Hamburg. Wo ist es in Hamburg am schönsten? Teil 30: Wohldorf-Ohlstedt, das fast unwirkliche Idyll mit Pferdeställen und Meierei.

Ein bisschen nussig, ein bisschen mehlig und ziemlich unaufdringlich, so schmecken Bucheckern. Um einen alten, moosbewachsenen Baumstumpf herum hat jemand aus Ästen und Laub ein Tipi gebaut, wahrscheinlich der „Waldameisen“-Kindergarten oder eine Klasse der Grundschule, die ihre märchenhafte Lage – am Walde nämlich – schon im Namen trägt.

Ein paar Schalenreste verraten, dass hier die Baumfrüchte probiert wurden. Still ist es im Wohldorfer Wald, abseits der Spazier- und Reitwege, wobei: Eigentlich stimmt das natürlich nicht, diese Stille des Waldes, die gibt es ja gar nicht. Immer knackt irgendwo eine Eichel oder eine stachelige Eckernhülse, fällt ein Zweig, raschelt eine Maus, pocht ein Specht, schmatzt der herbstfeuchte Boden. Ein Vogel schreit, ein anderer antwortet, die Baumkronen flüstern.

Die denkmalgeschützten, teils sehr liebevoll restaurierten einstigen Landarbeiterhäuser stehen in Wohldorf.
Die denkmalgeschützten, teils sehr liebevoll restaurierten einstigen Landarbeiterhäuser stehen in Wohldorf. © Andreas Laible | Andreas Laible

Ruhig wird es hier trotzdem, in einem selbst.

Der Wohldorfer Wald, Naturschutzgebiet auf fast 280 Hektar und Hamburgs ältestes Forstrevier, trennt und verbindet zugleich die beiden Hamburger Dörfer des Stadtteils Wohldorf-Ohlstedt. Zu behaupten, Wohldorf-Ohlstedt sei der „beste“ Stadtteil Hamburgs, ist also schon deshalb etwas anmaßend, handelt es sich doch eigentlich um zwei, 1872 zur Gemeinde zusammengelegte – ein Stadtteil im Doppelpack.

Wer Wohldorf verstehen will, muss Biomilch kaufen

Abendblatt- Kulturchefin Maike Schiller hat in Ohlstedt Abitur gemacht.
Abendblatt- Kulturchefin Maike Schiller hat in Ohlstedt Abitur gemacht. © MARK SANDTEN / FUNKE FOTO SERVICES | Mark Sandten

Da ist zunächst Wohldorf mit seinen geschützten Biotopen und der Kupfermühle, mit dem Herrenhaus und den Höfen, mit den Traditionslokalen Zum Bäcker und Wohldorfer Mühle, den Wiesen, der „Aue“, die offiziell Ammersbek heißt und sich im verwunschenen Mühlenteich staut. Mit dem Osterfeuer der freiwilligen Feuerwehr am Weberstieg, den immer noch etwas hutzeligen, aber mittlerweile teils wunderschön sanierten ehemaligen Landarbeiterhäusern, mit der Kleinen Landmeierei.

Wohldorf-Ohlstedt: Das sind die Fakten

  • Einwohner: 4662
  • Davon unter 18: 953
  • Über 65: 1005
  • Durchschnittseinkommen: 94.234 € (2013)
  • Fläche: 17,3 km2
  • Anzahl Kitas: 4
  • Anzahl Schulen: 1 Grundschule, 1 Gymnasium
  • Wohngebäude: 1547
  • Wohnungen: 1993
  • Niedergelassene Ärzte: 1
  • Straftaten im Jahr 2018: Erfasst: 228, Aufgeklärt: 50

Wer Wohldorf verstehen will, der muss sich hier auf dem Wohldorfer Hof einen Liter Biomilch oder einen frischen Obstjoghurt direkt beim Erzeuger kaufen. Einen Kassierer gibt es nicht, nur eine Ehrlichkeitskasse neben den großen Kühlschränken, in die man sein Geld legt – oder halt beim nächsten Mal. „Schulde 80 Cent“, hat jemand, der sich Frischkäse mitgenommen hat, auf den ausliegenden Schreibblock geschrieben, und obwohl kein Name dabei steht, darf man getrost davon ausgehen, dass der Frischkäsefreund seine Schulden begleichen wird.

Ein anderer vermisst Vanille-Joghurt: „8.00 Uhr – Bin ich denn der Einzige, der Vanille mag?“ (Eher nicht, sonst wäre der ja nicht alle.)

Röhrende Hirsche im Duvenstedter Brook

Vielleicht ist der Frühherbst hier tatsächlich die schönste Jahreszeit, die Farben der Blätter, na klar, die kühle, klare Luft, die zur Brunft röhrenden Hirsche im Duvenstedter Brook, und bei Frau Pajeken im Waldhaus am Kupferredder gibt es jetzt Sträuße mit Brombeerzweigen und Sonnenblumen am Gartentor. Auch hier geht das Geld in eine Büchse. Redlichkeitsprinzip. Auf dem Land funktioniert das.

Mein Freund, der Baum ... im Wohldorfer Wald, Hamburgs ältestem Forstrevier.
Mein Freund, der Baum ... im Wohldorfer Wald, Hamburgs ältestem Forstrevier. © THORSTEN AHLF / FUNKE FOTO SERVICES | Thorsten Ahlf

Dabei ist Wohldorf-Ohlstedt schon länger Stadtgebiet als jedes andere der Walddörfer. Schon 1370 fiel Wohldorf an einen Hamburger Bürger, das benachbarte Ohlstedt wurde 1407 an den damaligen Hamburger Bürgermeister verkauft. Ohlstedt ist das mondänere der beiden Quartiere, was sich bei der Fahrt über den Alsterblick und die Bredenbekstraße schnell feststellen lässt.

Ein wohlhabender­ Hamburger Villenvorort, der trotzdem angenehm unprätentiös geblieben ist (außer in den Immobi­lienpreisen, aber dieses Schicksal teilen viele Hamburger Gegenden), in dem Tennis gespielt oder geritten wird, großzügige Alleen, großzügige Grundstücke, große Hunde, große Autos, Rhododendren und Hortensien. Eine alternative Kneipe mit verblüffendem Durchhaltevermögen, der „Wanderer“. Eine U-Bahn-Endhaltestelle, die auch als Symbol gut taugt: Wer in Ohlstedt wohnt, ist angekommen.

Zum Einkaufen geht der Ohlstedter auf den – sehr überschaubaren – Wochenmarkt oder er muss halt fahren, zum nächsten Supermarkt nach Duvenstedt, nach Bergstedt oder ins Alstertal-Einkaufszentrum. Die Post, der kleine Edeka, die Haspa und der Schreibwarenladen Masch, in dem die Ohlstedter Gymnasiasten früher ihre Füllerpatronen bekamen – die gibt es alle nicht mehr. Wahrscheinlich schreibt auch niemand mehr mit Füller. Obwohl – in Ohlstedt vielleicht schon.

Die Kirche thront auf einem bewachsenen Moränenwall

Hier, wo die Bewohner wie auch in Wohldorf ausgesprochen verwurzelt sind mit ihrem Stadtteil, wo oft mehrere Generationen derselben Familien in
unmittelbarer Nachbarschaft miteinander leben, ist nun auch die Zukunft der Kirchengemeinde akutes Gesprächsthema. Sie hat das Viertel über viele Jahre geprägt, auch wenn die Matthias-Claudius-Kirche auf dem „Grünen Hügel“ von Ohlstedt natürlich, wie wohl überall, am vollsten ist zu Heiligabend.

Ohlstedts idyllisch gelegene Grundschule trägt ihren Standort schon im Namen.
Ohlstedts idyllisch gelegene Grundschule trägt ihren Standort schon im Namen. © Maike Schiller | Maike Schiller

Von der Kirche aus, die am Timms Hege auf einem bewachsenen Moränenwall thront, kann man direkt wieder hinüber, in den Wald hinein, in die „Stille“ der Natur. Wer sich dann zwischen den Buchen und Eichen und Erlen begegnet, der grüßt sich allerdings. Die Zuneigung zum Wald nämlich, die teilen sie wie selbstverständlich in Wohldorf und in Ohlstedt.

Stadtteilserie: Duvenstedter Brookhus

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    Und deshalb stimmt es am Ende natürlich doch: Wohldorf-Ohlstedt, dieses manchmal fast etwas unwirkliche Idyll direkt an der Grenze zu Schleswig-Holstein, ist Hamburgs grünster, Hamburgs nördlichster, und jetzt legen wir uns einfach mal fest, denn anders kann es ja gar nicht sein: Hamburgs schönster Stadtteil. Das kann man sehen und riechen und schmecken. Und fühlen.

    Das sind die Highlights

    Das sind die drei Highlights in Wohldorf-Ohlstedt
    Das sind die drei Highlights in Wohldorf-Ohlstedt

    1. Der Wald

    Wer in Wohldorf oder Ohlstedt lebt, der hat es grün. Der Wohldorfer Wald, durch den sich die Aue schlängelt, und der benachbarte Duvenstedter Brook sind zu jeder Jahreszeit unfassbar schön – mit oder ohne Pferd, zum Spazierengehen oder (während der Brunft) zum Hirsche-röhren-Hören. Funktioniert tadellos auch für ausgebrannte Städter.

    2. Die Milch

    Erst schnell beim Kälbchen vorbeischauen – dann zum frischen Joghurt an den Kühlschrank. Himbeer? Natur? Am besten Zwetschge-Zimt! 2 Euro kosten die Fruchtjoghurts im 500-g-Glas, für 1,30 Euro gibt es einen Liter Biomilch von den hofeigenen Kühen. Frischer (und leckerer!) als in der Landmeierei des Wohldorfer Hofs (Herrenhausallee 37) geht’s kaum.

    3. Das BrookHus

    Okay, es trägt den benachbarten Stadtteil im Titel, aber das Duvenstedter BrookHus (Duvenstedter Triftweg 140, Telefon 607 24 66) steht nun wirklich mindestens auf der Grenze. Es ist in jedem Fall der ideale Ausgangspunkt für Besucher der Naturschutzgebiete, regelmäßig gibt es außerdem Veranstaltungen und Führungen zu verschiedenen Naturthemen.