhauer.
„Schnappatmung“: Kritik an Kosten für Sozialraumläufer
Für die CDU kommen die Senatspläne zum Hauptbahnhof spät und reichten nicht aus. Der Fraktionsvorsitzende Dennis Thering sagte: „Sie sind ein weiteres Beispiel für ein jahreslanges Wegschauen von SPD und Grünen bei essenziellen Problemfeldern unserer Stadt. Wie beim Kriminalitätsschwerpunkt Hauptbahnhof reagiert der rot-grüne Senat erst nach massivem Druck von Opposition und Öffentlichkeit.“ Thering mutmaßt, dass das neue Konzept vor dem Hintergrund der Bezirkswahlen 2024 präsentiert worden sei. Mit Blick auf den geplanten Sichtschutzzaun am Drob Inn sagte er: „Das Motto: ,Aus den Augen, aus dem Sinn‘ ist für die Betroffenen viel zu wenig und reicht nicht aus, um die Gegend um den Hauptbahnhof wieder sicher und ordentlich zu machen.“
Auch die Bürgerschaftsfraktion der Linken äußerte Kritik an den „Sozialraumläufern“, die laut Senatsantwort auf eine Kleine Anfrage rund 740.000 Euro in 18 Monaten kosten sollen. „Wenn man die Sozialarbeit der Einrichtungen zunichte machen will, dann so: Einen Sicherheitsdienst einsetzen und ‚sozial‘ davor schreiben. Das ist doch wirklich absurd!“, sagte Olga Fritzsche, sozialpolitische Sprecherin.
Ein Sicherheitsdienst konterkariere die Sozialarbeit und könne diese nicht ersetzen, so Fritzsche weiter: „Wenn ich nun auch noch lese, dass der Einsatz des Sicherheitsdienstes 740.000 Euro kosten soll, kriege ich Schnappatmung.“ Es gebe deutlich bessere und nachhaltigere Maßnahmen. Alternativ könne für das Geld etwa eine „konsumtolerante Tagesaufenthaltsstätte“ eingerichtet oder die Anzahl der Notschlafplätze für Konsumenten aufgestockt werden.
Schlotzhauer will Druck von der Innenstadt nehmen
Im vergangenen Jahr wurde rund um den Hauptbahnhof eine Waffenverbotszone eingerichtet. Vom 1. April an gilt ein Alkoholkonsumverbot. Auch darauf sollen die „Sozialraumläufer“ achten. Dieses Konsumverbot beschränkt sich auf den Hauptbahnhof, den Hachmannplatz und den Heidi-Kabel-Platz. Die neuen Helfer konzentrieren sich auf den Bereich der Waffenverbotszone mit einem „Fokus“ auf den ZOB und das Drob Inn.
Senatorin Schlotzhauer sagte, man wolle den Druck von der Innenstadt nehmen. „Social HuBs“ könnten zukünftig auch in weiteren Bezirken eingerichtet werden. Der Hauptbahnhof könnte dafür eine Blaupause sein. Im Sommer werden Ergebnisse einer Obdachlosenbefragung erwartet, die bundesweit lief. Sind diese Betroffenen besonder „vulnerabel“, also zum Beispiel in kritischem medizinischen Zustand, werden sie in Hamburg auch ohne einen Anspruch auf Leistungen versorgt. Das geschieht zumeist am Standort Friesenstraße. Für die Tagesaufenthaltsstätte an der Spaldingstraße wurde der Vertrag gerade bis Mitte 2025 verlängert. Auch das, so die Sozialbehörde, diene der Entlastung der Situation am Hauptbahnhof.