Hamburg. Die 20-Jährige ist der überlebende Zwilling eines tödlichen Videodrehs. Ihr Vater hofft nun, dass sie die Hilfe bekommt, die sie braucht.
Fast zwei Jahre sind seit dem schrecklichen Unfall am Bahnhof Allermöhe vergangen, bei dem eine 18-Jährige starb, ihre Zwillingsschwester lebensgefährlich verletzt wurde. Besondere Aufmerksamkeit erlangte dieser Fall vor allem, weil die jungen Frauen ein waghalsiges Video für Social-Media-Plattformen drehen wollten. Eine TikTok-Challenge, die tödlich ausging.
Nun ist es erneut zu einem dramatischen Einsatz am S-Bahnhof Nettelnburg gekommen. Am späten Sonntagabend um 22.09 Uhr wurden Polizei und Feuerwehr alarmiert, weil sich dort eine junge Frau mit einem Messer in der Hand in den Gleisen aufhielt, wie die Bundespolizei am Montagmorgen mitteilte. Zunächst hatte es geheißen, dass es sich bei der Person um ein 12-jähriges Mädchen handelt. Doch die junge Frau ist 20 Jahre alt, und es ist nach Abendblatt-Information der überlebende Zwilling, der im Januar 2023 nach dem Unfall mit lebensgefährlichen Verletzungen ins Krankenhaus kam.
TikTok-Zwillingsschwestern von Zug erfasst: Junge Frau liegt wochenlang auf der Intensivstation
Erst lag Maria (alle Namen geändert) im Koma, dann wochenlang auf der Intensivstation. Die Hamburgerin wurde mehrfach operiert. Bis heute ist sie von dem Unfall und den Verletzungen gezeichnet. 15 Monate nach dem schrecklichen Unfall sprach sie mit dem Abendblatt. „Das Schlimmste ist, dass meine Schwester nicht mehr da ist. Wir haben immer alles zusammen gemacht“, berichtete sie über sich und ihre Zwillingsschwester. Der Kummer raube fast all ihre Energie, sagte damals ihre Mutter.
Als das Abendblatt den Vater der 20-Jährigen am Montagvormittag kontaktierte, wusste dieser noch gar nicht, dass seine Tochter auf den Gleisen gewesen sein soll. „Wir haben uns gewundert, dass sie gestern Abend nicht nach Hause gekommen ist“, sagt Matthias W. Dann habe er Maria per Handy kontaktiert und von ihr erfahren, dass sie im Krankenhaus sei.
Maria war in den vergangenen Wochen immer wieder in psychiatrischer Behandlung
Dass die Hamburgerin sich in einer Klinik aufhält, sei in den vergangenen Tagen und Wochen immer mal wieder vorgekommen, erzählt der Vater. Konkret gehe es um die psychiatrische Abteilung eines Hamburger Krankenhauses, in der Maria behandelt werden müsse. Nachdem beide junge Frauen von einem Zug erfasst worden waren und ihre Zwillingsschwester an den Folgen des Unfalls verstorben war, habe dies Maria „seelisch extrem heruntergezogen“, sagt Matthias W. Sie komme damit überhaupt nicht zurecht, dass ihre Schwester nicht mehr lebt.
Der Vorfall am Sonntagabend und die schreckliche Nachricht rief vermutlich bei der Familie die schlimmen Erinnerungen vom 17. Januar 2023 ins Gedächtnis. Es ist ein Dienstag, an dem die Schwestern erneut das Schicksal herausfordern. Beide wollen, kurz bevor ein Zug heranrast, von den Gleisen springen und von dieser Mutprobe ein Video drehen. Schon öfter haben beide solche Filmchen oder Videos vom Zug-Surfen bei TikTok hochgeladen. Doch die 18-Jährigen unterschätzen offenbar die Geschwindigkeit eines Regionalexpress‘ Richtung Schwerin. Während Maria mit lebensgefährlichen Verletzungen in eine Klink kommt, stirbt Sandra noch auf den Gleisen am Bahnhof Allermöhe.
Lokführer kann offenbar einen Zusammenstoß noch vermeiden
Wenige Monate nach dem tragischen Unfall sagte Maria mit Nachdruck, dass das „Scheiße war, was wir gemacht haben“. Sie und ihr Vater richteten sich damals auch an die Öffentlichkeit, mit einem deutlichen und dringendem Appell: „Begebt euch nicht in Gefahr! Zug-Surfen ist unglaublich gefährlich! Ebenso ist es lebensgefährlich, euch in die Gleise zu begeben. Fangt damit gar nicht erst an!“
Warum sie diese Warnung nun selbst missachtete, dafür hat der Vater eine Erklärung: Sie komme damit überhaupt nicht zurecht, dass ihre Schwester nicht mehr lebt. So begab sich Maria erneut auf die Gleise, stand mit einem Messer in der Hand am Bahnhof Nettelnburg.
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Polizei: 20-Jährige hat sich selbst Schnittverletzungen zugefügt
Die Polizei sicherte daraufhin die Gleise, ließ die Stromschiene durch alarmierte Feuerwehrkräfte erden und den S-Bahnverkehr stoppen. Die 20-Jährige habe sich selbst mit einem Messer verletzt und sei unter eine stehende S-Bahn gekrochen, so ein Sprecher der Bundespolizei. „Die junge Frau konnte durch Ansprache dazu bewegt werden, die Gleise zu verlassen.“ Sie habe im Gespräch mit der Polizei mehrfach Suizidgedanken geäußert, so der Sprecher.
Die junge Frau wurde mit Schnittverletzungen an die Besatzung eines Rettungswagens übergeben und kam in die Psychiatrie. Matthias W., hofft, dass seine Tochter dort die Hilfe bekommt, die sie braucht. Denn aus seiner Sicht müsse die psychiatrische Behandlung seiner Tochter konsequent fortgesetzt werden.
Anmerkung der Redaktion: Aufgrund der Möglichkeit von Nachahmungen berichten wir in der Regel nicht über Suizide oder Suizidversuche, außer sie erfahren durch die Umstände besondere Aufmerksamkeit. Wenn Sie selbst unter Stimmungsschwankungen, Depressionen oder Suizidgedanken leiden oder Sie jemanden kennen, der daran leidet, können Sie sich bei der Telefonseelsorge helfen lassen. Sie erreichen die Seelsorge unter 0800/111-0-111 und 0800/111-0-222 oder im Internet bei telefonseelsorge.de. Die Beratung ist anonym und kostenfrei, Anrufe werden nicht auf der Telefonrechnung vermerkt.