Hamburg. Wo ist es in der Stadt am schönsten? Teil 7: Wo Til Schweiger aus dem Geländewagen hüpft und Nachbarschaft großgeschrieben wird.

Dieser Tag ist ein Freund. Während der Arbeitszeit durch Nienstedten zu lustwandeln, den beschaulichen Charme zu genießen, hin und wieder Klönschnack zu halten – ein Geschenk des Himmels. Zwar ist der Spesenetat arg begrenzt; doch nimmt man, was man kriegen kann. Für einen Eisbecher mit drei Kügelchen reicht es. Fängt gut an. Vor dem Café Dante im Ortskern Nien­stedtens halten wir Einkehr. Im Vergleich zu anderen Stadtteilen gibt es hier einen solchen Mittelpunkt. Sehr kultiviert und gepflegt. Von Stress und Großstadthektik ist wenig zu spüren.

So muss es um das Jahr 1751 gewesen sein, als ein paar Meter weiter ein Gotteshaus errichtet wurde, und Gläubige aus den umliegenden Dörfern Blankenese, Osdorf, Sülldorf und Rissen das Kirchspiel Nienstedten besuchten. Traditionell waren in der Folge vor Ort Kleinbauern und Handwerk ansässig. Später fanden Pfeffersäcke am Hochufer der Elbe gediegene Landsitze. Ein bisschen blieb die Mischung so. Hanseatisch, stabil, erdverwachsen. Damals wie heute ist der Charme der Bourgeoisie dezenter als in anderen Elbvororten. Schön gemütlich. Nirgendwo sonst ist Hamburg so herrlich hanseatisch.

Ferrari und Fahrrad – in Nienstedten geht beides

Der Blick fällt auf jede Menge Wagen: Kinderwagen auf dem Bürgersteig und großkalibrige Geländewagen am Straßenrand. Stichworte: viele Familien und überdurchschnittliche Vermögensverhältnisse. Stimmt beides. 23,3 Prozent der Haushalte haben Kinder. Die Einkünfte je steuerpflichtigem Bürger sind dreimal höher als im Durchschnitt der Hansestadt. Das muss kein Pluspunkt sein, fördert indes den Umsatz der Läden im Dorf. Fahrrad und Ferrari – in Nienstedten passt das zusammen. Kon­traste steigern den Reiz.

Abendstimmung auf der Terrasse des Louis C. Jacob in Nienstedten.
Abendstimmung auf der Terrasse des Louis C. Jacob in Nienstedten. © HA | Thorsten Ahlf

Nach wie vor gedeihen traditionelle Handwerksbetriebe: Polsterer, Maler, Zimmerer, Buchbinder. Jens Uwe Groth, der Schuhmachermeister, gehört mit seinem urwüchsigen Naturell zu den unverwechselbaren Typen. In einem Fachwerkhaus an der Georg-Bonne-Straße blüht ein erstklassig geführter Blumen­laden. Der niedergelassene Arzt Kamran Sedighi, eine Institution im Quartier, kümmert sich nicht nur um Hals, Nasen und Ohren seiner (oft jugendlichen) Patienten, sondern um deren Seelenleben.

Nienstedten: Das sind die Fakten

  • Einwohner: 7274
  • Davon unter 18: 1427
  • Über 65: 1859
  • Durchschnittseinkommen: 120.716 € (2013)
  • Fläche: 4,3 km²
  • Anzahl Kitas: 7
  • Anzahl Schulen: 1 Grundschule
  • Wohngebäude: 1828
  • Wohnungen: 3258
  • Niedergelassene Ärzte: 17
  • Straftaten im Jahr 2018: 435 erfasst, 96 aufgeklärt

Til Schweiger hüpft aus seinem Geländewagen

Nachbarschaft wird großgeschrieben. Die Führungsakademie der Bundeswehr und der Internationale Seegerichtshof tragen zum Nimbus bei. Und die Postfiliale versteckt sich in einem Laden mit dreifachem Angebot: vorne Brötchen, in der Mitte Zeitungen, im hinteren Raum Briefmarken. Das existiert sonst nur auf dem Dorfe. Eben!

Die Kuh schmückt das Dach der Feuerwache an der Georg-Bonne-Straße.
Die Kuh schmückt das Dach der Feuerwache an der Georg-Bonne-Straße. © HA | Roland Magunia

Man kennt sich, und man schnackt miteinander. Eiskugel vier, bitteschön. Tischnachbar Wolfgang Cords, mit seiner Familie hier seit fast 300 Jahren verwurzelt, gilt als Grande vor Ort. Der Jurist und Chronist führt ehrenamtlich den Internetauftritt www.nienstedten.de. Nicht nur als Vorsitzender des Fördervereins der Freiwilligen Feuerwehr von 1886 kennt er Gott und die Welt.

Til Schweiger hüpft aus seinem Geländewagen. Kneipenlegende Manni Schlag kommt des Weges. Sein Lokal wird aktuell als „Ruperti“ betrieben. Auch im „Il Sole“, im „Marktplatz“, in der „Schmiede“, im „Engel“ sowie in der „Dübelsbrücker Kajüt“, im „Witthüs“ im Hirschpark oder an der „Kleinen Rast“ am Flussufer wird man formidabel bewirtet. Mit seiner „Bar Seven“ kämpft Hendrik wider das Kneipensterben. „Man kommt in Nienstedten auf seine Kosten“, weiß Wolfgang Cords, „und muss den Stadtteil gar nicht verlassen.“

Baron Voght und Heidi Kabel liegen hier begraben

Das weiß Pastor Tilmann Präckel ebenfalls. Der herzerfrischende Geist­liche ist Co-Autor eines Buches über den Nienstedtener Friedhof. Dort haben auch Reichskanzler Bernhard von Bülow, Baron Voght, Heidi Kabel oder die Reemtsmas ihre letzte Ruhe gefunden. Der Gospelchor und die Kantorei der Gemeinde stoßen in der Nachbarschaft auf enormen Widerhall. Wer einen Mann wie einen Amboss erleben will, sollte bei Fleischermeister Rolf Hübenbecker Roastbeef kaufen – und einige Worte wechseln. Vis-à-vis seinem Geschäft liegt die im Volksmund „Kap Hoorn“ genannte Dorfwiese. Dort befindet sich ein Gedenkstein des aktiven Bürgervereins. Wer Platt snackt, ist mittenmang.

Eiskugel Nummer fünf lassen wir doch links liegen (ein Jammer!) und machen uns auf den Weg Richtung Kirche. Beseelt von Dantes Erkenntnis: „Drei Dinge sind aus dem Paradies geblieben: Sterne, Blumen und Kinder.“ Der italienische Philosoph Dante Alighieri könnte Nienstedten im Sinn gehabt haben.

Kopfsteinpflaster und Häuser mit Reetdach

In schnuckeligen Vordergärten gedeiht Blumenvielfalt. Kopfsteinpflaster und Häuser mit Reetdach prägen den Charakter. Zu den S-Bahn-Stationen Klein Flottbek und Hochkamp sind es zu Fuß nur wenige Minuten. Ein Jahrmarkt (am kommenden Wochenende) sowie ein Adventsbummel tragen zur Identität bei. Es ist die DNA von Nienstedten. Zu ihr passt eine Persönlichkeit wie Uwe Koopmann. Der Hafenmeister in Teufelsbrück, 75 Jahre alt und hier in fünfter Generation zu Hause, brettert bisweilen mit seinem Traktor, Baujahr 1960, durch die Gegend. „Ohne Trecker ist man nix“, sagt Uwe gern. Recht hat er.

Fehlen nur noch Dantes Sterne. Ein Segen, dass sich an der Elbchaussee mit dem Hotel Louis C. Jacob eine der vornehmsten Adressen befindet. Geschichte pur. Genehmigen wir uns auf der legendären Lindenterrasse einen Absacker – Seite an Seite mit Direktorin Judith Fuchs-Eckhoff. Mehr geht kaum. Das von Max Liebermann geschaffene Ölgemälde der Plattform mit fetten Pötten zum Greifen nahe, ein Klassiker des Impressionismus, befindet sich in der Kunsthalle. Bald geht die Sonne unter.

Danke, Nienstedten, für diesen Tag.

Nienstedten: Das sind die Highlights

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Lindenterrasse Louis C. Jacob

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Blankenese: Louis C. Jacob

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    Einen hanseatischeren Ort gibt’s nirgendwo in Hamburg. Berührungsängste vor den fünf Sternen des Hotels sind überflüssig: Es gibt auch Currywurst und Fassbier.

    Eiscafé Dante

    Kugeln und Bedienung sind erste Sahne – doch toppt die Lage im Dorfkern alles. Jeder trifft quasi jeden, und Zeit für einen Klönschnack scheint irgendwie immer zu sein. Ist Tradition vor Ort.

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    Eiscafe Dante in Nienstedten

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      „Feuerwehr-Kuh“

      Mit diesem kletternden Vieh ist der Freiwilligen Feuerwehr ein Coup geglückt. Die Kuh, passend bekleidet, schmückt das Dach an der Wache an der Georg-Bonne-Straße 92, scheint eine Stange herunterzurutschen. Auf zum nächsten Einsatz.

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      Die Kuh der Freiwilligen Feuerwehr Nienstedten

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