Bergedorf. Baugenossenschaft Bergedorf-Bille wird 75 Jahre alt. Oder noch viel älter? Über die Zeit wurde sie zur ganz Großen im Wohnungsbau.
Es ist die Geschichte eines Traums, der Wirklichkeit wurde: „Junge Leute, ihr müsst eine Genossenschaft gründen“, sagte Sozialdemokrat Hermann Hackmack 1948, als auch die Menschen in Bergedorf und Lohbrügge den dritten Hungerwinter nach dem Zweiten Weltkrieg mehr schlecht als recht überstanden hatten. „Wartet nicht darauf, dass andere euch helfen. Schmeißt euch zusammen und helft euch selbst.“
Der Aufruf des mitreißenden Redners, sein unverwüstlicher Optimismus und sein beharrliches Wirken sollten Erfolg haben. Am 5. September 1948 gründeten zwölf Genossen um Hermann Hackmack die Siedlungs- und Wohnungsbaugenossenschaft Bille. Es war der winzige Anfang der mit 24.559 Mitgliedern und 9544 Wohnungen heute zweitgrößten Wohnungsbaugenossenschaft Hamburgs nach der städtischen Saga.
Die Baugenossenschaft Bergedorf-Bille wird 75 Jahre alt
Ein Datum, das die Gemeinnützige Baugenossenschaft Bergedorf-Bille am 5. September 2023 nun zum Anlass nimmt, ihr 75-jähriges Bestehen zu feiern. Mit großem Empfang im Körberhaus und 112 Seiten starker Chronik, die neben dem Rückblick im Erzählstil und einem „Hier und Jetzt“ voller persönlicher Beiträge auch einen Ausblick auf künftige Wohnformen umfasst. Denn tatsächlich ist die Bergedorf-Bille bis heute experimentierfreudig, offen für Visionen und solidarisch in Form bezahlbarer Mieten sowie dem sozialen Miteinander im Umfeld ihrer Wohnungen – ganz so wie ihr Gründervater Hermann Hackmack es sich vor 75 Jahre erträumt hatte.
Ob er auch stolz war, dass „seine Bille“ zwölf Jahre nach ihrer Gründung mit der deutlich älteren Baugenossenschaft Bergedorf fusionierte, wird in der Chronik nicht erwähnt. Dabei steht die bis heute für den ersten Teil im Namenszug Bergedorf-Bille, was seinerzeit sicher auch ein Verneigen vor deren Leistung war. Denn auch die Baugenossenschaft Bergedorf wurde von Sozialdemokraten gegründet – und zwar bereits 1922 zusammen mit der damals SPD-regierten Stadt Bergedorf um die riesige Wohnungsnot nach dem Ersten Weltkrieg zu lindern. Sie baute unter anderem am Heinrich-Heine-Weg im Villengebiet und auf dem Gojenberg, dem ersten großflächigen Neubaugebiet Bergedorfs.
Warum die Bergedorf-Bille sich in ihrer Geschichte nicht auf sie bezieht, also im vergangenen Jahr bereits 100. Geburtstag gefeiert hat, lässt die Chronik offen. Auf Nachfrage unserer Zeitung heißt es lediglich, dass die „Bille“ zum Zeitpunkt der Fusion deutlich größer war, als die Baugenossenschaft Bergedorf. Tatsächlich hatte sie 1958 bereits sagenhafte 1320 Wohnungen gebaut, während die Bergedorfer nur mit 644 dazustießen. Vielleicht passt es aber auch besser, sich als Motor des Aufbaus der Bundesrepublik zu sehen.
Genau das ist nämlich der Grund, warum der Verband Norddeutscher Wohnungsunternehmen zur Fusion geraten hatte, die dann am 8. Mai 1960 vollzogen wurde: Die beiden kleinen, direkt benachbarten Genossenschaften könnten gemeinsam doch viel besser Ansprüche erheben, bei Hamburgs damals anlaufenden Großwohnsiedlungen berücksichtigt zu werden. Genau das war bei Lohbrügge-Nord, der ersten ihrer Art in der Nachkriegszeit, nämlich ausgeblieben. Die Planungsgemeinschaft aus Neuer Heimat, Landesplanungsamt und Bezirk Bergedorf hatte ausgerechnet die beiden Bergedorfer Baugenossenschaften nicht beteiligt.
Zu klein war offenbar auch, was die „Bille“ bereits erreicht hatte. Zu ihren ersten Häusern gehörten die Reihenhausforen entlang des Richard-Linde-Wegs in Lohbrügge mit jeweils 16 Wohnungen zu je 46 Quadratmetern. Sie und viele weitere Projekte etwa an der Sanmannreihe, aber auch in Horn, Hamm und Eilbek halfen, die riesige Wohnungsnot der Tausenden Flüchtlinge und Ausgebombten nach dem Zweiten Weltkrieg zumindest ein bisschen zu lindern.
Als Bergedorf-Bille konnte die Genossenschaft aus dem Osten der Stadt schnell zum großen Spieler auf dem Wohnungsmarkt aufsteigen – auch weil es keine Skandale wie bei der Neuen Heimat gab. Auch in Lohbrügge Nord stiegen die Bergedorfer Ende 1962, knapp drei Jahre nach dem Beginn der Bauarbeiten, ein und errichteten bis zum Abschluss der Großwohnsiedlung immerhin noch 928 ihrer insgesamt 6800 Wohnungen.
Bein nächsten Großprojekt, dem direkt im Anschluss entstehenden Bergedorf-West, saß die Bergedorf-Bille dann direkt im Planungsstab. Und sie wurde mit 780 Wohnungen auch der größte Bauherr des Quartiers, das insgesamt 2600 Wohnungen umfasst. Anschließend ging es weiter in Mümmelmannsberg – aber parallel zu diesen Hamburger Großprojekten übernahm die Bergedorf-Bille auch die Entwicklung wichtiger Bereiche im Bezirk. Besonders beliebt bei den Mietern waren Siedlungen wie am Kirschgarten in Lohbrügge oder am Wiesnerring in Bergedorf, die mitten in der Stadt viel Grün, soziale Einrichtungen wie Kitas und Beratungsstellen, Nachbarschaftstreffs und Einkaufsmöglichkeiten boten.
Heute baut die Bergedorf-Bille auch in Geesthacht oder in der Hafencity
Mit Bergedorf wuchs auch die Bergedorf-Bille weiter, baute natürlich auch in Neuallermöhe – und beteiligt sich seit 2011 mit noch mal gesteigerter Bautätigkeit am Bündnis für Wohnen, das der SPD-Senat zur Bekämpfung der Wohnungsnot ausgerufen hatte.
Zudem versteht sich die Baugenossenschaft als Impulsgeber für die Zukunft, für das symbolisch ihr alter Verwaltungssitz in der Bergedorfer Straße 118 steht: Anfang der 1960er-Jahre gleich nach der Fusion zur Bergedorf-Bille als Symbol der neuen Professionalität bezogen, hat das mittlerweile fast 100 Mitarbeiter große Team um Vorstand Marko Lohmann das Gebäude 2022 in Richtung des neuen Verwaltungssitzes am Bergedorfer Tor gegenüber dem ZOB verlassen. So wurde Platz geschaffen, um im Altbau das neue Cluster-Wohnen zu testen: eine Kombination aus privatem Wohnraum und gemeinsam genutzten Bereichen wie einer Gemeinschaftsküche oder einem Spiel- und Freizeitzimmer. Hintergrund: Das alles spart dem einzelnen Bewohner Kosten und macht Wohnen in der Großstand auch künftig noch bezahlbar.
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Die Arbeiten an dem Projekt samt Aufstockung der Verwaltungszentrale sollen kurzfristig beginnen. Dabei geht es auch um die Verwendung klimaschonender Baustoffe: „Wir wollen nicht auf neue Vorschriften warten, sondern schon heute Erfahrungen mit innovativen Baustoffen sammeln“, sagt Bergedorf-Bille-Vorstand Marko Lohmann. „Deshalb gehen wir mit eigenen Projekten voran, um auszuprobieren, was gut funktioniert und in der Breite eingesetzt werden kann.“