Bergedorf. Es war Bergedorfs erstes Neubauviertel. Geschichtskontor erinnert an 100 Jahre alte Ideen – und zeigt Opfer moderner Spekulanten.

Es ist Bergedorfs erstes großflächig geplantes Neubaugebiet und somit quasi der Urgroßvater von Oberbillwerder: Vor 100 Jahren verwirklichte Stadtbaumeister Wilhelm Krüger auf dem Gojenberg seine Vorstellungen einer gehobenen Siedlungsbebauung im „Landhausstil“, die bezahlbares Wohnen vor den Toren der damals noch eigenständigen Stadt Bergedorf ermöglichte.

Am Mittwoch, 31. Mai, führt Historiker Christian Römmer durch dieses unter Denkmalschutz stehende Zeugnis des sogenannten „Neuen Bauens“, das damals handwerkliche Qualität mit viel Grün zur Selbstversorgung und dem sozialen Gedanken verband. Der sogenannte Feierabend-Rundgang des Kultur- & Geschichtskontors startet um 18 Uhr an der Kirche St. Michael (Gojenbergsweg 26). Die Teilnahme kostet 9 Euro, eine Anmeldung ist nicht erforderlich.

Investoren suchen nach Gelegenheiten zu Abriss und Nachverdichtung

Christian Römmer wird in die längst denkmalgeschützte architektonische Schönheit viele Häuser dieses Viertels einführen, aber auch über die aktuelle Bedrohung dieses Quartiers durch Abrissbagger berichten. Denn längst haben Investoren den Gojenberg für sich entdeckt, träumen von Nachverdichtung und schaffen es immer wieder, einzelne Altbauten wegen angeblich unrettbarer Substanz dem Erdboden gleich zu machen. Beispiele finden sich am Gojenbergsweg ebenso wie an der Justus-Brinckmann-Straße.

Postkarten vom frisch eingeweihten „Staatskrankenhaus Bergedorf“.
Postkarten vom frisch eingeweihten „Staatskrankenhaus Bergedorf“. © BGZ | Kultur- & Geschichtskontor

Um diesen Lochfraß im Charakter des Quartiers zu unterbinden, fordert Bergedorfs Politik jetzt eine Erhaltungsverordnung, wie es sie für das benachbarte Bergedorfer Villengebiet schon seit vielen Jahrzehnten gibt. Mittlerweile arbeitet das Bezirksamt an einem Entwurf.

Luftbild vom Gojenbergsviertel am Ende der 1920er-Jahre. Rechts: das 1912 eröffnete „Staatskrankenhaus Bergedorf“.
Luftbild vom Gojenbergsviertel am Ende der 1920er-Jahre. Rechts: das 1912 eröffnete „Staatskrankenhaus Bergedorf“. © Kultur- & Geschichtskontor | Kultur- & Geschichtskontor

Christian Römmer wird bei seinem zweistündigen Rundgang zudem zeigen, dass das Gojenbergsviertel sogar weit vielfältiger ist als sein prominenter großbürgerlicher Nachbar. Denn Stadtbaumeister Krüger versah den Gojenberg nebenbei auch noch mit wichtigen städtischen Einrichtungen. Dazu gehören das 1912 eröffnete „Staatskrankenhaus Bergedorf“, die erste große Klinik der Stadt, die mittlerweile das Cura-Seniorenzentrum beherbergt, und die heutige Schule Ernst-Henning-Straße als moderner Schulneubau.

Bevor all diese Projekte in Angriff genommen wurden, war die Geschichte des Gojenbergs allerdings weit weniger fortschrittlich: Über Jahrhunderte stand hier der Galgen für öffentliche Hinrichtungen. Und gleich nebenan lagen die Abfallgruben des örtlichen Abdeckers. Kein Wunder also, dass die Bergedorfer protestierten, als 1831 ihr Friedhof wegen Überfüllung der Flächen rund um die Kirche St. Petri und Pauli 1831 hierher verlegt wurde. Seine Reste bilden heute den Park neben der Kirche St. Michael.