Dötlingen/Damme. Bauern nicht nur aus Niedersachsen malen ein düsteres Bild und fordern beim Fleischkonsum Solidarität der Verbraucher. Viele Probleme.
Angesichts steigender Produktionskosten in Deutschland fordert die Geflügelwirtschaft in Niedersachsen Politik, Handel und Verbraucher zur Solidarität auf. „Es braucht den Solidarzusammenhalt aller Gruppen“, sagte am Dienstag der Vorsitzende der Niedersächsischen Geflügelwirtschaft, Friedrich-Otto Ripke, in Dötlingen (Landkreis Oldenburg), bei der Verbandsmitgliederversammlung. So müssten die Verbraucher bereit sein, auf billigere Fleisch-Angebote aus dem Ausland zu verzichten und gezielt auf Herkunftskennzeichnungen zu achten. Der Verband veröffentlichte eine entsprechende Resolution.
Die derzeitigen Erzeugerpreise seien nicht kostendeckend; mit ihnen lasse sich die Nutztierhaltung in Deutschland nicht erhalten, sagte Ripke. Gegenüber der Konkurrenz aus Süd- oder Osteuropa und Südamerika könnten deutsche Landwirte angesichts höherer Lohn-, Haltungs-, Energie- und Futterkosten nicht mithalten. Wirtschaftlich mache den Betrieben explosionsartig gestiegene Futterkosten und die Folgen der Corona-Pandemie zu schaffen, weil wichtige Absatzmärkte in der Gastronomie und bei Großverbrauchern weggebrochen seien. „Da sagen viele Geflügelhalter: ,Ich kann nicht mehr, ich will nicht mehr“, sagte Ripke der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ (NOZ).
Die Geflügelbranche kämpft zudem mit den wirtschaftlichen Folgen des schlimmsten Vogelgrippe-Ausbruchs, der in Deutschland je registriert worden ist. Rund 150 Betriebe waren betroffen. Den Schaden beziffert Ripke mit 30 Millionen Euro.
Bundesregierung und Handel in der Pflicht
Die nächste Bundesregierung müsse ihrerseits schnell die Empfehlungen einer Expertenkommission zur Nationalen Nutztierstrategie umsetzen, forderte der Verband. Die Strategie, auch bekannt als Forderungen der Borchert-Kommission, fordert einen Umbau der Nutztierhaltung in Deutschland. Innerhalb von 20 Jahren sollen die Tiere mehr Platz und Luft in den Ställen bekommen. Dazu gehört vor allem, Fleisch und andere tierische Produkte zu verteuern, etwa über eine Tierwohl-Abgabe.
Der Handel müsse seinerseits dafür sorgen, dass Kostensteigerungen auch ausgeglichen werden, betonte Ripke. Auch Haltungsanforderungen des Lebensmittelhandels müssten sich künftig an der Nationalen Nutztierstrategie ausrichten, der Mehraufwand für eine bessere Haltung müsse erstattet werden.
Angesichts der schwierigen Lage für die Landwirtschaft entschieden sich junge Leute immer seltener dafür, den Hof der Eltern zu übernehmen, sagte Ripke. Damit sei die Jahrhunderte alte Tradition der Hofnachfolge in Deutschland in Gefahr. „Wir stehen an einem Scheideweg in der Landwirtschaft.“
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In der Bundesregierung habe es in den vergangenen zwei Jahren bei vielen politischen Entscheidungen für die Landwirtschaft Stillstand gegeben, sagte der Präsident des Landvolks Niedersachsen, Holger Hennies. „So gesehen kann es jetzt nur besser werden.“ Er sei daher optimistisch, was eine neue Bundesregierung unter Beteiligung der FDP und der Grünen angehe. „Ich will auch den Grünen nicht absprechen, dass sie weiter Tierhaltung wollen“, sagte Hennies.
Schweinehalter befürchten Höfesterben
Ähnlich angespannt ist die Situation im Bereich der Schweinehaltung. Auch dort sehen viele Bauern derzeit keine Zukunft mehr für ihre Betriebe. Einer Umfrage der Interessengemeinschaft der Schweinehalter Deutschlands zufolge will die Hälfte der Betriebe in Deutschland in den nächsten zehn Jahren aussteigen. Vor allem kleinere Betriebe denken sogar schon kurzfristig ans Aufgeben, teilte die ISN am Dienstag in Damme (Landkreis Vechta) mit.
Befragt wurden im Juli und August 1048 Sauenhalter und Mäster. Die meisten Betriebe kommen aus Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen. Aus Süddeutschland haben rund 160 Schweinehalter an der Umfrage teilgenommen.
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In Süddeutschland wollen demzufolge mehr als 70 Prozent der Sauenhalter und 55 Prozent der Schweinemäster in den kommenden zehn Jahren den Betrieb aufgeben. Dass so viele Bauern aufgeben wollen, sei eine Folge der fehlenden Perspektive und des fehlenden Rückhalts seitens der Politik, sagte ISN-Vorsitzender Heinrich Dierkes.
Bauern lassen Ställe aus Kostendruck leer stehen
Auch im Gespräch mit der NOZ warnte Ripke indes vor einem Kollabieren der landwirtschaftlichen Tierhaltung in Deutschland: „Alle reden über die Schweine. Aber die Situation in der Geflügelbranche ist nicht besser.“ Der Präsident der Geflügelwirtschaft verwies darauf, dass vor allem der Bereich der Putenhaltung betroffen ist. „Die Erzeugerpreise sind niedrig, die Futterpreise hoch. Da lassen viele Landwirte die Ställe einfach leer stehen, um nicht mit jedem neu eingestallten Tier weiteres Geld zu verlieren.“
Ripke forderte, die Politik müsse offene Fragen wie etwa zum Umbau der Tierhaltung nach der Wahl schnell beantworten. Der Verbandspräsident warb für die Einführung eines Tierwohlbeitrages, den beispielsweise Handel oder Gastro in einen Fonds verpflichtend einzahlen sollen. Aus dem Fonds sollen Stallumbauten finanziert worden. „Das ist vergleichsweise schnell umsetzbar. Wir können nicht noch zwei Jahre über die Erhöhung der Mehrwertsteuer oder andere Einnahmequellen diskutieren.“
Die Agrarminister der Bundesländer wollen auf der Ressortchef-Konferenz in dieser Woche über weitere politische Maßnahmen beraten.