Wulmstorf. 30 Jahre alte Landwirtin ist eine der wenigen Hofnachfolgerinnen in Deutschland. Was sie an der Welt aus Mist und Schweinen so liebt.
Ob sie vielleicht doch besser in der Werbung geblieben wäre? In einem bequemeren Leben mit geregelten Arbeitszeiten und in schicken, sauberen Klamotten? Wäre es schöner, nicht jeden Tag von früh bis spät in Gummistiefeln zwischen Mist, Schweinen und Kartoffeln durch einen überaus arbeitsintensiven Alltag stapfen zu müssen?
Christin Hinze überlegt nicht lange, bevor sie die Fragen beantwortet: „Nein, ich bereue den Wechsel in die Landwirtschaft nicht. Meine Arbeit als Werbekauffrau hat mir auch Spaß gemacht. Aber hier auf dem Hof produziere ich Lebensmittel. Diese Aufgabe erscheint mir sehr sinnvoll und füllt mich aus.“
Die 30-Jährige hat in den vergangenen zehn Jahren Enormes geleistet: Abitur am Gymnasium Neu Wulmstorf, Ausbildung zur Werbekauffrau und Übernahme in dem Job, in dem sie noch ein halbes Jahr blieb, bevor das große Umdenken einsetze und sie doch noch für ein Leben auf dem Hof des Vaters in Wulmstorf entschied. Im Eiltempo folgten die Ausbildung zur Landwirtin und zur staatlich geprüften Wirtschafterin, anschließend die Fortbildung zur Landwirtschaftsmeisterin. Alles mit beachtlichem Erfolg. Das Leben im Zeitraffer einmal komplett umgekrempelt. Landsucht statt Landflucht.
Hinze trägt Verantwortung für den Familienbetrieb, den sie übernehmen soll
Mit den bekannten Nebenwirkungen: Arbeiten, wenn andere Urlaub machen. Lange Arbeitstage bei jedem Wetter, das genauso wechselhaft sein kann wie die Politik mit ständig neuen Vorgaben für die Landwirtschaft. Feierabende am Schreibtisch, um die vorgeschriebenen Dokumentationen zu erfüllen. Sorgen um steigende Pachtpreise, hohe Energiekosten und zunehmende Dürre. Frust darüber, dass die Konsumenten trotz gegenteiliger Aussagen doch immer wieder das günstigste Fleisch im Supermarkt kaufen und die heimischen Produkte links liegen lassen. Und dass das Tierwohl den Verbrauchern offenbar nicht so wichtig ist, wenn es etwas kosten soll.
Landwirtschaftsmeisterin Christin Hinze trägt Verantwortung für den Familienbetrieb, den sie bald ganz übernehmen soll. Als eine der wenigen weiblichen Hofnachfolgerinnen auf Deutschlands Bauernhöfen.
Bundesweit werden nur elf Prozent der Bauernhöfe von Frauen geleitet
Zwar ist der Anteil der weiblichen Auszubildenden in der Landwirtschaft in Niedersachsen zwischen 2000 und 2022 von acht Prozent auf knapp ein Viertel der Gesamtzahl angestiegen, wie die Landwirtschaftskammer Niedersachsen kürzlich mitteilte. Allerdings werden bundesweit nur elf Prozent der Betriebe von Frauen geleitet, wie es in dem Abschlussbericht eines Forschungsprojekts der Uni Göttingen und des Braunschweiger Thünen-Instituts heißt. Bei der Hofnachfolge liege der Frauen-Anteil bei 17 Prozent – im europäischen Vergleich ein mieser Wert.
„Frauen verstehen sich oft als (Mit-)Unternehmerin, sie sind aber häufig rechtlich nicht am Hof beteiligt“, so Dr. Hiltrud Nieberg, Leiterin des Thünen-Instituts. „Trotz ihrer hohen Arbeitsmotivation, ihres großen Einsatzes für Betrieb und Familie verfügen nur wenige der befragten Frauen über Betriebseigentum, die soziale Absicherung ist in vielen Fällen unzureichend, obwohl sie in den verschiedensten Rollen maßgeblich zum Haushaltseinkommen in den landwirtschaftlichen Familien beitragen“, so Nieberg.
Aktuell führt Christin Hinze den Betrieb gemeinsam mit ihrem Vater
Auf dem Hof Hinze ist das anders: Aktuell führt Christin Hinze den Betrieb mit 160 Hektar Ackerfläche und 430 Schweinen gemeinsam mit ihrem Vater Peter. Auch der Großvater hilft noch mit, besonders bei den Kartoffeln, die das Hauptgeschäft auf dem traditionsreichen Hof in Wulmstorf darstellen. Der Übergang des Betriebs auf die dritte Generation ist geplant, und auch aktuell ist das Arbeitsverhältnis von Christin Hinze geregelt: Bis zur anstehenden Übernahme ist sie im Betrieb fest angestellt. „Das muss vom Gefühl her auch so sein“, sagt sie.
Eine Erweiterung des Schweinestalls? Derzeit wirtschaftlich nicht darstellbar
Die junge Landwirtin übernimmt immer mehr Aufgaben in der Betriebsführung und bei den Verhandlungen mit Geschäftspartnern. Bereits jetzt ist sie Unternehmerin, Betriebswirtin, Ausbilderin, Technikerin, Managerin, Vermarkterin und Bäuerin in einer Person. Oft heißt es „Learning by doing“.
Christin Hinze hat Veränderungen eingeführt, wie das Verkaufshäuschen am Hof an der Elstorfer Straße. In Selbstbedienung werden dort unter anderem Kartoffeln, Eier und Zwiebeln angeboten. „Auf diese Weise kommen die Konsumenten auf unseren Hof, und ich kann mit ihnen ins Gespräch kommen“, sagt sie. Viele Menschen würden ja mit der Landwirtschaft nicht mehr viel Positives verbinden.
Besonders die konventionelle Landwirtschaft werde teilweise sehr einseitig als Umweltsünder und Tierquäler hingestellt. „Das ist unfair. Denn es gibt nur ganz wenige schwarze Schafe. Alle Berufskollegen, die ich kenne, wollen ihre Tiere, ihren Boden und die Umwelt gut behandeln. Denn davon leben wir und unsere Nachfahren“, sagt sie. Eigentlich wollte sie längst den Schweinestall erweitert haben, um den Tieren mehr Auslauf im Freien zu ermöglichen. „Das musste ich aber erst einmal auf Eis legen. Der Ausbau ist wirtschaftlich im Moment überhaupt nicht darstellbar“, sagt sie.
„Ich möchte es immer besser machen und weiter über mich hinauswachsen“
Dennoch geht sie jeden Morgen mit Motivation als erstes in den Stall zu ihren Tieren und anschließend aufs Feld oder in die 2014 errichtete Kartoffelhalle – je nachdem, was gerade ansteht und welche Arbeiten das Wetter oder die Jahreszeit vorgibt. „Jeder Tag ist anders und spannend“, sagt Christin Hinze. „Ich möchte es immer besser machen und weiter über mich hinauswachsen.“
Trotz aller Herausforderungen schaut sie positiv in die Zukunft. Auch, weil sie auf der Meisterschule einen Partner gefunden hat, der diese mit ihr teilen will. Ihr Verlobter Hauke Fitschen kommt ebenfalls von einem Bauernhof.
Die beiden wollen ihre Betriebe im Landkreis Harburg und im Landkreis Stade auf Sicht zusammenlegen, um Synergien zu schaffen und Wachstum zu generieren. „Ich weiß, dass wir gut ausgebildet sind, und das stärkt mich. Wir Landwirte verfügen über einen großen Wissensschatz, um Erträge und Qualität zu produzieren“, sagt Christin Hinze.
Die jungen Landwirtinnen und Landwirte bilden sich intensiv fort
Die Niedersächsische Landwirtschaftskammer bestätigt dies: Besonders die jungen Landwirtinnen und Landwirte nutzten das breite Spektrum der beruflichen Fort- und Weiterbildung intensiv, um sich bestmöglich auf die Herausforderungen ihres Berufslebens vorzubereiten, teilt sie mit.
Zumal neben den fachlichen Anforderungen zunehmend die Anpassung an den Klimawandel, die Themen Nachhaltigkeit und Ökologie sowie die Digitalisierung eine sehr große Rolle spielen für die Zukunftsfähigkeit eines Hofes. „Und unser soll ja auf lange Sicht ein Familienbetrieb bleiben“, sagt Christin Hinze. Die zierliche Person steigt auf einen riesigen Traktor, der vor der Scheune steht und lässt ihn an. In Arbeitsklamotten und schweren Stiefeln. Die Werbeagentur vermisst sie trotzdem nicht.