Hamburg. Streit um eine Matte, Schlag mit dem Steppbrett, rassistische Beleidigung? Besuch eines Kursus in Bergedorf hat ein teures Nachspiel.

Es hätte wahrscheinlich ein schöner Sportnachmittag werden können, mit viel Bewegung bei peppiger Musik und angenehmer Erschöpfung im Anschluss. Doch der Kursus am 14. Februar 2022 im Fitnessstudio be.Fit am Reetwerder geriet, so viel steht fest, zum Desaster. Am Ende standen sich zwei Frauen gegenüber, von der eine behauptete, die andere habe sie mit einem Stepbrett geschlagen und rassistisch als – so wörtlich – „scheiß Ausländer“ beleidigt. Und eine andere, die das zumindest teilweise abstritt.

Mehr als zweieinhalb Jahre nach dem Geschehen nun die Wahrheit herauszufinden, das erwies sich am Montag (2. Dezember) beim Prozess vorm Amtsgericht Bergedorf als Puzzlespiel für den Vorsitzenden Richter. Denn die Angeklagte Gabriele P. (alle Namen geändert), der gefährliche Körperverletzung in Tateinheit mit Beleidigung vorgeworfen wurde, ließ zwar gleich über ihren Anwalt eine „teilgeständige Einlassung“ abgeben und räumte die Körperverletzung ein. Das Stepbrett habe Nebenklägerin Aliya K. wohl getroffen, die Härte sei ihr aber nicht bewusst gewesen, und es tue ihr leid. Doch eine Beleidigung habe es nicht gegeben. Im Gegenteil: Sie sei von Aliya K. ohne Grund als „Nazi“ beschimpft worden.

Prozess in Bergedorf: Streit im Fitnessstudio eskaliert – 59-Jährige muss zahlen

In der etwa dreistündigen Verhandlung in Saal 112 zeichneten die Nebenklägerin sowie drei weitere Zeuginnen zu den Vorwürfen ein teilweise sehr unterschiedliches Bild. Aliya K., die durch das Stepbrett nachweislich einen blauen Fleck am Knie erlitten und gleich nach dem Kursus Anzeige erstattet hatte, schilderte detailliert ihre Sicht der Dinge. Demnach war es gleich zu Beginn des ersten Kursus‘ zum Streit darüber gekommen, wo sie ihre Matte platziert hatte – nämlich dort, wo die Angeklagte Gabriele P. bereits für eine Freundin reserviert hatte. Sie selbst habe gesagt, es sei doch genug Platz für alle, so Aliya K. Doch Gabriele P. habe sie immer weiter getriezt.

Die Angeklagte habe sie danach fortwährend beleidigt, an ihrer Matte gezogen und sich mit ihrer Freundin über sie lustig gemacht. „Es ist nicht das erste Mal, dass mir das passiert“, so die Nebenklägerin. Deshalb habe sie kaum reagiert. Doch als der erste Kursus endete und es vorm zweiten Kursus eine Pause gab, eskalierte der Streit. „Sie dachte wohl, dass ich nun meine Matte nehme und nach Hause gehe“, erzählte Aliya K. Doch stattdessen sei sie nach vorn gegangen, um sich ein Stepbrett zu holen. Auch Gabriele P. habe Stepbretter geholt, trug eines für sich und eines für ihre Freundin. Aliya K.: „Sie kam mir so schräg entgegen. Ich wollte ausweichen, aber da war es schon zu spät.“

Streit im Fitnessstudio eskaliert: Angeklagte soll „Hau ab, du scheiß Ausländer“ gesagt haben

Gabriele P. habe eine Bewegung gemacht, und sie sei am Knie von dem Stepbrett getroffen worden. Dann habe die Angeklagte gesagt: „Hau ab, du scheiß Ausländer.“ Aliya K.: „Da habe ich so was erwidert wie: Wenn ich ein scheiß Ausländer bin, dann bist du ein scheiß Nazi.“ Die Nazi-Bemerkung räume sie ein, sagte sie. Mehr noch als der Schlag habe sie die rassistische Beleidigung getroffen, und auch die Tatsache, dass keiner der Umstehenden eingriff – obwohl der Kursus voll war. „Die seelische Belastung war so schlimm“, schilderte die 54-Jährige, mit den Tränen ringend, im Zeugenstand. Sie habe ihre Kinder zu respektvollen Menschen großgezogen, sie zahle Steuern wie alle anderen, deshalb habe sie entschieden: „Ich akzeptiere das nicht, ich setze ein Zeichen, ich will Gerechtigkeit.“ Im Sportclub werde sie deshalb von vielen nicht mehr gegrüßt.

Auch Zeugin Mila M., die als Übungsleiterin den Kursus begleitete, hatte einige der Reibereien beobachtet. Durch den großen Spiegel habe sie gesehen, dass es Streit um die Matte gab, schilderte die 39-Jährige, die ebenfalls einen Migrationshintergrund hat. Auf sie habe Aliya K. eher gewirkt, als wolle sie Streit vermeiden.

Streit im Fitnessstudio eskaliert: Angeklagte habe sich „öfter“ so benommen

Die Zeugin räumte zwar klar ein, dass sie sich an manches nach all der Zeit nicht mehr erinnern könne, belastete die Angeklagte aber dennoch. Gabriele P. habe sich „oft so benommen“, sagte sie. „Sie hat auch mir gegenüber ständig so getan, als hätte ich kein Recht, da zu sein.“ Einmal habe sie eine Tür zum Lüften zwischen den Kursen geöffnet, so Mila M. Da habe Gabriele P. laut geschrien und gefragt, „was ich denke, wer ich sei“. Allerdings habe sie nie darauf reagiert, denn leider würden rassistische Beleidigungen für sie „alltäglich“ sein.

Das konnte eine weitere Zeugin zumindest für diesen Verein weder bestätigen noch dementieren: Lara G., im Hauptberuf Kriminalbeamtin, im Nebenberuf Sport- und Gymnastiklehrerin, konnte insgesamt wenig Angaben zu den Vorwürfen und dem Geschehen machen. Sie hatte den Kursus nur in Vertretung geleitet, habe während ihrer Arbeit und durch die laute Musik nichts mitbekommen oder gehört – erst als die Auseinandersetzung plötzlich laut wurde.

Anwalt der Nebenklägerin: Angeklagte hätte Beleidigung auch gestehen sollen

Anders Franziska R., die Freundin der Angeklagten. Sie zeichnete ein für Gabriele P. entlastendes Bild. Aliya K. habe einfach die Matte beiseitegeschoben, die ihre Freundin für sie hingelegt hatte. Gabriele P. sei ärgerlich gewesen, aber der Kursus habe dann begonnen. Als aggressiv habe sie eher Aliya K. empfunden. Auch diese Zeugin konnte sich nach der langen Zeit nicht mehr an alle Details erinnern. Sie wisse nur, dass es laut geworden sei, so richtig gehört habe sie aber nichts. Der Begriff „scheiß Ausländer“ sei aber „auf keinen Fall“ gesagt worden. Wie sie das denn ausschließen könne, wenn sie nichts gehört habe, wollte daraufhin Richter Plambeck präzisieren. Doch die Zeugin konnte den Widerspruch nicht auflösen.

Und so folgten die Staatsanwältin und der Anwalt der Nebenklägerin den Schilderungen Aliya K.s und auch der Zeugin Mila M. Sie hätten eine stringente, glaubhafte Geschichte erzählt. Auch sei nicht logisch, dass sich Aliya K. ohne Grund selbst mit dem Eingeständnis belasten sollte, dass sie den Nazi-Begriff verwendet hatte. Zugunsten der Angeklagten Gabriele P. sei das Teilgeständnis zu werten, zudem dass sie nicht vorbestraft sei und die Sache glimpflich ausging. Die Staatsanwältin forderte 120 Tagessätze zu 90 Euro; die Körperverletzung sei ein „minderschwerer Fall“. Die Angeklagte, meinte der Anwalt der Nebenklägerin, wäre allerdings gut beraten gewesen, hätte sie auch die Beleidigung gestanden. Gabriele P.s Verteidiger plädierte hingegen auf Freispruch in Sachen der Beleidigung. Sie könne schlecht etwas zugeben, das sie nicht getan hätte, betonte er.

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Streit im Fitnessstudio eskaliert: Angeklagte zu 120 Tagessätzen verurteilt

Doch auch der Vorsitzende Richter Plambeck sah die Schuld als erwiesen an, verurteilte die Angeklagte wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Beleidigung zu 120 Tagessätzen à 80 Euro. Insgesamt gebe es „keinen vernünftigen Zweifel“, dass sich die Sache so zugetragen habe wie von der Nebenklägerin geschildert, sagte er. Es sei unwahrscheinlich, dass sich diese den Begriff „Scheiß Ausländer“ ausgedacht habe. Auch fiel deutlich in die Waagschale, dass Zeugin Mila M. angegeben hatte, ebenfalls von der Angeklagten angegangen worden zu sein. Der Schlag mit dem Stepbrett, immerhin wohl einige Kilos schwer, hätte zudem deutlich weniger glimpflich ausgehen können. Eine weitere Feststellung ging indes an beide Frauen: Ein Streit um eine Matte, das kenne man doch eher aus dem Schulsport „oder aus dem Kindergarten“, sagte er.

Die Angeklagte hat nun noch die Möglichkeit, Rechtsmittel gegen das Urteil einzulegen und in Berufung zu gehen.