Hamburg. Nabu sieht Grundlagen des Klimaschutzes missachtet. Stellungnahme hat es in sich. Was die Verbände kritisieren.

Ihre Stellungnahme ist 15 Seiten stark und versieht die Pläne für Oberbillwerder mit einem ganz dicken Fragezeichen: Die Arbeitsgemeinschaft der Hamburger Naturschutzverbände hat sich beim Bezirksamt jetzt zum Zukunftsstadtteil geäußert, der ab 2024 auf der Fläche nördlich des S-Bahnhofs Allermöhe entstehen soll.

Es handelt sich zwar nur um die übliche Stellungnahme im laufenden Bebauungsplanverfahren, doch die hat es in sich: „Nach unserer Auffassung erschwert beziehungsweise verhindert das Vorhaben die angestrebte Reduzierung von CO2-Emissionen und bleibt bei den Maßnahmen der Klimawandelanpassung hinter den Erwartungen und dem Notwendigen zurück“, gibt Dr. Christian Gerbich, Naturschutzreferent des Nabu, eine Wertung ab, die im Sport eine Gelb-Rote, wenn nicht Rote Karte wäre. „Es stellt sich die Frage, ob die geplante Versiegelung von 80 Hektar Natur- und Kulturfläche heute noch zeitgemäß ist.“

Klimaneutralität von Oberbillwerder: Große Worte, fast nichts dahinter

Der Experte zweifelt an den festgeschriebenen Bewertungsgrundsätzen des Großprojekts, das den Aspekt der Klimaneutralität zwar in seinen Ankündigungen betone, tatsächlich aber gar nicht in den Vordergrund stelle. Hamburgs Nabu-Chef Malte Siegert wird sogar noch deutlicher: „Bei Oberbillwerder mit seinen fast 7000 Wohnungen und rund 15.000 Einwohnern handelt es sich um einen gravierenden Eingriff in Natur und Landschaft. Für eine ansatzweise naturverträgliche Realisierung des Projektes braucht es zahlreiche Nachbesserungen.“

Neben dem absehbaren Nutzungsdruck auf die Flora und Fauna der benachbarten Naturschutzgebiete Boberger Niederung und Allermöher Wiesen stellt der Nabu die fehlende Bilanzierung der sogenannten „grauen Energie“ heraus. Dabei geht es um die anfallenden Emissionen, die bei der Herstellung und dem Transport der riesigen Mengen an benötigten Baustoffen entstehen. Aber auch um die unzähligen Lkw-Fahrten, die für das Aufschütten des Untergrundes mit fast einer Million Kubikmeter Sand nötig sein werden.

Nabu-Naturschutzreferent Gerbitz machen Planungsunterlagen fassungslos

Den Unterlagen des Bebauungsplan-Entwurfs und des Oberbillwerder-Entwicklers IBA Hamburg sei zwar zu entnehmen, dass Bergedorfs 15. Stadtteil „als Beispiel für einen klima- und ressourcenschonenden Stadtteil entwickelt werden soll“, schreibt der Nabu in einer Pressemitteilung. „Wie das genau erreicht werden soll, wird jedoch nicht erwähnt.“

So führten die Planungsunterlagen an, dass sich trotz der riesigen Dimension des knapp 120 Hektar großen Zukunftsstadtteils durch den Bau keine erheblichen Umweltauswirkungen und erst recht keine Folgen für das „Schutzgut Klima“ ergäben. Christian Gerbitz macht das fassungslos: „Das ist in keiner Weise nachvollziehbar“, sagt der Naturschutzreferent. „Es wird zusätzliche baulich bedingte CO2-Emissionen geben, dazu Einschränkungen der CO2-Speicherfunktion des Bodens und durch die Versiegelung erzeugte Wärmeinseln.“

Bauarbeiten in Oberbillwerder werden bis in die 2040er-Jahre dauern

Für Gerbitz ist klar, dass hier der Klimaschutz gerade nicht an erster Stelle steht: „Man muss sich fragen, ob die Genehmigung einer Flächenversiegelung in derart großem Ausmaß heute noch zeitgemäß ist. Denn die Arbeiten an Oberbillwerder werden ja nicht schon 2025 beendet sein, sondern sich bis in die 2040er-Jahre hinziehen.“

Abschließend richtet sich die Kritik der Naturschutzverbände an die aus ihrer Sicht unzureichende Berücksichtigung des Artenschutzes. „Ob die teilweise bis zu 30 Kilometer von Oberbillwerder entfernten Ausgleichs- und Artenschutzmaßnahmen die Verluste der Natur und die Bestände der betroffenen Arten tatsächlich nachhaltig kompensieren können, ist fraglich“, sagt Christian Gerbitz. Ihm ist besonders die geplante Verbindungsstraße zum Mittleren Landweg ein Dorn im Auge. „Sie durchschneidet unwiederbringlich den Naturkorridor zwischen den Naturschutzgebieten Boberger Niederung und Allermöher Wiesen.“

Grundsätzlich sei aber ganz Oberbillwerder aus Sicht des Klima- und Naturschutzes das genaue Gegenteil eines Zukunftsstadtteils: „Ein derartiges Experiment können wir uns angesichts des fortschreitenden Artensterbens heute nicht mehr leisten.“