Reinbek/Bergedorf. 1980 boomt Reinbek, während Bergedorf schrumpft. Das Wetter spielt verrückt und der tragische Unfall eines kleinen Mädchens schockiert.
Ist Reinbek eine Stadt oder doch eher ein Dorf? Das war die Frage, die viele Reinbeker im Jahr 1980 umtrieb. Ging es nach dem Landwirt Dr. Karl Lieberam Schmidt, war Reinbek eindeutig ein Dorf – mit 356 Rindern, 5115 Schweinen, 15.358 Hühnern und 73 Prozent landwirtschaftlich genutzter Fläche. Diese Ansicht sorgte bei den aufstrebenden Reinbeker Bürgern für so viel Kontroverse und Empörung, dass sich am Ende die Bergedorfer Zeitung berufen sah, den Gegenbeweis anzutreten.
„Reinbek ist doch eine Stadt“, titelte die bz am 19. Juli 1980 und zählte auf, was dafür sprach: die wachsende Zahl an Mitbürgern, die Reinbek mit exakt 25.441 im März 1980 zur zweitgrößten Stadt Stormarns machte, zudem das Krankenhaus und das erst wenige Monate alte, hochmoderne Freizeitbad. Und schließlich gab es da noch die stattliche Zahl von acht Schulen sowie diverse Kultureinrichtungen.
150 Jahre bz: 1980 boomt Reinbek und baut seine Innenstadt um
„Reinbek wäre das erste Dorf, das sich das alles leistet“, kam der bz-Redakteur zum Urteil. Und Reinbek konnte es sich schon damals leisten: Dafür sorgten die Steuereinnahmen aus den immerhin 830 Betrieben (1978 waren es noch 27 weniger), die sich hier angesiedelt hatten und die 9000 Beschäftigten, die vor Ort ihr Brot verdienten. Reinbeks Steuerkraft lag mit 686 Mark pro Einwohner 80 Mark über Landesdurchschnitt.
Nicht nur neue Unternehmen siedelten sich an, auch bestehende expandierten – und das weit über die Landwirtschaft hinaus: 1980 weihte Hermal-Chemie ihr neues Expeditionsgebäude an der Scholtzstraße ein, Familie Dobberkau verlagerte nach 140 Jahren Unternehmensgeschichte ihr Autohaus vom Rosenplatz an die Hermann-Körner-Straße und bot dort auf 15.000 Quadratmetern Neu- und Gebrauchtwagen an. Kein Wunder: Die Nachfrage nach Autos war 1980 gigantisch. „Die Motorisierungswelle rollt durch Schleswig-Holstein“, schrieb die bz im Juni: 950.000 zugelassene Pkw wurden da schon auf den Straßen im Norden gezählt, bis 1985 rechnete man mit über einer Million Autos.
„Die Leute lieben ihre Autos zu sehr“, schlussfolgerte die Bergedorfer Zeitung in ihrer Ausgabe vom 8. Juni, nachdem ein Aufruf für einen autofreien Sonntag auf sehr geringe Resonanz gestoßen war. Doch immer mehr zugelassene Autos brauchen auch immer mehr Raum, weswegen der Straßenbau in der Zeit florierte: 1980 wurde der Reinbeker Tangentenring gebaut. Heute besser unter dem Begriff K80 bekannt, war die Umgehungsstraße des Ortskerns mit 32 Millionen Mark Baukosten sogar das teuerste Projekt des Kreises Stormarn in diesem Jahr. 18 Monate sollte der Bau der fünf Kilometer langen Strecke von Glinde bis Bergedorf dauern.
Endlich wird die Marschenautobahn (A25) gebaut, sie endet vorerst am Speckenweg
Zudem wurde mit dem Bau der seit Jahrzehnten geplanten Marschenautobahn (A25) endlich das wichtigste Straßenprojekt des gesamten Hamburger Ostens realisiert. Zumindest zum Teil: 1980 wurden die 14,5 km von der A1 bei Moorfleet bis vor die Tore Börnsens realisiert Einschließlich zwölf Kilometer Entwässungsgräben sowie zehn Kilometer Wirtschaftswegen.
Die größte Herausforderung dabei waren der moorige Marschboden – und die Zusammenarbeit mit Schleswig-Holstein, sodass die A25 noch bis Mitte der 80er-Jahre am Speckenweg kurz vor der Hamburger Landesgrenze endete. Bis zur Fertigstellung fuhren die Autos weiter auf der Bundesstraße 5 durch Börnsen und weiter über Geesthacht und Lauenburg Richtung Berlin.
Dass diese Fernstraße durchaus gefährlich war, belegen zahllose Unfälle. Und auch zwielichtige Gestalten wurden von der Blechlawine angezogen – in der Hoffnung, bei unvorsichtigen Reisenden Beute zu machen. Am 24. November 1980 traf es einen Berliner Juwelier und seinen Begleiter, wie die Bergedorfer Zeitung berichtet: Die beiden waren auf dem Weg nach Hamburg und legten gen Mittag eine Pause im gut besuchten Restaurant „Grüner Jäger“ bei Geesthacht ein. Während sie zu Mittag aßen, wurden sie Opfer von Dieben.
Vermutlich zwei Männer hatten aus dem unverschlossenen Kofferraum Schmuck und Kunst im Wert von 170.000 Markt— darunter eine Lithografie des spanischen Künstlers Salvador Dalí — gestohlen und waren mit der Beute in einem hellen Jaguar Richtung Hamburg geflüchtet. Noch Tage später fehlte von den Tätern jede Spur.
Reinbek baut den neuen Rosenplatz und startet das Großprojekt Klostermarkt
Reinbek wurde 1980 von Großbaustellen dominiert. Ein prägendes Stück Altstadt verschwand mit der Verlagerung des Unternehmens Dobberkau vom Rosenplatz ins Gewerbegebiet, schrieb die bz. Die Opel-Handlung und die angrenzende Gaststätte „Zur Schmiede“ wurden abgerissen. Sie machten Platz für einen Komplex aus 68 Eigentumswohnungen zwischen 45 und 100 Quadratmetern und drei Arztpraxen, die hier die Deutsche Angestellten Wohnungsbau für rund 20 Millionen Mark errichtete. Architekt Horst-G. Münchow legte bei seinem „Entwurf mit Stadthauscharakter“ besonderen Wert darauf, dass die „Neugestaltung des Rosenplatzes harmonisch mit dem Klostermarkt einhergeht“.
Klostermarkt hieß das Großprojekt, das wenige Meter weiter ebenfalls 1980 realisiert wurde und das Gesicht von Reinbek nachhaltig veränderte: Im Mai wurde in Reinbeks Mitte gegenüber dem Rathaus mit dem Bau der neuen Stadthalle samt einem 100-Betten-Hotel, einem Großraumkino, einer Einkaufspassage mit vielen Läden sowie 85 Wohnungen begonnen. Bereits im Herbst wehte hier die Richtkrone.
Zehn Jahre zuvor war an dieser Stelle das Sachsenwaldtheater durch fahrlässige Brandstiftung abgebrannt. Für die kulturliebenden Reinbeker ein Schock, die es kaum abwarten konnten, ihre neue Kultureinrichtung in Betrieb zu nehmen. Die Theatersaison 1981/1982 wurde bereits in der Stadthalle geplant.
Der „Tatort“ mach Reinbek 1980 zur Filmkulisse
Die Stadt am Sachsenwald machte von sich reden und war nicht mehr nur für Naturliebhaber und Schlossromantiker interessant, sondern auch für Filmschaffende: Im Oktober 1980 diente Reinbek für zwei Tage als Kulisse für einen „Tatort“-Dreh. Szenen aus der Folge „Der Fall Koch“ mit Gerhart Lippert in der Hauptrolle wurden an der Fußgängerbrücke vom Sachsenwald-Einkaufszentrum gedreht. Reinbeker spielten als Statisten mit.
Wer Reinbeker ist und wer nicht, die Frage war für Zugezogene gar nicht so leicht zu beantworten, insbesondere nicht für diejenigen, die in den seit 1978 entstandenen Stadtteil Krabbenkamp im Nord-Osten Reinbeks gezogen waren. „Wir wissen immer noch nicht so recht, wie wir hier heimisch werden können“, sagte der Stadtteilbewohner Karl-Lorenz Köhler im Februar 1980. „Verwaltungsmäßig gehören wir zu Reinbek, einkaufen können wir am besten in Aumühle, die Bahn erreichen wir in Wohltorf, genauso die Grundschule. Unsere Identität kann wohl nur gemischt sein“, sagte der Landschaftsarchitekt im bz-Interview.
Nach Jahrzehnten des Streit wird der Stadtteil Krabbenkamp gebaut
Erwünscht waren die Krabbenkamper nicht. Die ersten Bebauungspläne gingen bereits auf das Jahr 1947 zurück. Doch insbesondere die Gemeinden Aumühle und Wohltorf hatten bis zur letzten Instanz geklagt, um die neu entstandene Exklave Reinbeks an ihren Gemeindegrenzen zu verhindern.
Die schlechte Anbindung war von Anfang an ein Kritikpunkt und sollte sich erst ab April 1980 mit dem Bau der Brücke nach Aumühle ändern. Auch das hatten die Gegner offenbar noch verhindern wollen, wie die Bergedorfer Zeitung berichtete: Das Holz war im Herbst 1979 nämlich auf dem Weg von Amsterdam nach Reinbek „auf unerklärliche Weise“ verschwunden.
Dass die Randlage des Krabbenkamps durchaus Gefahren barg, zeigte sich an einem Oktoberwochenende 1980: Ein Krabbenkamper war die Kellertreppe hinabgestürzt und schwer verletzt liegen geblieben. Obwohl die Ehefrau den Notruf sofort absetzte, traf der Rettungswagen erst eine Stunde später ein.
Denn weil die Krabbenkamper telefonisch zum Ortsnetz Aumühle und nicht zu Reinbek gehören, landete die Frau in der Leitstelle vom Kreis Herzogtum Lauenburg statt in Stormarn, die eigentlich zuständig gewesen wären. Das sorgte für Verwirrung und enormen Zeitverlust. Als der Rettungswagen endlich eintraf, war der Mann bereits verstorben. Entsprechend fragt die bz in ihrer Ausgabe vom 31. Oktober: „Lebt man im Krabbenkamp gefährlicher?“
Schock in Lohbrügges Grünem Zentrum: Die kleine Astrid ertrinkt
Eine andere Tragödie schockierte die Bergedorfer im März 1980: Beim Spielen mit ihren zwei Freunden ertrank die dreijährige Astrid in Lohbrügges Grünem Zentrum, in einem Teich unterhalb der Korachstraße. Das Mädchen hatte Steine ins Wasser geworfen und war selbst hineingefallen. Es konnte erst zwei Stunden später nur noch tot geborgen werden. Die Mutter war bei der Suchaktion der Polizei und Feuerwehr dabei und erlitt einen Schock.
1980 waren Bergedorfs Polizisten noch in ihren Wachen an der Lohbrügger Landstraße (heute Kulturzentrum Lola) und an der Wentorfer Landstraße (heute Standesamt neben dem Rathaus) stationiert. Weil beide Wachen aber seit Jahren „aus allen Nähten“ platzten, wie die bz berichtete, wurde ein Neubau unausweichlich. Die Pläne für den Bau einer Großraumwache samt Stützpunkt für die Hamburger Berufsfeuerwehr am Sander Damm/Johann-Meyer-Straße wurden Anfang Oktober den Bergedorfern vorgestellt.
Die Planung für Bergedorfs zentrale Polizei- und Feuerwache beginnt
Es handelte sich um das ehemalige Gelände der Holzhandlung Krohn, das in direkter Nähe zum Bahnhof Bergedorf längst zu einem beliebten, wenn auch von Schlaglöchern übersäten Parkplatz für Pendler geworden war. Natürlich wetterten sie gegen die Baupläne. Aber noch mehr Widerstand kam von den Anwohnern in den umliegenden Straßen: Sie fürchteten um ihre nächtliche Ruhe. Das einzige, was die Anwohner beruhigte: Mit dem Bau sollte frühestens sechs Jahre später begonnen werden. Tatsächlich konnte erst 1990 Einweihung gefeiert werden.
Noch ein ganz anderes Problem sorgte 1980 für tiefe Falten auf der Stirn von Bezirksamtsleiter Jörg König: Im Gegensatz zur aufstrebenden Nachbarstadt Reinbek befand sich Bergedorfs Bevölkerung auf Schrumpfkurs: „100.000 Einwohner bleiben ein Traum“, schrieb die bz in ihrer Ausgabe vom 11. März und berichtete, dass Bergedorf weitere Einwohner eingebüßt hatte — in vier Jahren sank die Zahl um knapp 2000 auf nun nur noch 88.030. Dabei waren die Männer mit 41.425 deutlich in der Minderheit.
Der Traum von 100.000 Bergedorfern rückt in immer weitere Ferne
Das Ziel, die 100.000er-Marke zu knacken, verfolgte der Bezirk damals schon seit über einem Jahrzehnt – und sollte es auch 1980 wieder klar verfehlen. Selbst die 6000 Neubau-Wohnungen, die bis 1985 am Billebogen, an der Alten Holstenstraße und in Nettelnburg-Süd an der neuen A25 sowie in Allermöhe gebaut werden sollten, würden wohl keine Trendwende bringen, prophezeite Jörg König im Interview. Lediglich in den Vier- und Marschlanden schien die Landflucht gestoppt, pendelte sich die Bevölkerungszahl bei rund 23.000 Menschen ein. 1970 waren es noch 7000 mehr.
Der Rückgang war übrigens nicht durch Abwanderung ins Umland oder in andere Stadtteile zu erklären, sondern mit dem Sterbeüberschuss — ein Phänomen, das ganz Hamburg betraf. Dabei feierte das Bethesda Krankenhaus 1980 die 20.000 Entbindung seit der Einweihung seines Neubaus am Glindersweg anno 1954.
Nachwuchs im Fürstenhaus Bismarck: Zur Taufe kommt der Hochadel
Auch im Fürstenhaus der Bismarcks in Friedrichsruh freute man sich 1980 über Nachwuchs. Der jüngste Spross der Familie, Francisco José Jaime Ferdinando, Sohn von Gräfin Gunilla und ihrem spanischen Ehemann Luis Ortiz Moreno, wurde am 1. Mai in Marbella geboren. Getauft aber werden sollte der Ur-Ur-Enkel des Eisernen Kanzlers am 12. Oktober in der Bismarckschen Gruftkapelle in Friedrichsruh.
Als „Taufe des Jahres im Sachsenwald“ bezeichnete die bz das Fest. Taufpaten waren Gunillas Bruder, Graf Ferdinand von Bismarck, und der Bruder der belgischen Königin, Don Jaime der Mora y Aragon. „Zahlreiche Schaulustige hatten sich eingefunden, als die strahlenden Eltern mit einem dunkelblauen Rolls-Royce vorfuhren“, schrieb die Bergedorfer Zeitung.
Überhaupt wurde das Thema Feiern im Jahr 1980 noch ganz großgeschrieben. Fast täglich berichtete die Bergedorfer Zeitung von Schützenfesten, Straßenfesten, Oktoberfesten, Dorfgemeinschaftsfesten, vom Sommernachtsball in der Panzergrenadier-Brigade 16 in Wentorf. Und vom DRK-Wohltätigkeitsball mit dem Schaubudenmoderator Carlo von Tiedemann, der selbst in Wentorf aufgewachsen war.
Das Wetter schlägt Kapriolen: Zu Ostern kehrt der Winter zurück
Doch bei längst nicht allen Feierlichkeiten schien in diesem Jahr die Sonne. Das Wetter im Jahr 1980 zeigte sich von einer sehr wechselhaften Seite. Nachdem im Frühjahr bereits die Bauhofmitarbeiter 40.000 Stiefmütterchen aus Vierländer Gartenbetrieben in Bergedorfs Innenstadt gepflanzt hatten, kehrte zu Ostern Anfang April der Winter zurück. Auf den vereisten und verschneiten Straßen in und um Bergedorf ging es nur im Schritttempo voran.
Das war nichts gegen die Katastrophe, die sich ein Jahr zuvor im Schneewinter 1978/79 ereignet hatte. Und auch nichts im Vergleich zur Lage, die sich Ende April 1980 im Süden Deutschlands, in der DDR und der CSSR anbahnen sollte. Dort fiel innerhalb einer Nacht so viel Schnee, dass allein in der DDR 149 Orte ohne Strom waren.
Als der Winter sich 1980 dann endlich verabschiedete, folgte umgehend die Hitze: „Der Sommer kam im Frühling“ schrieb die bz am 6. Juni: 28 Grad zeigte das Thermometer da schon im Schatten an. Die Bergedorfer suchten zu Tausenden Erfrischung im Bille-Bad, in dem die Wassertemperatur mit drei Grad weniger auch nur unwesentlich kühler als die Luft war.
Hitze und kein Regen im Juni – Die Förster warnen vor Waldbränden
Die Kehrseite des plötzlichen Sommers: Es war viel zu trocken. „Dieser Mai war der trockenste seit über 100 Jahren“, zitiert die bz einen Meteorologen. In ganz Hamburg fielen nur 13 Millimeter Niederschlag im gesamten Mai. Die Böden waren ausgetrocknet und die Bauern besorgt um Sommerhafer, Roggen und Grünflächen. Die Förster bangten um ihren Wald, der „trocken wie Zunder war“ und in den Baumärkten wurden allmählich die Gartenschläuche knapp.
Mitte Juni kam dann die große Abkühlung – auch wieder überaus plötzlich. Ein Temperatursturz von bis zu 20 Grad in der Nacht vom 14. auf den 15. Juni führte überall in Deutschland zu schweren Gewittern und Hagelstürmen. Die Feuerwehren waren im Dauereinsatz, Keller wurden überflutetet, Bäume entwurzelt, Häuser in Brand gesetzt, Telefonleitungen unterbrochen. In der DDR kamen neun Menschen ums Leben, sechs davon allein auf einem Campingplatz in Eisenach, wo abgeknickte Bäume auf Zelte fielen.
Blitzschlag zerstört ihr Reetdachhaus der Familie Graumann in Moorfleet
In Bergedorf schlug in zwei Häusern der Blitz ein, darunter in das 170 Jahre alte Reetdachhaus der Familie Graumann an der Sandwisch in Moorfleet, das in dieser Nacht innerhalb einer Stunde niederbrannte. „Wir konnten nur die Papiere, vier Bettdecken und unser Leben retten“, berichtete Renate Graumann, Mutter der fünfköpfigen Familie.
Nach dieser Nacht standen die Graumanns, die hier zusammen mit der Oma unter einem Dach gelebt haben, quasi vor dem Nichts. Doch dann setzte eine große Hilfsbereitschaft ein: Die Familie kam für einige Wochen im Pastorat unter, Nachbarn spendeten Kleidung, Hausrat und Spielsachen. Mit dem Geld der Feuerkasse wurde ein neues Haus (ohne Reetdach) gebaut.
Auf das heftige Gewitter folgte ein Sommer, der viel zu kalt und viel zu nass war. Ein Tief folgte auf das nächste, die Sonne war mit nur 35 Stunden im Juli (statt sonst durchschnittlich 215 Stunden) so selten zu sehen, wie nie zuvor. „Dieses Wetter macht krank“, schrieb die bz Mitte des Monats. Viele litten an Erkältungskrankheiten, nicht nur draußen war es zu kalt, sondern auch drinnen in den ungeheizten Wohnungen.
Kaum Sonne im Juli: Bademeister vom Tonteich macht Sommerferien
Wieder waren die Bauern voller Sorge: Sie fürchteten erhebliche Ertragseinbußen bei sämtlichen Getreidearten, um die Heu-Ernte, die sprichwörtlich ins Wasser fiel, und um die Frühkartoffeln, die auf den überschwemmten Felder nicht geerntet werden konnten. An den Sträuchern faulte das Obst, die Kirschen schmeckten wässrig und selbst die Kühe litten unter dem nassen Wetter, das die Vermehrung von Parasiten begünstigte. Nur die Forstwirtschaft hatte keinen Grund zu klagen und sagte eine reiche Pilzernte voraus.
Kein Wunder, dass bei diesem Wetter das Tonteichbad in Wohltorf leer blieb. So konnte Bademeister Adolf Kruse „zum ersten Mal seit 15 Jahren seinen Urlaub im Juli nehmen“, wie die bz berichtete.
Diesel und Benzin werden elf Pfennig teurer – Gartenbaubetriebe in Sorge
Kein besonders gutes Jahr war 1980 auch für die Vierländer Gartenbaubetriebe, die ohnehin schon mit den hohen Energiekosten für ihre Gewächshäuser zu kämpfen hatten. Seit Jahresbeginn verteuerte sich der Liter Diesel ebenso wie das Benzin um elf Pfennig, schrieb die bz im Februar. Doch die Vierländer gingen neue Wege und setzten schon damals auf Wärmepumpen und Sonnenenergie, wie am 1. Juni in der Bergedorfer Zeitung zu lesen war.
Nicht nur die Wirtschaftsnationen strebten in der zweiten Energiekrise nach 1973 danach, gemeinsam weg vom Öl zu kommen und setzten auf den Ausbau von Atomenergie. Die Windenergie steckte da noch in den Kinderschuhen: Im Sommer 1980 wurde der erste Prototyp einer Windkraftanlage, genannt Growian 1, mit einem Zweiblatt-Rotor und einer Höhe von 150 Metern im Kreis Dithmarschen in Betrieb genommen. Ziel war es, die Wirtschaftlichkeit der Stromerzeugung mit Windenergie zu erforschen. Baukosten der Anlage: 30 Millionen Mark.
Faulgase machen einen Reinbeker unabhängig vom Heizöl
Seiner Zeit weit voraus war auch ein Reinbeker aus dem Ortsteil Büchsenschinken, den die bz 1980 porträtierte. Er war Besitzer einer verfüllten Deponie und nutzte nun deren Faulgase mit einer selbstkonstruierten Anlage zum Heizen und für die Warmwasseraufbereitung seines Hauses. Dieser Reinbeker musste sich von da an keine Sorgen mehr über steigende Energiekosten machen.
Der Großteil der Deutschen aber tat das. Der wirtschaftliche Aufstieg verlangsamte sich, die hohen Ölpreise belasteten die Konjunktur und das Haushaltsbudget der Deutschen. Ein wunder Punkt der sozialliberalen Regierung mit Helmut Schmidt als Kanzler, den die CDU/CSU-Opposition immer wieder traf.
Entscheidend war das der bei der Wahl im Oktober nicht, konnte die SPD mit der FDP ihre Regierung fortsetzen und der Bergedorfer SPD-Direktkandidat Helmut Schmidt eine weitere Amtszeit als Kanzler antreten. Die Bundesbürger hatten sich für Besonnenheit und Ausgleich entschieden. Eigenschaften, die seinem Herausforderer, dem CDU/CSU-Kanzlerkandidaten Franz Josef Strauß, nicht zugesprochen wurden. Der streng konservative Politiker aus Bayern spaltete die Gemüter wie kein anderer und war für die Linken eine Hassfigur.
3000 Polizisten schützen Franz-Josef Strauß in Hamburg
Als der bayerische Ministerpräsident am 25. August 1980 zur zentralen Wahlkampfveranstaltung nach Hamburg kam, war die Stimmung mehr als aufgeladen. Während Strauß von 6500 Anhängern in der inzwischen abgerissen Ernst-Merck-Halle auf dem Messegelände umjubelt wurde, demonstrierten davor 15.000 Menschen gegen ihn. Ein kleiner Teil der Demonstranten lieferte sich teils schwere Straßenschlachten mit den rund 3000 Polizisten sowie Bundesgrenzschutz-Einheiten, die den Veranstaltungsort absicherten.
Die Bilanz des Tages war bitter: 100 verletzte Polizisten und ein toter Demonstrant. Der 16-jährige Olaf Ritzmann wurde an der Bahnbrücke Sternschanze von einer S-Bahn erfasst und erlag vier Tage später seinen Kopfverletzungen. Linke warfen der Polizei vor, den Bahnhof gestürmt und ihn in den Tod getrieben zu haben. Die Polizei bestritt die Vorwürfe.
Zwei Tote nach Brandanschlag auf Flüchtlingsheim an der Halskestraße
Ein Grund, warum die Stimmung am 25. August auf der Straße so aufgeladen war, dürfte das schockierende Ereignis drei Tage zuvor gewesen sein: In der Nacht zum 22. August wurde ein Brandanschlag auf das Ausländerwohnheim in Billbrook an der Halskestraße verübt. In dem Wohnheim lebten mehr als 200 vietnamesische Flüchtlinge. Während sie in ihren Zimmern schliefen, warfen Unbekannte drei Molotowcocktails durch ein Fenster.
Zwei junge Vietnamesen erlitten furchtbare Verbrennungen, ein 22-Jähriger starb noch am selben Tag, der andere, erst 18 Jahre alt, knapp eine Woche später. Elf Tage nach dem Anschlag nahm die Polizei drei Verdächtige fest, zwei 50 Jahre alte Männer und eine 24-jährige Frau. Sie gehörten zur rechtsextremen Terrorzelle „Deutsche Aktionsgruppen“. Sie gestanden diesen und weitere Anschläge auf Asylunterkünfte in der Bundesrepublik. Einen Gedenkstein für die Opfer sollte es erst 2024 geben.
In Polen führt Lech Walesa den Streik der Werftarbeiter an
Innen- wie außenpolitisch war das Wahlkampfjahr 1980 alles andere als einfach. Die Spannungen zwischen Ost und West, insbesondere durch den Einmarsch der Sowjetunion in Afghanistan und die Verbannung des sowjetischen Regimekritikers, Bürgerrechtlers und Friedensnobelpreisträger Andrej Sacharow von Moskau nach Gorki Anfang 1980 führten letztlich dazu, dass die USA und auch die Bundesrepublik die Olympischen Spiele im Juli und August in Moskau boykottierten.
Zu gleichen Zeit etwa brach in Polen die Krise aus: Werftarbeiter an der Ostsee legten aus Protest ihre Arbeit nieder und forderten höhere Löhne, mehr Mitbestimmung und Demokratie. Mittelpunkt der Streiks war die Danziger Werft mit dem Elektriker Lech Walesa als charismatischer Führer der streikenden Arbeiter. Der Westen beobachtete die Situation aufmerksam und fürchtete einen Einmarsch der Russen in Polen, ähnlich wie 1968, als in der Tschechoslowakei der Prager Frühling mit Panzern niedergewalzt wurde.
Die Welt ist schockiert über den Mord an Ex-Beatle John Lennon
Papst Johannes Paul II., gebürtiger Pole, schaltete sich ein und lud Walesa in den Vatikan ein. Auch während seines fünftägigen Deutschlandbesuchs hatte das Oberhaupt der katholischen Kirche Mitte November einen eindringlichen Friedensappell an die Politiker gerichtet. Rund 1,5 Millionen Deutsche jubelten Johannes Paul II. zu. Es war der erste Papstbesuch in Deutschland seit 200 Jahren.
Umso größer war der Schock, als drei Wochen später, am 8. Dezember, der Musiker und Ex-Beatle John Lennon von seinem Fan Mark Chapman in New York auf offener Straße mit sieben Schüssen getötet wurde, nachdem dieser sich zuvor noch eine Platte hatte signieren lassen. Chapman gab an, dass er sauer auf den Popstar gewesen sei, der in seinen Liedern Liebe und Frieden predigte und selbst Millionen von Dollar besaß.
- Der „Fürst von Bergedorf“ stirbt viel zu früh
- Bergedorf zwischen Einkaufslust und Umweltfrust
- 1977: Terror der Roten Armee Fraktion bewegt Bergedorf
Kein gutes Omen für das neue Jahr 1981. Dass das – zumindest konjunkturell – nicht besser werden würde, darauf bereitete Bundeswirtschaftsminister Otto Graf Lambsdorff (FDP) seine Mitbürger Ende 1980 vor. Der Winter werde hart, Wachstum, wenn überhaupt, werde frühestens zum Sommer erwartet.
Kurz vergessen waren die Sorgen am 2. Dezember, als der Winter ungewöhnlich früh in Bergedorf einsetzte und aus dem Bezirk „einen Wintertraum machte“, wie die bz schrieb. Vor allem bei den Kindern war die Freude groß, die auf ihren Schlitten die Pisten hinunter rodelten.
Zwei Tage später, am 4. Dezember, erwies sich Reinbeks Feuerwehrchef Gerd Tamm als weitsichtiger Lebensretter. In der Wartungshalle der Firma Kroll war an dem Tag ein Tanklastzug explodiert, wobei fünf Arbeiter verletzt und das Dach der Halle zerfetzt wurde. Tamm setzte sich kurzerhand in den brennenden Lkw, fuhr ihn aus der Halle und verhinderte Schlimmeres, schrieb die bz. Für sein entschlossenes Handeln wurde der Feuermann noch Ende 1980 mit dem Feuerwehrverdienstkreuz in Silber ausgezeichnet.