Hamburg. 57-Jähriger soll einen Bekannten im Februar an der Sandwisch angegriffen haben. Nun schildert das mutmaßliche Opfer den Vorfall.

Wegen versuchten Mordes muss sich ein 57-Jähriger seit Anfang September vor dem Landgericht Hamburg verantworten. Er soll einen Bekannten im Februar dieses Jahres vor der Wohnunterkunft für Flüchtlinge und Wohnungslose an der Sandwisch bedroht und mit einem Messer verletzt haben. Während der 57-Jährige bei seiner Aussage vor zwei Wochen angab, er habe sich nur verteidigen wollen, schilderte das mutmaßliche Opfer (42) den Vorfall am dritten Verhandlungstag nun ganz anders.

Beide Männer hatten sich vor einigen Jahren als Kollegen bei einem Paketdienst kennengelernt, aber dann aus den Augen verloren. Als sie etwa im Mai 2023 wieder aufeinandertrafen, gab der Angeklagte an, aufgrund von Streitigkeiten mit seiner Familie kein Dach mehr über dem Kopf zu haben. Aus Mitleid habe der 42-Jährige, der im Prozess auch als Nebenkläger auftritt, ihn dann in seinem Zimmer in der Wohnunterkunft in Moorfleet aufgenommen.

Prozess wegen versuchten Mordes in Moorfleet: „Er wollte mich überfahren“

Seine eigene Frau quartierte er dafür aus und schickte sie zu Verwandten. Schließlich sollte der neue Mitbewohner ja nur ein paar Tage bleiben. Doch er ging nicht, und aus ein paar Tagen wurden Monate. Er habe zwar versucht, ihm mitzuteilen, wieder auszuziehen zu müssen, sei aber wohl nicht deutlich genug geworden, meint der 42-Jährige. Als er selbst dann im September 2023 in den Iran reiste, nutzte er es als Gelegenheit, um den Schlüssel für sein Zimmer von seinem Mitbewohner zurückzufordern.

Das habe der ihm offenbar übel genommen. Denn schon während seines Aufenthaltes im Iran habe er von dem 57-Jährigen Drohungen per Handy erhalten, so der 42-Jährige. Als er dann im Januar 2024 nach Hamburg zurückkehrte, habe er sich gar nicht mehr getraut, wieder in der Wohnunterkunft einzuziehen, sondern sei lieber bei dem Sohn seiner Frau untergekommen. Zudem habe er zweimal eine Polzeiwache aufgesucht, um die Bedrohungen zur Anzeige zu bringen. Allerdings habe die Polizei nichts tun können, da nichts weiter passiert sei, schildert der Nebenkläger.

Blutigem Vorfall in Moorfleet sollen Bedrohungen vorausgegangen sein

Am Abend des 23. Februar sei er dann mit dem Bus zur Sandwisch gefahren, um ein paar Kleidungsstücke aus seinem Zimmer zu holen. In der Einfahrt zur Unterkunft sei dann ein Transporter hinter ihm aufgetaucht. Am Steuer saß der Angeklagte, der plötzlich Gas gegeben und den Wagen eines Paketdienstes auf ihn zugesteuert habe. „Er wollte mich überfahren“, schildert der 42-Jährige seine Eindrücke der Nacht.

Prozess
Szene vom Prozessauftakt: Der Angeklagte Amir R. mit seinem Rechtsanwalt (r.) und einem Dolmetscher. © Thomas Heyen | Thomas Heyen

Danach habe der 57-Jährige den Wagen seines damaligen Arbeitgebers abgestellt und sei mit einem Messer auf ihn los. Er habe dadurch einen tiefen Schnitt an der rechten Handfläche erlitten, der genäht werden musste. Ebenso sei er unterhalb des Kinns am Hals verletzt worden. Auch dort sei er genäht worden. Letztlich sei es ihm gelungen, seinem Kontrahenten das Messer aus der Hand zu treten und ihn in einer Rangelei davon abzuhalten, erneut an die Waffe zu gelangen.

Versuchter Mord in Moorfleet? Viele Fragen sind noch unbeantwortet

Eine Frau, die mit ihrem Auto auf der Sandwisch vorbeifuhr, sei schließlich auf die beiden Männer aufmerksam geworden und habe die Polizei zu rufen. Auch eine Beamtin, die mit einem Kollegen als erste im Streifenwagen vor Ort eintraf, sagte am Montag vor Gericht aus. Sie hätten den Angeklagten zwar mehrfach ansprechen müssen, weil er eventuell nicht direkt verstanden habe, was sie von ihm wollten. Dann habe er sich aber widerstandslos festnehmen lassen, berichtet die 31-Jährige.

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Auch bei der anschließenden ersten Vernehmung im Bergedorfer Bethesda Krankenhaus sei der Angeklagte ruhig gewesen, gibt der Polizeibeamte an, der dort die Aussage des Mannes aufnahm. Ob der 57-Jährige, der gebrochen Deutsch spricht, dort wirklich alles verstanden hatte, was er später als seine Aussage unterschrieb, konnte am Montag nicht abschließend geklärt werden. Ebenso blieben noch diverse Fragen an Angeklagten und Nebenkläger offen. Beide Männer sollen noch einmal gehört werden. Auch die Zeugin, die die Polizei alarmierte, soll noch aussagen. Für den Prozess sind drei weitere Sitzungen angesetzt.