Hamburg. Der Nationalsozialismus brachte Tod und Leid - doch auch in Bergedorf stellten sich einzelne Menschen gegen das Regime.
„Ich habe meinen Eltern damals vorgeworfen, dass sie nichts gegen die Nazis getan haben“, sagt die 1944 geborene Frauke Ludszeweit. Ihre Enkel sollen über ihre Großmutter anders denken können. Deswegen engagiert sich Ludszeweit bei den Omas gegen Rechts, deswegen unterstützt sie die Woche des Gedenkens in Bergedorf in der Zeit vom 20. Oktober bis zum 24. November.
Das Programm zusammengestellt hat ein breites Bündnis, das von kirchlichen Gruppen über Parteien bis zum Verein der Verfolgten des Naziregimes (VVN-BdA) reicht. Unter dem Motto „Vergangenheit ist Gegenwart“ soll auch dieses Jahr wieder an die Verbrechen des Nazionalsozialismus erinnert werden.
Woche des Gedenkens in Bergedorf beginnt am 20. Oktober
Immer wieder stehen bei der diesjährigen Ausgabe der Woche des Gedenkens Menschen im Fokus, die Widerstand gegen das Regime geleistet haben. So hält der Historiker Christoph Schminck-Gustavus am Donnerstag, 9. November, ab 19.30 Uhr einen Vortrag über Harald Poelchau, der während der gesamten NS-Zeit als Anstaltsgeistlicher im Gefängnis Berlin-Tegel tätig war. „Er war Widerstandskämpfer, ohne dass die Nazis es wussten“, sagt Bernhard Nette vom Kulturzentrum SerrahnEins (Serrahnstraße 1), wo die Veranstaltung auch stattfindet.
Poelchau begleitete zum Tode verurteilte politische Gefangene, spendete Trost, schmuggelte für sie Nachrichten aus dem Gefängnis und versteckte zum Kriegsende zwei jüdische Flüchtlinge. Die Taten des Geistlichens sind auch Thema im Gottesdienst „Kraft zum Widerstand“, den Pastorin Angelika Schmidt am Sonntag, 19. November, ab 10 Uhr in der Kirche St. Petri und Pauli (Bergedorfer Schlossstraße 2) ausrichtet.
Helmuth Hübener wurde mit 17 Jahren hingerichtet
Am Dienstag, 14. November, zeigt das SerrahnEins ab 19 Uhr den Film „Vier gegen Hitler - auf den Spuren der Helmuth-Hübener-Gruppe“. Der Hamburger Helmuth Hübener gilt als der jüngste Widerstandskämpfer, der vom Volksgerichtshof zum Tode verurteilt wurde. Er starb mit gerade einmal 17 Jahren.
„Er war noch minderjährig und wurde trotzdem hingerichtet“, sagt Ludszeweit. Hübener gehörte der Glaubensgemeinschaft der Mormonen an und hatte 1941 verbotenerweise mit dem Abhören des englischen Radiosenders BBC begonnen. Die Informationen aus dem „Feindsender“ verbreitete er per Flugblatt.
Der Teenager wurde verraten und gemeinsam mit drei Freunden verhaftet. Weil Hübener die Schuld auf sich nahm, wurden seine Mitstreiter nur zu Gefängnisstrafen verurteilt und überlebten die Naziherrschaft. Heute ist eine Straße in Lohbrügge nach dem Widerstandskämpfer benannt.
Michel Pritzl verteilte heimlich gedruckte Flugblätter - bis zu seiner Verhaftung
Auch in Bergedorf versuchten Menschen, den Nationalsozialismus von innen zu bekämpfen. Am Donnerstag, 16. November, ab 19 Uhr beschäftigt sich ein Vortrag der SPD-Bürgerschaftsabgeordneten und Historikerin Christel Oldenburg und ihres Parteifreunds Michael Schütze im SPD-Haus (Vierlandenstraße 27) mit dem Thema „Politischer Widerstand in Bergedorf“. „Es gab eine Gruppe um Michel Pritzl, die in einer geheimen Druckerei Flugblätter produziert hat“, sagt Schütze. In den Schreiben protestierten die jungen Widerstandskämpfer zum Beispiel gegen den Boykott von jüdischen Geschäften.
Obwohl in der Druckerei nur im Flüsterton gearbeitet wurde, bemerkte ein Nachbar das verbotene Treiben. Pritzl floh zunächst nach Dänemark, wo ihn die Nazis nach dem Einmarsch der Wehrmacht verhafteten. Er überlebte die Zwangsarbeit und starb 1995 in Lohbrügge.
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Insgesamt sind 14 Veranstaltungen geplant. Die Woche des Gedenkens beginnt am Freitag, 20. Oktober, mit einer Ausstellung der Künstlerin Ursula Dietze aus Friedrichstadt. „Sie arbeitet mit Ton und Fundstücken aus Metall, die sie zu Skulpturen formt“, sagt Pastorin Schmidt. Die Werkschau im Offenen Atelier im CCB wird um 17 Uhr von Bezirksamtsleiterin Cornelia Schmidt-Hoffmann eröffnet.
Ein Blick auf die Schicksale hinter den Stolpersteinen
In den folgenden Tagen erinnert unter anderem der Schauspieler Rolf Becker an die Blockade Leningrads durch die Wehrmacht von 1941 bis 1944. Am Donnerstag. 2. November, 19 Uhr, liest Becker im SerrahnEins aus Erinnerungen von Kulturschaffenden, die in dieser Zeit in der belagerten Stadt ausharrten.
Am Montag, 6. November, ist im Theater des Körberhauses (Holzhude 1) ab 19 Uhr der Film „Die Wannseekonferenz – die Dokumentation“ zu sehen. Wie bei allen Veranstaltungen der Gedenkwoche ist der Eintritt frei. Die Veranstalter hoffen, dass zahlreiche Bergedorfer Schüler den Weg zur Aufführung finden.
Für Sonnabend, 4. November, 14 Uhr, Treffpunkt am Lohbrügger Markt, sowie Donnerstag, 9. November, 18 Uhr, Treffpunkt St. Marien (Sichter 2) sind Besuche bei den Stolpersteinen Bergedorfs geplant – bei Bedarf werden die Messingsteine auch gründlich geputzt. Am Sonnabend wird Hajo Ebert von der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) auf zehn Lebensgeschichten hinter den Stolpersteinen eingehen. Leben, die brutal beendet wurden, wie das des Ehepaars Tichauer. „Sie waren Zahnärzte und mussten Gefangenen die Goldzähne aus dem Mund brechen, bis sie schließlich selbst ermordet wurden.“
Das vollständige Programm kann online abgerufen werden.