Hamburg. Wo ist es in der Stadt am schönsten? Teil 37: Wo Ortsfremde ins Staunen kommen und junge Familien eine Heimat finden.
Gerade hat die Kohlmeise ihr erstes Liedchen angestimmt. Der Buchfink ist schon länger wach. Zwei Buntspechte hämmern um die Wette ihr Frühstück aus den Baumrinden. Unter dem dichten bunten Kronendach stolzer Buchen schlängelt sich ein Flüsschen durchs Tal. Ein Herbstmorgen im Voralpenland? Weit gefehlt.
Wir befinden uns mitten in Hamburg, genauer: in Wellingsbüttel – womit wir auch gleich beim zentralen Thema sind: Natur. Hier erwacht soeben der Wald an einer der schönsten Passagen des Alsterlaufs. Bekannte, die zum ersten Mal zu Besuch waren, wollten partout nicht glauben, dass um dieses Idyll die Großstadt in alle Himmelsrichtungen weiter geht.
Wenn es Wellingsbüttel nicht schon gäbe – man müsste es erfinden. Gediegenes Wohnen so nah am Zentrum und zugleich eingehüllt ins satte Grün von Parks und Gärten, so etwas muss man in Hamburg lange suchen. Es ist zum großen Teil einem günstigen Erbe des Stadtteils zu danken. Einst unter schwedischer, dann unter dänischer Herrschaft wurden 1912 die weitläufigen Ländereien des Gutes Wellingsbüttel durch die Alsterthal-Terrain-Actien-Gesellschaft aufgeteilt. Weil man den ländlichen Charakter unbedingt erhalten wollte, mussten Grundstücke mindestens 5000, später 2000 Quadratmeter groß sein – was sich naturgemäß nur begüterte Familien leisten konnten.
Wellingsbüttel: Das sind die Fakten
- Einwohner: 10.592
- Davon unter 18: 1924
- Über 65: 2998
- Durchschnittseinkommen: 88.606 € (2013)
- Fläche 4,1 km²
- Anzahl Kitas: 6
- Anzahl Schulen: 1 Grundschule; 1 Stadtteilschule
- Wohngebäude: 2906
- Wohnungen: 5236
- Niedergelassene Ärzte: 25
- Straftaten im Jahr 2018: Erfasst: 514; Aufgeklärt: 111
Begütert sind die meisten Wellingsbüttler auch heute noch. Das mag ein Grund sein, warum sie in benachbarten Stadtteilen im Ruf stehen, die Nase etwas höher zu tragen. Ob das stimmt? Man möchte entgegnen, dass Neid erst mal verdient werden will. Aber dass in Wellingsbüttel mit Privateinkünften, die im Schnitt mehr als 100 Prozent über dem Hamburger Mittel liegen, hemmungslos geprahlt würde, kann nun wirklich niemand behaupten.
Im Gegenteil: Viele der alten und auch neuen Villen ducken sich eher hinter hohen Hecken aus Buche oder Eibe, als dass sie als monetäre Ausrufezeichen ins Blickfeld drängten. Überhaupt sucht man in Wellingsbüttel eine spektakuläre Bühne, wie sie Othmarschen mit der Elbe oder Harvestehude mit der Alster haben, vergeblich. Man pflegt hier gediegene Zurückhaltung, mitunter sogar spießige Behaglichkeit in baumgesäumten und kopfsteingepflasterten Wohnstraßen. Es ist der Charme des Althergebrachten, der diesen Stadtteil ausmacht. Und wer wollte allen Ernstes behaupten, dass ihm die modernen, graffitiverschmierten Häuserzeilen zentrumsnaher Quartiere besser gefielen?
Viele Rentner
Dass die älteren Semester hier klar in der Mehrzahl sind, ist kaum zu übersehen. 30 Prozent der Einwohner haben das Rentenalter bereits erreicht. Zugleich aber entdecken immer mehr junge Familien den Stadtteil mit seinen 10.000 Einwohnern. Nicht von ungefähr gibt es bereits sechs Kitas, die sich um Nachwuchs kümmern. Die Mieten liegen häufig nicht nennenswert über dem Hamburger Durchschnitt, und eine schmucke Wohnung in einem Klinker-Neubau ist durchaus für unter 5000 Euro pro Quadratmeter zu haben.
Hamburgs Zentrum erreicht man in einer halben Stunde mit der S-Bahn, die an den Stationen Wellingsbüttel und Hoheneichen gleich zweimal haltmacht. In die andere Richtung ist es nur eine Station zum Alstertal-Einkaufszentrum Poppenbüttel.
Allerdings hat Wellingsbüttel selbst weit mehr zu bieten, als auf den ersten Blick zu vermuten ist. Im „Dorf“, wie die Einheimischen es nennen, trifft man sich dienstags und freitags auf dem Wochenmarkt, in dessen gemütlicher Enge vor allem Gemüse, Obst und Fleisch von Biohöfen aus der Region abgewogen werden. Danach geht’s ins Café zur einen Seite, der Supermarkt liegt auf der anderen und die Alte Apotheke schräg gegenüber. Gleich zwei Geschäfte bieten Hochwertiges zum Einrichten und Wohnen. Wer ausgehen will, ist unter anderem mit Steakhaus, Weinbar oder Italiener gut bedient.
Eines bleibt rätselhaft
Und was ist mit Kultur? Hat Wellingsbüttel selbstverständlich auch, welch eine Frage. Der Weg dorthin führt wieder Richtung Alstertal-Idylle bis zum Torhaus des ehemaligen Gutshofes. Im rechten Flügel des restaurierten Backsteinbarock-Gebäudes von 1757 schmiedet der Kulturkreis Jahr für Jahr ehrenamtlich ein ansehnliches Programm aus Lesungen, Ausstellungen und Konzerten zusammen. Erst kürzlich begeisterten die Blues- und Boogie-Legenden Abi Wallenstein und Axel Zwingenberger ihr Publikum.
Und im linken Flügel des Torhauses erzählt das Alstertal-Museum anhand von bäuerlichen Geräten und Kleidung aus alter Landwirtschaft sowie Fundstücken und Gemälden die Geschichte des Gutes, des alten Dorfes und der gesamten Region.
Noch Zweifel, dass es einen lebens- und liebenswerteren Stadtteil in Hamburg nicht gibt? Na also! Eines allerdings bleibt rätselhaft: das Phänomen nämlich, dass in Wellingsbüttel pro Kopf der Bevölkerung fast siebenmal so viele Fahrräder gestohlen werden wie im benachbarten Sasel ...
Wellingsbüttel: Das sind die Highlights
1. Gut Wellingsbüttel
Das Café im Herrenhaus mit seinen stuckverzierten Räumen und Sonnenterrasse bietet neben dem „Herrenhaus-Frühstück“ Kaffeespezialitäten sowie leckere Torten und Kuchen (Mi 10–18 Uhr) an. Vis-á-vis im Torhaus ist das Alstertal-Museum zur Geschichte des Stadtteils und der Region unbedingt einen Besuch wert (Sa/So 11–13 und 15–17 Uhr).
2. Alsterlauf
Man glaubt nicht nur, im Wald zu stehen, man tut es tatsächlich. Alte hohe Buchen in hügeligem Gelände laden zum Wandern und Joggen ein. Ideal sind die Wege auch für den Spaziergang mit Hund. Stadtgeräusche dringen hierher kaum vor. Ab und an schaukeln Kanus auf dem Fluss vorbei. Eine Idylle, wie man sie mitten in einer Millionenstadt nicht erwartet.
3. Wochenmarkt
Immer dienstags und freitags vormittags werden neben dem Rewe-Supermarkt rund 20 Stände aufgebaut. Sie stehen dicht an dicht, sodass sich eine gemütliche Atmosphäre verbreitet. Händler und Kundschaft kennen einander seit vielen Jahren, entsprechend vertraut ist der Ton. Wer Regionales und Bio bevorzugt, ist hier genau an der richtigen Adresse