Bergedorf/Harburg. Ausstellungsstücke im Archäologischen Museum erzählen vom Leben in grauer Vorzeit. Einem Fund haftet der Hauch eines Verbrechens an.
Der Träger dieses Gürtels muss ein wahrhaft bedeutender Mensch gewesen sein: Eisen und Bronze wurden mit aufwendigen Mustern verziert, um einen wertvollen, mehrteiligen Prachtgürtel zu erschaffen – ein Statussymbol für seinen Besitzer.
Heute ist der sogenannte Holsteiner Gürtel, der 1931 in Altengamme gefunden wurde, vor allem eines: Ein wissenschaftlich enorm bedeutendes Sammlungsstück im Archäologischen Museum Hamburg (früher Helms-Museum) in Harburg. Und nur eines von Hunderten Ausstellungsobjekten, die dort auch von Bergedorfs grauer Vorzeit erzählen – lange bevor es eine Stadt namens Hamburg oder eine Stadt/einen Bezirk namens Bergedorf überhaupt gab.
Bergedorfer Fundstücke sind oft viele Tausend Jahre alt
Auch wenn Hamburgs Stadtgeschichte erst im achten Jahrhundert begann: Schon sehr viel früher haben Menschen auch im Bergedorfer Gebiet gelebt, gearbeitet, gewohnt. Das belegen Fundstücke wie eben der Holsteiner Gürtel, der auf die jüngere vorrömische Eisenzeit (250 bis 100 Jahre vor Christus) datiert. Als der Gürtel 1931 in Altengamme entdeckt wurde, war er mit 117 Zentimetern Länge nicht nur einer der vollständigsten seiner Art, erklären die Experten rund um Sammlungsleiter Dr. Michael Merkel. Der Gürtel gab durch seinen guten Zustand auch Aufschluss über ähnliche Fundstücke, von denen man bisher gar nicht gewusst hatte, zu was sie gut waren. Nun ließ es sich erklären: Ein Urahn durfte sich damit in gesellschaftlicher Achtung sonnen.
Der Kleidungsschmuck ist aber noch längst nicht das älteste Fundstück. Auf den ersten Blick völlig unspektakuläre Reste von Tonschalen, die einst in Boberg gefunden wurden, sind wohl mehr als 6000 oder 7000 Jahre alt und datieren aus dem Mesolithikum/Frühneolithikum. Wann und wo genau ein Ausstellungsstück gefunden wurde, lässt sich allerdings nicht immer ganz exakt zurückverfolgen – denn das Museum hat immerhin eine 120-jährige Geschichte, entwickelte sich vom Historischen Museum für die Stadt Harburg zum Archäologischen Landesmuseum der Freien und Hansestadt Hamburg und packte deshalb manches Mal die Umzugskisten.
Tonschalen sind wohl die ältesten Lampen der Region
Zu den Tonschalen-Resten ist jedoch vermerkt, dass sie in Boberg gefunden wurden – und dass auch sie große wissenschaftliche Bedeutung haben. Handelt es sich doch mit großer Wahrscheinlichkeit um die Reste von Lampen. Darauf deuten laut Museums-Expertise „Schmauchspuren sowie Rückstände von Fetten“ hin, die in einigen Exemplaren gefunden wurden. „Es handelt sich damit um die ältesten Lampen aus unserer Region. Mithilfe eines Dochtes und etwas Fett spendeten diese Tranlampen schon damals quasi nach dem Prinzip heutiger Kerzen Licht.“
Und die Boberger Dünen haben noch mehr preisgegeben als diese alten Lampen. Hier wurde einst auch ein gut erhaltener Rössener Becher entdeckt. Er stammt wohl ebenfalls aus dem Frühneolithikum (4500 bis 4200 vor Christus) und ist somit Tausende Jahre alt. Ein großes Gräberfeld bei Rössen in Sachsen-Anhalt hatte einst der ersten bäuerlichen Kultur Deutschlands den Namen gegeben. „Die typischen Gefäße der Rössener Kultur hatten einen kugeligen Boden und waren meist reich verziert mit großflächigen Dreiecksmustern, Vierecken und Zickzackbändern“, erklären die Experten des Museums.
Doch warum wurde dann auf einem mittelsteinzeitlichen Siedlungsplatz in den Boberger Dünen ein Becher aus Rössen gefunden? Die Archäologen vermuten, dass es damals bereits weitreichende Handelskontakte zwischen den Bauern in Rössen und den „einheimischen Jägern und Sammlern“ gab. Darauf würde auch der Fund von zahlreichen durchbohrten und geschliffenen Äxten hinweisen, „deren Herstellung den Menschen in Norddeutschland noch unbekannt war“.
Immer wieder waren die Boberger Dünen für Überraschungen gut. Als 1927 eine Düne abgetragen wurden, machten Arbeiter eine Entdeckung: Plötzlich lag dort eine uralte Haarspange frei im Sand. Ein wahres Schmuckstück: Die sehr gut erhaltene, bronzene „Haarknotenfibel“ stammt wahrscheinlich aus der Bronzezeit (um 1200 vor Christus) und wurde oft in Frauengräbern am Hinterkopf der Toten gefunden – wohl zum Hochstecken der Haare.
Ein Rasiermesser, dem ein Hauch des Verbrechens anhaftet
Manch ein Ausstellungsstück hat eine interessante Geschichte zu erzählen. Oder wird gar von einem Hauch des Verbrechens umweht. So wie das Rasiermesser aus der jüngeren Bronzezeit (12. bis 8. Jahrhundert vor Christus), das bereits im 19. Jahrhundert in einer Grube in Bergedorf gefunden und dem damaligen Museum für Völkerkunde geschenkt wurde. Es wurde damals in die Sammlung integriert und bekam eine Inventarnummer. Doch dann wurde das Messer gestohlen.
Was dann geschah, weiß niemand ganz genau. Denn 1954 wurde dem Museum für Hamburgische Geschichte ein Rasiermesser geschenkt, das angeblich an der Tangstedter Landstraße gefunden worden war. Es erhielt ebenfalls eine Inventarnummer. Doch Jahrzehnte später stellte sich überraschend heraus: Es handelt sich um das gestohlene Bergedorfer Exemplar. Inzwischen gehört das Messer, das geometrische Verzierungen aufweist, zur Harburger Sammlung. „Derartige Rasiermesser wurden in der jüngeren Bronzezeit in Norddeutschland und Südskandinavien benutzt“, wissen die dortigen Experten.
Schließlich gibt es in dem Archäologischen Museum aber auch noch Fundstücke aus etwas jüngerer Zeit. Etwa eine Spardose aus dem 16. oder 17. Jahrhundert, die aus dem 1928/29 zugeschütteten Blickgraben in Bergedorf stammt. Die unbemalte Tondose ist nur noch bruchstückhaft erhalten – wahrscheinlich, weil der Besitzer einfach an sein Geld wollte und die Spardose zertrümmerte, vermuten die Archäologen.
Doch die Arbeit der Archäologen reicht bisweilen bis in die jüngste Geschichte oder sogar die Gegenwart hinein. So untersuchte das Archäologische Museum Hamburg zwischen 2003 und 2005 Teile des ehemaligen Konzentrationslager Neuengamme und legte dabei Fundamentreste von Häftlings-, Kranken- und Küchenbaracken sowie eines Wachturms frei. „Zu den im Boden gemachten Funden gehören kleine persönliche Besitztümer der Häftlinge, darunter Münzen und möglicherweise selbstgefertigte Schmuckstücke sowie einige Häftlingsmarken.“
Die Häftlingsmarke gehörte einem Heinz Pocha
Anhand der Nummern lassen sich die Menschen identifizieren, die im KZ Neuengamme inhaftiert waren. So gehörte die Marke mit der Nummer 13455 laut Museum dem am 13. September 1914 geborenen Heinz Pocha. Dies geht aus den Lagerbüchern hervor. Zudem ist ein auf den 25.09.1941 datierter Umschlag mit persönlichen Besitztümern von Heinz Pocha, darunter eine Taschenuhr und ein Zigarettenetui, erhalten geblieben, die er vermutlich beim Eintreffen im Konzentrationslager bei sich trug.
Noch heute ist es üblich, dass Archäologen bei Bauarbeiten die Baufelder inspizieren. Manchmal sei bereits anhand der Kartierung klar, „wo sich zum Beispiel ein Bodendenkmal befindet“, so Beate Trede, Sprecherin des Museums. Dann dürfen die Bauherren nicht loslegen, ehe die Archäologen am Werk waren. Manchmal aber laufen die Experten auch nur quasi „vor dem Bagger“ her. Denn sie wissen oft schon anhand der Bodenstrukturen sehr genau, was sie in einer Grube erwartet.
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Auch beim Datieren der Objekte greifen sie auf ihren Erfahrungsschatz zurück – aber auch auf vielfältige Quellen. „Beispielsweise Schriftstücke oder auch Gemälde, auf denen häufig zeitgenössische Alltagsgegenstände dargestellt sind.“ Bei älteren Objekten unterscheiden die Archäologen „zwischen absoluter und relativer Datierung“. Für einen konkreten Zeitraum müssen, soweit möglich, naturwissenschaftliche Methoden wie die Dendrochronologie herangezogen werden. Gibt dies das Material nicht her, hilft die relative Datierung: „Gegenstände, die in der Erde in einer tieferen Schicht gefunden werden, sind sicherlich älter als diejenigen aus darüberliegenden Schichten. Zudem entwickeln sich Objektformen weiter; durch typologische Vergleiche kann versucht werden, eine zeitliche Reihenfolge der einzelnen Entwicklungsschritte zu rekonstruieren.“
Archäologisches Museum Hamburg liegt am Harburger Rathausplatz
Wie viele Gegenstände aus Bergedorfs grauer Vorzeit in Harburg zu sehen sind, lässt sich nicht genau sagen. „Das hängt davon ab, wie man zählt“, sagt Beate Trede. Scherben gibt es Tausende, Objekte weniger. Doch wer sich für Hamburgs Geschichte interessiert, wird sich nicht nur für die Bergedorfer Fundstücke interessieren.
Im Archäologischen Museum Hamburg (Harburger Rathausplatz 5) lässt sich das Abenteuer Archäologie dienstags bis sonntags von 10 bis 17 Uhr erleben. Erwachsene zahlen 6 Euro (ermäßigt 4 Euro) Eintritt, Kinder und Jugendliche bis 17 Jahre frei.