Hamburg. Vorbild Amsterdam: Bergedorferin lädt zum Schweigen in den Nachbarschaftstreff am Gojenbergsweg – ohne digitale Ablenkung.

Es war zuletzt ruhig geworden um den im September 2019 gegründeten Nachbarschaftstreff am Gojenbergsweg 30 u. Nicht allein wegen der Pandemie. Jetzt soll es in dem Haus neben dem denkmalgeschützten jüdischen Privatfriedhof noch ruhiger werden: Ein „Offline-Treffen“ plant Anette Derndinger und lädt für Freitag, 13. Dezember, Freunde, Nachbarn und insbesondere auch einsame Menschen ab 15 Jahren dazu ein, zwischen 15 und 18 Uhr ein „friedliches Beieinandersein“ zu erleben: Schweigen ist ausdrücklich erlaubt!

Einfach mal dem Stress für drei Stunden entfliehen und zur Ruhe kommen: „Alle sind gestresst und wollen irgendwie etwas anders machen. Das ist manchmal schwierig, ohne einen Impuls von außen“, weiß die Mutter von zwei Kindern (15 und 18 Jahre). Man könnte doch gemütlich in der Küche klönen oder im frisch gestalteten Yoga-Raum Gesellschaftsspiele machen, also da, wo die 51-Jährige sonst Paarberatung und Achtsamkeitstraining anbietet. Das „Offline-Treffen“ habe indes keinen kommerziellen Hintergedanken: „Es geht allein darum, innezuhalten und zu fühlen, wie es mir gerade geht“, erklärt Derndinger: „Man kann mal meditieren und nur bei sich sein, muss dabei aber nicht alleine sein.“

Bergedorfer Offline-Treffen bietet Zeit für Ruhe und Besinnung

Daher plant sie eine Phase von 30 bis 45 Minuten, in der jeder Gast sich selbst zuwendet, vielleicht ein Buch liest, strickt, Tagebuch schreibt, ein Puzzle macht oder malt. Auch steht dafür der Raum mit dem Schaukelsessel zur Verfügung, wo an den Wänden die Geschichten des Gojenbergs beschrieben wird, wo zudem das Archiv des ehemaligen Bergedorfer „Schlossherrn“ Alfred Dreckmann (1936-2020) aufgearbeitet wird.

Auf jeden Fall ist das WLAN ausgeschaltet, werden alle Handys weggelegt. Denn „Echtzeit statt Bildschirm“ ist das Motto. Vom Digital Detox könne man sehr profitieren, erfuhr Anette Derndinger zuletzt bei einem Schweige-Retreat im Vorarlberg: „Es tut gut, mal keine Mail zu beantworten, nicht auf die Uhr zu schauen oder mal eben nach dem Wetter zu googeln.“

Idee kommt aus Amsterdam

Die Idee, allein sich selbst zuzuwenden, erreichte sie jedoch zufällig über Instagram: In Amsterdam hat eine Gruppe von Enthusiasten die Tech-Plattform „The Offline Club“ aus der Taufe gehoben. Zu ihren „Digital Detox Hangouts“ haben hier nur angemeldete Gäste Zugang zum 90-er-Jahre-Gefühl, also keine digitalen Nomaden mit einem Laptop auf dem Schoß. Mal trifft man sich im Café, mal aber auch in einer alten Kirche, um ein gemeinsames Kunstwerk zu schaffen oder einem Piano-Konzert zu lauschen.

Der Offline Club verfolgt dabei nicht das Ziel, die digitale Welt komplett abzulehnen. „Es ist unsere Mission, Menschen wieder mit sich selbst und anderen zu verbinden, aber auch, sie auf die Beziehung zu ihrem Telefon aufmerksam zu machen und diese zu überdenken“, erklärt Ilya Kneppelhout, einer der drei Betreiber: „Es geht darum, ein gesundes Gleichgewicht zu finden, bei dem wir Technologie als Werkzeug nutzen und es uns nicht umgekehrt Zeit wegnimmt, kontrolliert oder uns zum Produkt macht.“

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„In Amsterdam jedoch wird dafür Eintritt verlangt, 7,50 Euro“, erfuhr Anette Derndinger: „Das möchte ich nicht. Es wäre einfach gut, wenn jeder eine Tasse mitbringt, vielleicht etwas Kleingeld für Kaffee oder die Teebox. Es reichen auch einfach schöne Worte.“ Ein dankbarer Zuspruch würde ihr genügen, dann wären solche „Offline-Treffen“ künftig monatlich angedacht. Der Eingang zum Gojenbergsweg 30 u ist übrigens gleich links neben dem 1909 errichteten Krankenhaus, das heute das Cura-Seniorencentrum beherbergt.