Hamburg. Der Wintereinbruch zum Jahreswechsel 1978/1979 überraschte auch die Bergdorfer – wenig später kommt ein Umweltskandal ans Tageslicht.

Das Jahr 1979 beginnt für die Bergedorfer eisig. Überraschend eisig. Denn noch über Weihnachten herrschten in Deutschland milde Temperaturen im zweistelligen Bereich. Doch dann kommt der Winter mit aller Gewalt. Am 29. Dezember 1978 beginnt der erste Schnee im Norden zu fallen. In Dänemark müssen einen Tag später schon Fahrzeuge von Panzern aus den Schneewehen geschleppt werden. Und am 2. Januar titelt die Bergedorfer Zeitung: „Der Kampf gegen den Schnee“, meldet 13 erfrorene Menschen und 17 Gemeinden ohne Strom.

Zunächst scheint sich die Lage rasch wieder zu beruhigen. Einen Tag später heißt es bereits „Der Norden atmet auf“, die Stromversorgung ist gesichert, viele Straßen sind wieder befahrbar. Auf der Titelseite vermeldet die Bergedorfer Zeitung zwar noch: „47 Bergedorfer waren im Schnee gefangen“. Allerdings verbirgt sich dahinter keine Begegnung mit dem eisigen Tod. Die Menschen aus dem Bezirk sind zu einer Butterfahrt nach Helgoland aufgebrochen und sitzen nach der Rückkehr in Heiligenhafen fest.

Massive Schneefälle wirbeln das Leben in Norddeutschland durcheinander

Ein Reeder bringt die insgesamt 170 Teilnehmer der Butterfahrt in einem Ferienzentrum unter. Warme Betten und gute Verpflegung machen den unfreiwilligen Aufenthalt am Meer erträglich. Im Bericht „Die Butterfahrt ins Schnee-Chaos“ erzählen die Bergedorfer von einer fröhlichen Silvesterfeier fern der Heimat. Nur an Wechselklamotten und Bargeld fehlt es den Gestrandeten. Schließlich hat Schüler Michael Hinsch sein ganzes Geld auf dem Einkaufstrip für zollfreie Waren ausgegeben. Ebenfalls ein Ärgernis: Nur zwei Tassen Kaffee gibt es am Tag.

Das ganz große Drama bleibt in diesem Jahrhundertwinter in Bergedorf also aus. Doch die Schneemassen wirbeln das Leben der Menschen vor Ort weiter durcheinander. Am 4. Januar berichtet unsere Zeitung von einer S-Bahn, die im Krähenwald auf vereisten Schienen steckenbleibt und von Bergedorf nach Reinbek vier Stunden braucht. Nachdem die Schneemassen einigermaßen erfolgreich bekämpft worden sind, wird das Eis auf den Wasserstraßen zum Problem. „Vor dem Geesthachter Wehr haben sich Eisschollen zusammengeschoben und stapeln sich etwa 14 Meter tief bis zum Elbgrund“, berichtet die bz. Es droht Hochwasser.

Der Hamburger Hafen war im Januar 1979 teilweise zugefroren.
Der Hamburger Hafen war im Januar 1979 teilweise zugefroren. © picture-alliance / dpa | dpa Picture-Alliance / DB Klar

Bereits am 10. Januar kündigt die Bergedorfer Zeitung dann schon die nächsten Schneefälle an. Zwei Millionen Mark hat die Stadt Hamburg bis dahin schon zur Bekämpfung der Schneemassen ausgegeben. Als später im Jahr Bilanz gezogen wird, wird allein der Bezirk Bergedorf die gleiche Summe bezahlt haben.

Die Folgen des extremen Winters sind jetzt immer häufiger zu spüren. Mitte Januar kommt es zu einem tödlichen Glatteisunfall auf der B5, als ein Taxi ins Schleudern gerät und in einen Kombi hineinrast. Schon am 10. Januar kommt es auf der Hamburger Elbbrücke zu einer Gasexplosion, weil die extremen Tieftemperaturen eine Leitung angegriffen haben. Die Stahlträger der Brücke verformen sich durch die Wucht der Detonation. Wie durch ein Wunder wird nur ein Mensch leicht verletzt, der Altengammer Heinrich Gizewski wird mit seinem Auto in die Luft geschleudert, erleidet aber nur Blessuren an Nase und Knie. Die Bergedorfer Zeitung kann den 45-Jährigen und seine erleichterte Ehefrau zu Hause besuchen.

Im Februar 1979 war auch die K 56 zwischen Bargteheide und Jersbek meterhoch zugeweht.
Im Februar 1979 war auch die K 56 zwischen Bargteheide und Jersbek meterhoch zugeweht. © Manfred Giese | Manfred Giese

Bizarr sind die Auswirkungen auf die Tierwelt. Der Hunger treibt im Februar immer mehr Waldohreulen in die bewohnten Gebiete der Stadt. „Fast wie eine Invasion“, schildert Olga Lüssen aus Lohbrügge. Bei einer Umfrage für die Ausgabe am 6. Februar haben zumindest die jüngsten Bergedorfer nicht genug von der weißen Pracht. „Man kann so schön Schlitten fahren, und das macht immer noch Spaß“, meinen Michaela Gottkowski und Ines Nieswandt.

Doch dann schlägt der Winter Mitte Februar noch einmal mit aller Kraft zu. Erneut müssen in Norddeutschland Straßen gesperrt und Bahnstrecken stillgelegt werden – auch in den Kreisen Stormarn und Herzogtum Lauenburg. „Die Städte Geesthacht, Lauenburg und Schwarzenbek sind von den Verkehrswegen so gut wie abgeschnitten“, schildert die bz am 15. Februar die Lage. Der Bezirk Bergedorf richtet im Lichtwark-Haus eine Notunterkunft für Menschen ein, die nicht mehr nach Hause können, die Behörden rufen die Bürger auf, die Gehwege freizuschaufeln.

Mit Bergpanzern versuchte die Bundeswehr die Autobahn Hamburg-Hannover vom Schnee zu befreien.
Mit Bergpanzern versuchte die Bundeswehr die Autobahn Hamburg-Hannover vom Schnee zu befreien. © dpa | Lothar Heidmann

In Schleswig-Holstein wird die Lage in den kommenden Tagen dramatisch. „In den Dörfern wird das Brot knapp“, lautet die alarmierende Titelschlagzeile unserer Zeitung am 16. Februar. In vielen Dorfläden gehen die Lebensmittel aus. Die Bergedorfer bleiben von solchen Versorgungsengpässen verschont. Lebensmittel Georg Lüdemann macht gute Geschäfte, als er mit seinem rollenden Supermarkt den Kunden den Weg vor die Haustür erspart.

Kaum sind die Winterkapriolen im März überstanden, treibt den Bergedorfern eine andere Nachricht Sorgenfalten auf die Stirn. Bei sieben Bauern in Billwerder wird bei Untersuchungen das Gift Hexachlorcyclohexan (HCH) in der Kuhmilch entdeckt. Was die meisten Menschen zu diesem Zeitpunkt noch nicht ahnen können: Es handelt sich um eines der ersten Anzeichen für den vielleicht größten Giftskandal in der Geschichte Hamburgs.

Schock für die Menschen in Bergedorf und dem Heimatgebiet: Die Behörden finden Gift in der Milch.
Schock für die Menschen in Bergedorf und dem Heimatgebiet: Die Behörden finden Gift in der Milch. © Bergedorfer Zeitung | Julian Willuhn

Der Hamburger Milchreferent hatte im Fernsehen einen Bericht über HCH-Funde in hessischer Kuhmilch gesehen und Untersuchungen in der Hansestadt angeregt. Die Substanz reichert sich im Körperfett an, es besteht der Verdacht, dass langfristig Leber und Nervensystem geschädigt werden könnten. Die Berichterstattung der bz ist zu Beginn an auch von Sorge um das Schicksal der unschuldig betroffenen Landwirte geprägt.

„Ich würde einen Schaden von 100.000 Mark erleiden. Und wir haben bisher keinen, den wir packen können, der Schuld hat“, klagt ein Bauer gegenüber unserer Zeitung. Ein Kommentar von Chefreporter Heinz Blumenthal wiegelt ab und spricht am 14. März von „vagen Vermutungen“ und warnt vor „unangemessenen Angstpsychosen“. Weitere Proben sollen nun belegen, wie stark Boden und Vegetation verseucht sind. Das Chemieunternehmen Boehringer weist in einer Pressemitteilung jede Verantwortung von sich.

1984 protestieren Umweltschützer vor dem Boehringer-Werk in Moorfleet.
1984 protestieren Umweltschützer vor dem Boehringer-Werk in Moorfleet. © BGZ

„Unsere heutige Produktion des Pflanzenschutzmittels Lindan ist mit Sicherheit nicht für die Vergiftung der Milch verantwortlich“, sagt Boehringer-Chef Werner Krum der bz in der Ausgabe am 18. März. HCH ist ein Nebenprodukt der Lindan-Herstellung. Allerdings, so räumt Krum ein, abgelagerter Müll aus den frühen Siebzigern könnte durchaus die Ursache sein. Da ist bereits klar, dass die Verseuchung größer ist als bisher angenommen.

Gift in der Kuhmilch: Einer der ersten Vorboten des großen Dioxin-Skandals

Nachdem sechs Kälber in den Vier- und Marschlanden kurz nach Geburt unter mysteriösen Umständen sterben, wird die Angst immer größer. Ein Landwirt stellt in unserer Zeitung am 22. März die Frage, ob in Zukunft überhaupt noch Milch sowie Obst- und Gemüse in den Vier- und Marschlanden produziert werden können. Ein Sprecher des Umweltsenators versucht, die Gemüter zu beruhigen.

Ende des Monats ist die Politik dann schon kurz davor, dass Thema zu den Akten zu legen. „Fehler bei den ersten Proben?“ steht auf der Titelseite der Bergedorfer Zeitung vom 23. März. Tatsächlich sei die Giftkonzentration in der Milch falsch gemessen worden. Als Grund für die Belastung mit HCH wird Läusepulver im Stall vermutet. Also alles halb so wild? In der Hamburgischen Bürgerschaft stehen auf einmal vor allem Entschädigungen für die Verdienstausfälle der Bauern auf der Agenda, und auch die Bergedorfer Bezirksversammlung zieht einen Schlussstrich unter Affäre.

Im Sommer kehrt die Angst vor dem Gift zurück.
Im Sommer kehrt die Angst vor dem Gift zurück. © Bergedorfer Zeitung | Julian Willuhn

Zu früh: Denn am 14. Juni ist das Schreckgespenst zurück. „Seit Jahren rieseln täglich zehn Kilo Gift auf die Erde“, schreibt unsere Zeitung. Auf Drängen des Bezirksamts wird endlich am Schornstein des Chemiewerks von Boehringer in Moorfleet gemessen. Tatsächlich speit die Produktionsanlage über ihre Abluft 25 Milligram HCH pro Kubikmeter in den Himmel über der Region. Eine „erschreckende Vision“, wie die bz es ausdrückt. Am 29. Juni kommt es noch schlimmer: Auch das gefürchtetete „Seveso-Gift“ Tetrachlordibenzodioxin (TCDD) findet sich im Wasser eines Brunnens in der Nähe des Boehringer-Werks. HCH wird derweil auch in Gemüse aus der Gegend entdeckt.

Schah geflohen: Im Iran übernehmen die Islamisten die Macht

Im August berichtet die Bergedorfer Zeitung, dass über drei Monate hinweg heimlich Operationsabfälle von Patienten im Allgemeinen Krankenhaus Bergedorf auf HCH-Ablagerungen untersucht wurden. Nach Ansicht des Gesundheitsdezernats im Bezirksamts sind die gefundenen Spuren der giftigen Chemikalien allerdings unbedenklich. Boehringer lenkt währenddessen ein und ist bereit, den Landwirten Entschädigungen zu zahlen. Erneut verschwindet der Skandal aus den Schlagzeilen. Erst 1984 wird das ganze Ausmaß der Katastrophe deutlich werden, als Boehringer sein Werk schließen muss und die Verseuchung mehrerer Deponien in Hamburg bekannt wird.

In Sachen Politik wirft die Bundestagswahl 1980 bereits ihre Schatten voraus. Im 26. November wird Bundeskanzler Helmut Schmidt als SPD-Kandidat für den Wahlkreis 17 in Bergedorf bestätigt. Schon im Mai war mit dem Christdemokraten Karl Carstens ein neuer Bundespräsident gewählt worden. Die Erwartung an den CDU-Mann laut Bergedorfer Zeitung war „Konsens stiften“. Deutlich streitbarer sollte Großbritanniens neue Premierministerin Margaret Thatcher sein. Die Konservative grüßt am 5. Mai in Siegerpose von der Titelseite der Bergedorfer Zeitung und soll das Vereinigte Königreich radikal umbauen.

Bundeskanzler Helmut Schmidt  gemeinsam mit Margaret Thatcher bei einem Besuch in London 1979.
Bundeskanzler Helmut Schmidt gemeinsam mit Margaret Thatcher bei einem Besuch in London 1979. © dpa | dpa

Bei der Landtagswahl in Schleswig-Holstein Anfang des Monats hat CDU noch ihre absolute Mehrheit verteidigt. Die noch junge „Grüne Liste“ bleibt zwar mit 2,4 Prozent laut bz hinter den Erwartungen zurück. SPD und FDP beklagen sich in der Bergedorfer Zeitung dennoch, dass ihnen entscheidende Stimmen geklaut worden waren.

Außenpolitisch richtet sich die Blicke immer wieder nach Osten. Die politischen Umwälzungen im Iran beherrschen das ganze Jahr über die Schlagzeilen. „Der Schah will Ferien machen“, kündigt die bz am 4. Januar mit einem Zitat aus Teheran an, dass Monarch Reza Pahlewi das Land vorübergehend verlassen werde. Als der iranische Machthaber am 16. Januar tatsächlich ausreist, zeigt unsere Zeitung einen Tag später schon ein Foto von Ayatollah Khomeini – zu diesem Zeitpunkt noch im Pariser Exil – der in der Folge die Kontrolle im Land übernehmen sollte.

Ajatollah Ruhollah Chomeini kehrt aus dem Exil in den Iran zurück und übernimmt die Macht.
Ajatollah Ruhollah Chomeini kehrt aus dem Exil in den Iran zurück und übernimmt die Macht. © dpa | Campion

Weil der gestürzte Schah seine Krebserkrankung im Herbst in den USA behandeln lässt und die Amerikaner sich weigerten, ihn an das Regime in Teheran auszuliefern, stürmen iranische Studenten am 4. Oktober die US-Botschaft und nehmen zahlreiche Amerikaner als Geiseln. Eine militärische Intervention schließen die USA aus, wie die bz am 7. November berichtet. Unter der Überschrift „Verzweifeltes Ringen um das Schicksal der 100 Geiseln“ spricht unsere Zeitung am 12. November von „verhärteten Fronten“.

Am 19. Dezember, die USA haben inzwischen Sanktionen gegen den Iran verhängt, wenden sich die gefangenen Amerikaner bei einer Pressekonferenz an die Öffentlichkeit und berichteten von Isolation und Angst. Die letzten Amerikaner werden erst im Januar 1981 freigelassen.

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Relativ glimpflich geht dagegen die Amokfahrt eines Bundeswehrsoldaten aus, der am 1. Oktober mit einem Marder-Schützenpanzer von der Kaserne in Wentorf bis in die Hamburger City walzt. Dabei wütet der 20 Jahre alte Gefreite auch in Bergedorf und überrollt auf der Bergedorfer Straße zwei Autos. In der Hamburger City kann ein anderer Bundeswehrsoldat von seinem Jeep auf den Schützenpanzer aufspringen und den Amokfahrer überwältigen. Vier Verletzte lautet am Ende die Bilanz.

Ein skurriler Weltrekord beschäftigt die Bergedorfer Zeitung.
Ein skurriler Weltrekord beschäftigt die Bergedorfer Zeitung. © Bergedorfer Zeitung | Julian Willuhn

Skurril ist der Fall des Mannes mit dem vermeintlich längsten Namen der Welt. Den will das Guinessbuch der Rekorde in den USA aufgespürt haben, angeblich sei er aber 1904 in Bergedorf geboren. Der Bandwurmname mit 585 Buchstaben ist eine Aneinanderreihung deutscher Worte, die mit etwas Fantasie eine ganze Geschichte erzählen. Das ruft den selbsternannten UFO-Experten Erich von Däniken auf den Plan, der in dem Namen – wenig überraschend – die Schilderung von außerirdischen Besuchern herausliest. Eine Theorie, die von Däniken auch im Gespräch mit der bz bekräftigt. Die vermutet doch eher einen Scherz, zumal das Bergedorfer Standesamt für das Geburtsdatum keinen passenden Neubürger nennen kann.

HSV-Star Kevin Keegan stemmt die Meisterschale empor.
HSV-Star Kevin Keegan stemmt die Meisterschale empor. © WITTERS | WilfriedWitters

Erfreulich für zahlreiche Menschen in Norddeutschland ist der Endspurt der Bundesligasaison 1978/79. Mit einem 0:0 am Pfingstsonntag sichert sich der Hamburger SV die vierte Deutsche Meisterschaft. In einem Kommentar in der bz wird die siegreiche Mannschaft etwas spitz als „Meister aus der Retorte“ bezeichnet. Die Meisterschaft sei auch das Werk der drei Manager, die das Team zusammengekauft hätten. „Investitionen machen sich eben doch bezahlt“, urteilt der Mitarbeiter unserer Zeitung. Auch das Spiel selbst wird als „solides Fußballhandwerk“ beurteilt. Vielleicht wäre so mancher Fan des Vereins heute angesichts einer Meisterschaft weniger anspruchsvoll.