Hamburg. Ewa Friedrich hat ein Konzept zur Wiederbelebung eines verlassenen Hofes entwickelt. Doch dafür braucht sie Mitstreiter. Dringend.
Ein brach liegender, etwa 1,8 Hektar großer Hof am Reitbrooker Hinterdeich 32 soll wieder zum Leben erweckt werden. Dafür suchen Gärtnerin Ewa Friedrich und ein mit ihr befreundeter Gärtner viele weitere Mitstreiter. Denn es handelt sich um ein ehrgeiziges Projekt. Die Gärtner wollen den Hof kaufen und dort zertifiziertes Bio-Gemüse anbauen. Einen Namen haben sie schon: „Freier und Kultur-Hof Kunterbunt“. Neben der Öko-Landwirtschaft wollen sie langfristig Umweltbildung integrieren und den Hof für die Gemeinschaft öffnen. Die eingetragene Genossenschaft Kulturland haben die Gärtner bereits auf ihrer Seite. Sie soll den Großteil des Kaufpreises übernehmen.
„Wir brauchen mindestens ein Drittel des Kaufpreises, damit die Genossenschaft den Rest dazu gibt“, sagt Ewa Friedrich, die ganz in der Nähe des Hofes lebt. „Wir sind also auf die finanzielle Unterstützung der Hamburger angewiesen, die Genossenschaftsanteile erwerben müssen.“ Die 40-Jährige ist bestens vernetzt, arbeitet bei der SoLawi Vierlande und zählt zu den Gründern der Reitbrooker Tomatenretter. Sie versucht möglichst viele Initiativen, Vereine und Projekte aus dem Bereich Öko-Landbau mit ins Boot zu holen, die dann ihrerseits um weitere Genossen werben.
Gärtnerin Ewa Friedrich (40) sucht Genossen, um Hof in Reitbrook zu kaufen
„Wir brauchen jetzt schnell Geld, um den Kauf anschieben zu können.“ Zudem könnten Vereine wie die SoLawi Vierlande und Unternehmen wie Tiny Farms, die ebenfalls Bio-Gemüse anbauen, nach eigener Aussage versuchen, „neuen Menschen Zugang zur Landwirtschaft zu ermöglichen“ und auch in Ochsenwerder vertreten sind, das Gelände mit nutzen. „Wir sind im Gespräch“, sagt Ewa Friedrich.
Wie viel der Eigentümer für den Hof verlangt, möchte er laut Ewa Friedrich nicht in der Zeitung verkünden. Der Hof ist seit drei Jahren verlassen. Von den rund 1,8 Hektar Gesamtfläche sind etwa 1,2 Hektar Ackerland. Mehrere Gebäude stehen auf einer Fläche von rund 2200 Quadratmetern – ein etwa 200 Jahre altes Wohnhaus mit Reetdach, eine Scheune, eine Garage und eine Laube, „alle sehr sanierungsbedürftig“. Über mehrere Generationen wurde dort, zwischen Gose-Elbe und Naturschutzgebiet Die Reit, Gemüse angebaut. Die letzte Betriebsinhaberin starb vor drei Jahren. „Ihre drei Kinder und die Enkel haben den Betrieb nicht übernommen.“
Geplant ist ein Wirtschaftsbetrieb mit bezahlten Arbeitskräften
„Wir planen einen Wirtschaftsbetrieb, wollen Arbeitsplätze schaffen“, sagt die Gärtnerin. „Denn die Flächen sind Landwirtschaft und Gemüseanbau gewidmet.“ Deshalb dürfen nur die Betreiber und Mitarbeiter eines Gartenbaubetriebs dort wohnen, Arbeitsstätten betreiben oder bauen. „Die Bebauung muss dem landwirtschaftlichen Betrieb dienen.“ Ein Abriss und Neubau von Gebäuden sei erst nach Jahren möglich, wenn der neue Betrieb etabliert worden ist, weiß Ewa Friedrich. Zwar könnten auch Privatpersonen, die mit Landwirtschaft nichts am Hut haben, das Land kaufen, aber sie müssten noch länger warten, um darauf neu bauen zu dürfen.
Der jetzige Eigentümer, die Familie der verstorbenen Betriebsinhaberin, wolle das Land für einen „fairen, von einem Gutachter ermittelten, aber für uns trotzdem hohen Preis“ verkaufen und regional betriebenen Öko-Landbau mit sozialem Touch unterstützen – und möglichst nicht an Bodenspekulanten verkaufen, weiß Ewa Friedrich. „Er findet es gut, was wir vorhaben. Deshalb sind wir bereits seit zwei Jahren, seit ich mich mit diesem Projekt beschäftige, in Kontakt. Doch die Zeit drängt, denn es gibt auch andere Interessenten und der Eigentümer wird nicht ewig auf uns warten.“
Gegen Land Grabbing zur Wehr setzen und den Verkauf von Ackerflächen an Spekulanten stoppen
Unternehmen rund um den Globus kaufen seit der weltweiten Finanzkrise 2007/2008 weltweit Ackerland auf, um es für viel Geld verpachten zu können („Land Grabbing“), betont die 40-Jährige. „Denn Ackerland ist rar und wird dringend benötigt.“ Die Kulturland-Genossenschaft mit Sitz in Hitzacker steuert dagegen: „Sie kauft ebenfalls Ackerflächen auf, bundesweit, und verpachtet sie an Bio-Projekte – für einen Prozent des Kaufpreises.“
„Diese Situation gibt es oft in den Vier- und Marschlanden. Höfe stehen leer und Gewächshäuser werden zurückgebaut, selbst wenn sie intakt sind, weil es keinen Nachfolger gibt und der Gesetzgeber den Rückbau vorschreibt.“ Bei vielen weiteren Höfen ist diese Entwicklung absehbar. „Die rechtlichen Verhältnisse und die hohen Bodenpreise erschweren die Nachfolge.“ Doch die massenhafte Aufgabe der Gartenbaubetriebe, auch wegen mangelnder Wirtschaftlichkeit und fehlender Fachkräfte, führt dazu, dass die regionale Gartenkultur ausstirbt, betont Ewa Friedrich. „Dabei ist die ökologische, regionale Lebensmittelproduktion wichtiger denn je.“
Gärtnerin betreut auch ein Projekt an der Universität
Ewa Friedrich arbeitet auch als freie Mitarbeiterin in der HafenCity-Universität und betreut dort ein Stadtentwicklungsprojekt, bei dem der verlassene Hof in Reitbrook als einer von drei Höfen in Hamburg im Fokus ist. Bei dem Projekt in Kooperation mit der Umweltbehörde geht es darum, wie Gartenbau und Landwirtschaft in Hamburg besser aufgestellt werden können. „Die Stadt will Modellregion für urbane Landwirtschaft werden“, sagt Ewa Friedrich. Unter anderem gehe es um Themen wie die Sicherung der Produktionsflächen oder Probleme mit der Hof-Nachfolge.
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Master-Studierende, vor allem angehende Stadtplaner und Architekten, suchen ebenfalls nach Möglichkeiten für eine Wiederbelebung der brachliegenden Fläche und erstellen Konzepte. „Sie arbeiten mir zu“, sagt die freie Mitarbeiterin, die quasi die Schnittstelle zwischen Forschung und Umsetzung ist.
Für die Menschen aus der Innenstadt ist die Versorgung mit regionalen Produkten wichtig
„Der Hof Kunterbunt ist ein Modellprojekt. Wenn wir es umsetzen können, dürfte die Vorgehensweise auch die Lösung für andere Betriebe sein. Die fühlen sich nämlich im Stich gelassen“, sagt die 40-Jährige. Dabei sei es auch für die Bewohner der Hamburger Innenstadt wichtig, dass die Versorgung mit regionalem Gemüse und landwirtschaftlichen Produkten funktioniert. „Nur so haben die Hamburger Ernährungssouveränität“, sagt Ewa Friedrich und fügt hinzu: „Die Vier- und Marschlande, die frühere Gemüsekammer der Stadt, sind ein absoluter Schatz, den es zu bewahren gilt.“
Eine Internetseite für das Projekt Hof Kunterbunt ist gerade online gegangen. Auf kulturhof-kunterbunt.de findet sich auch ein von den beiden Gärtnern professionell erstelltes Konzept mit Grafiken und Fotos. Die Genossenschaft ist im Internet unter kulturland.de präsent.