Bergedorf. Baugenossenschaft Bergedorf wurde schon 1922 gegründet. Warum die Bille dieses Jahr ein anderes Jubiläum feiert.

Sie hätten allen Grund gehabt, längst ihren 100. Geburtstag zu feiern. Doch die Baugenossenschaft Bergedorf-Bille gibt sich bescheiden: „Wir begehen erst unser 75-jähriges Jubiläum“, sagt Sprecher Rolf Below auf Nachfrage unser Zeitung. „Gefeiert wird diesen Sommer, wenn die größte unserer drei Gründungsgenossenschaften Geburtstag hat.“

Vielleicht waren die knapp 100 Mitarbeiter dieser Vorzeige-Organisation der Bergedorfer Sozialdemokratie im vergangenen Jahr aber auch zu beschäftigt. Denn Ende November stand der Umzug der kompletten Verwaltung in den Neubau gegenüber vom ZOB im Komplex „Bergedorfer Tor“ an – fast genau 100 Jahre nachdem die politischen Querelen um die Gründung der Baugenossenschaft Bergedorf vom März 1922 beigelegt waren.

Lichtwark-Heft erinnert an die Ursprünge der Baugenossenschaft Bergedorf von 1922

Immerhin erinnert Dr. Holmer Stahncke im neuen Lichtwark-Heft des Kultur- & Geschichtskontors (80 Seiten; 8 Euro, in allen Buchhandlungen) nun an die Ursprünge dieses Teils im Namen der Genossenschaft, die den Zusatz „Bille“ erst 1960 bekam, als sie mit der deutlich größeren Lohbrügger „Baugenossenschaft Bille“ fusionierte. Hintergrund damals: Man wollte beim bevorstehenden Bau der Großwohnsiedlung Lohbrügge-Nord prominent mitmischen und dem Konzern „Neue Heimat“ die Stirn bieten.

Beide Genossenschaften haben ihre Ursprünge in Zeiten dramatischer Wohnungsnot: die „Bille“ 1948 nach dem Zweiten Weltkrieg. Und die Baugenossenschaft Bergedorf – wie auch die später hinzugekommene Siedlungsgenossenschaft Nettelnburg – in den 1920er-Jahren, als zahllose Soldaten völlig mittellos und teils kriegsversehrt heimkehrten.

SPD-Bürgermeister Wilhelm Wiesner schuf die Grundlagen

Holmer Stahncke wirft einen Blick zurück in diese Zeit, als SPD-Bürgermeister Wilhelm Wiesner sehr zum Ärger der bürgerlichen Opposition die Grundlagen für die Baugenossenschaft Bergedorf legte. Er beschreibt, wie alle ihre Gremien bis hin zum Vorstand komplett mit Sozialdemokraten besetzt wurden.

Neubau um 1926 im Gojenbergsviertel: Eines der Häuser der Baugenossenschaft Bille an der Hoffmann-von-Fallersleben-Straße.
Neubau um 1926 im Gojenbergsviertel: Eines der Häuser der Baugenossenschaft Bille an der Hoffmann-von-Fallersleben-Straße. © Kultur- & Geschichtskontor | Kultur- & Geschichtskontor

Dank neu entdeckter Unterlagen beleuchtet Stahncke aber auch die späteren Versuche der Nazis, die Baugenossenschaft Bergedorf ab 1933 gleichzuschalten und aufzulösen. Dabei zeichnet er ein Bild, das unbeeindruckt vom braunen Himmel des Dritten Reichs ein Stück Bergedorfer Eigenständigkeit beschreibt. Denn auch wenn Hitlers Schergen damals alles daran setzten, sozialdemokratische Relikte wie Baugenossenschaften auszulöschen, stellten sich verantwortliche Bergedorfer aus ihren eigenen Reihen bei diesem Anliegen offenbar taub.

Wunder im Dritten Reich: Nazis stellen sich gegen die Auflösung

Allen voran Hermann Matthäs, Chef der Bergedorfer Verwaltung in den letzten Kriegsmonaten: Die Genossenschaft habe „Gutes für Bergedorf getan“ und es gehe „aus politischen Gründen nicht an, sie verschwinden zu lassen“, schreibt Stahncke. Und auch NSDAP-Kreisleiter Friedrich Schuster „betonte schlicht und ohne weitere Begründung, dass er keinen Anlass sehe, warum die Baugenossenschaft ihre Selbstständigkeit aufgeben solle“. Tatsächlich gab es bis Juni 1944 sogar die Besonderheit, dass Juden nicht von der Mitgliedschaft ausgeschlossen waren.

Das erste Projekt der Baugenossenschaft Bergedorf ist fertiggestellt: die Häuser am Heinrich-Heine-Weg um 1925.
Das erste Projekt der Baugenossenschaft Bergedorf ist fertiggestellt: die Häuser am Heinrich-Heine-Weg um 1925. © BGDZ | Privat

Was geradezu harmlos klingt, beschreibt Bergedorfs Alltag unter dem Hakenkreuz allerdings nur sehr eingeschränkt. Denn natürlich wurden in allen Gremien der Baugenossenschaft schon 1933 die Sozialdemokraten durch Nationalsozialisten ersetzt. Mehr noch: Holmer Stahncke führt aus, dass versucht wurde, den Abgesetzten Korruption anzulasten. Aufsichtsratsvorsitzender Christian Petersen wurde auf der Straße zudem krankenhausreif geschlagen. Ferner konfiszierten die Nazis das Sparbuch und damit Großteile des Vermögens des Vorstandsvorsitzenden Johannes Petersen.

Er überlebte den Krieg und stand anschließend bis in die 1960er-Jahre wieder an der Spitze der Baugenossenschaft. Heute gehört die Bergedorf-Bille mit rund 9500 Wohnungen in fast allen Hamburger Stadtteilen einschließlich der HafenCity sowie in Geesthacht und Wentorf zu den größten Anbietern der Hansestadt. Ihren Schwerpunkt bildet aber weiterhin der Bezirk Bergedorf. Hier liegen knapp 7300 ihrer Wohnungen.

Die Anfänge waren im Vergleich dazu winzig: Los ging es 1922 mit dem Bau von 21 Wohnungen am damals frisch erschlossenen Heinrich-Heine-Weg am Rand des Villengebiets. Und als 1926 Bergedorfs erstes großes Neubaugebiet auf dem Gojenberg entstand, war die Baugenossenschaft mit 60 Wohnungen dabei, etwa an den Hoffmann-von Fallersleben-Straße.