Bergedorf. Prognose erwartet 21.000 Kfz-Fahrten täglich. Experte fürchtet Schallschutz-Vorschriften „für Hunderte Gebäude“.

Oberbillwerder wird es laut machen auf Bergedorfs Straßen – und im Umfeld seiner drei Anschlussstraßen auch deutlich voller als heute. „Für mehrere Hundert Gebäude im gesamten städtischen Bereich des Bezirks werden Schallschutzmaßnahmen gesetzlich verpflichtend sein“, sagt Oliver Riek, Experte vom Ingenieurbüro Lärmkontor aus Altona. Das gelte längst nicht nur für Anlieger der direkten Zubringer nach Oberbillwerder, wie Rahel-Varnhagen-Weg, Mittlerer Landweg und dem östlichen Billwerder Billdeich samt Ladenbeker Furtweg bis zur B5.

Am Donnerstag stellte Riek im Stadtentwicklungsausschuss der Bezirksversammlung gleich drei schalltechnische Untersuchungen zur Lärmbelastung durch den 15.000 Einwohner großen Zukunftsstadtteil vor, der ab Mitte 2024 auf den Wiesen nördlich der S-Bahn-Station Allermöhe gebaut werden soll. Es ging um den Lärm der täglich bis zu 180 Lkw, die für das anfängliche Aufschütten des Areals erwartet werden, die Folgen der neuen B5-Anschlussstelle, die südlich der Brücke des Ladenbeker Furtwegs geplant ist – und die Auswirkungen des Kfz-Verkehrs aus Oberbillwerder.

Der meiste Lärmschutz erst nötig, wenn die Menschen nach Oberbillwerder ziehen

Deutliche Folgen für den Lärmschutz wird der Kfz-Verkehr dieses 15. Bergedorfer Stadtteils demnach erst dann haben, wenn dessen Einwohnerschaft mit den ersten fertigen Wohnungen ab 2030 langsam aufwächst. Auch wenn das Gutachten dazu noch nicht ganz abgeschlossen ist und in den kommenden Jahren erst mit neuen Prognosen und dann mit konkreten Zahlen regelmäßig aktualisiert wird, legte der Lärmexperte im Auftrag des Bezirksamts jetzt eine erste Einordnung vor.

Basis sind die Werte des Verkehrsplanungsbüros Argus, das 21.000 Autofahrten täglich erwartet. Für den Anschluss im Nordosten Richtung Bergedorf und B5 schätzen seine Experten sogar ein Kfz-Plus von gut 450 Prozent auf dem östlichen Billwerder Billdeich bei der Bojewiese. Wo ohne Oberbillwerder 2100 Autos fahren würden, sollen es mit Zukunftsstadtteil 11.900 täglich sein.

12.500 Autos durch Neuallermöhe, 9100 über Mittleren Landweg

Fast verdoppeln wird sich demnach der Verkehr auf dem Rahel-Varnhagen-Weg in Neuallermöhe, der über eine Bahnunterführung von Oberbillwerder angefahren als Zuwegung zur A25 über den Nettelnburger Landweg genutzt werden soll. Statt 6700 Autos und Lkw sollen es innerhalb von 24 Stunden dann 12.500 werden.

Erstaunlich niedrig schätzen die Experten die Frequenz auf dem Mittleren Landweg ein, obwohl der über das Gewerbegebiet Allermöhe und die Autobahnen 1 und 25 die kürzeste Verbindung in die Hamburger City darstellt. Von 3500 steigt die Belastung zwar um rund 70 Prozent auf 9100 Kfz, bleibt mit einem Plus um 5600 Fahrten aber noch unter dem Wert für den Rahel-Varnhagen-Weg.

Schleichverkehr über Billwerder Billdeich und durch Neuallermöhe-West

Gar nicht betrachtet werden in dem Gutachten dagegen mögliche Schleichverkehre über den Mittleren Landweg und den Billwerder Billdeich Richtung Hamburger Zentrum. Und auch nicht die Abkürzung vom Rahel-Varnhagen-Weg über den Felix-Jud-Ring zur A25-Anschlussstelle Neuallermöhe-West. Sie sollen durch Verkehrsberuhigungen und „intelligente“ Straßenführungen verhindert werden – auch um den zusätzlichen Straßenlärm nicht überall hinzutragen.

Dass der zwar nicht dort, aber an vielen anderen Stellen des innerörtlichen Straßennetzes in Bergedorf Folgen hat, machte Oliver Riek mit Nachdruck deutlich: „Im gesamten Untersuchungsnetz weisen mehrere Hundert Gebäude einen Schallkonflikt auf und müssen nachgerüstet werden. Dazu gehören neben Wohnhäusern auch Kitas, Kirchen, Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen.“ Die Nachrüstungen seien gemäß Bundesimmissions-Schutzverordnung verpflichtend, weil teils der maximal zulässige Lärmpegel überschritten werde, noch häufiger aber, weil die Steigerung über den gesetzlich festgeschriebenen Werten liege.

Schallschutz durch neue Fenster oder Fahrverbote, eher nicht mit Lärmschutzwänden

Welcher Schallschutz konkret realisiert werden müsste, ließ der Experte offen: „Die Möglichkeiten reichen von neuen Fenstern über Geschwindigkeitsreduzierungen bis zu Durchfahrtsverboten von Lkw. Neue Lärmschutzwände sehe ich eher als große Ausnahme.“

Ob die zumindest für die B5 infrage käme, wo in Lohbrügge unter anderem die Anwohner des direkt benachbarten Dünenwegs schon seit Jahren Lärmschutz fordern, wird in der Untersuchung nicht thematisiert. Hintergrund: Penibel genau betrachtet werden nur jene Straßenabschnitte, die für den Anschluss Oberbillwerders umgebaut werden müssen. So erhält am Ladenbeker Furtweg einzig das Mädchenwohnheim kurz vor der Brücke über die B5 verpflichtend neue Spezialfenster.

Tatsächlich untersucht wurden im Auftrag des Bezirksamts allerdings die Folgen des wachsender Verkehrs auf die Specht-Population im stark bewaldeten nord-östlichen Zipfel des Naturschutzgebietes Boberger Niederung. Ein Umstand, der im Stadtentwicklungsausschuss für böse Kommentare sorgte, liegt der Dünenweg doch genau gegenüber, auf der anderen Straßenseite der B5. Allerdings wurde auch der Lärmschutz für die Vögel verworfen.

Am erhofften weiteren Siegeszug der Elektromobilität lag das nicht. „Die E-Fahrzeuge sind nur in extrem langsamer Fahrt wirklich leise“, erklärte Experte Oliver Riek den Politikern im Ausschuss. „Ab 30 km/h übersteigt bei allen Fahrzeugen das Rollgeräusch des Reifenprofils den Lärm des Motors. Und weil die Akkus jedes Elektrofahrzeug deutlich schwerer machen, als das vergleichbare Modell mit Verbrenner-Motor, braucht die E-Variante sogar breitere und damit lautere Reifen.“ Das Lärmproblem des Straßenverkehrs werde künftig also sogar gravierender werden.