Bergedorf. Poetry-Slam, Kunstschau und Filmabende und vieles mehr: Nun ist Ute Becker-Ewe für den Bürgerpreis Bergedorf nominiert.

Sie ist klein, bunt und kann einem mit ihrer Hartnäckigkeit ganz schön auf die Nerven gehen: „Ja, aber das muss doch irgendwie gehen“, sagte Ute Becker-Ewe oft, wenn sie im Bergedorfer Kulturausschuss saß, in dem für Wirtschaft oder Soziales. Wo ist diese Frau eigentlich nicht dabei, wenn es irgendwas zu organisieren gibt? Stundenlang ehrenamtlich, einfach noch obendrauf – daher stellen wir die 80-Jährige heute als Kandidaten für den Bergedorfer Bürgerpreis vor, den die Volksbank Bergedorf gemeinsam mit der Bergedorfer Zeitung am 13. September verleihen wird.

„Mangels Geld ist aber nicht immer alles gelungen“, sagt die Anhängerin der großen Künste und ärgert sich: „Wir wollten den Bergedorfer Rathauspark als Kulturstätte etablieren, mit beweglicher Bühne“, erinnert sie sich an die vergeblichen Anfragen zu Sondermitteln.

Ute Becker-Ewe: Große Kunstschau im Schloss steht kurz bevor

Dann aber 2010 konnte wenigstens das kostenlose Open Air umgesetzt werden, das im Sommer Hunderte von Bergedorfer Cineasten genießen. Nur ein Jahr später kam der Poetry-Slam im Rathauspark hinzu, denn auch jede kleine Kunst ist Ute Becker-Ewe willkommen.

Seit 2011 gibt es auch schon alle zwei Jahre die große Kunstschau mit bis zu 50 Ausstellern im Bergedorfer Schloss: „Ihr müsst euch eben einfach mal zusammenschließen“, hatte sie damals gesagt, die Organisation versprochen und einen Ausstellungskatalog dazu. Am 13. August ist es übrigens wieder so weit.

Ute Becker-Ewe musste das Kämpfen erst lernen

Das ist aber noch längst nicht alles: Zum inzwischen sechsten Mal stellt sie – natürlich immer mit Mitstreitern – das Theaterfestival für Bergedorfer Schulen auf die Beine: „Jeweils fünf Klassen dürfen mitmachen. Und es ist kein Wettbewerb“, betont Becker-Ewe, die zugleich lange Zeit in der Jury der Bergedorfer Jugendtheatertage gesessen hat.

Das sind die bisherigen Kandidaten:

Als umtriebig, neugierig und weltoffenen bezeichnet sie sich heute selbst – und das ist längst keine Selbstverständlichkeit, blickt man in die Kindheit und Jugend der 80-Jährigen: „Ich war zerbrechlich, schüchtern und hatte immer Angst – bevor ich das Kämpfen lernte.“

Drei Söhne und zwei Töchter hatte der preußische Verwaltungsbeamte, der später zum Schreckgespenst werden sollte. „Ein Bruder ist schon vor unserer Flucht gestorben“, sagt Ute Becker-Ewe, die im März 1942 im ostpreußischen Marienwerder zur Welt kam. Während der Vater in den Krieg zog, floh die Mutter an einem kalten Januartag mit vier Kindern zwischen null und sechs Jahren.

Ute Becker-Ewe: früheste Erinnerungen an die Flucht aus Ostpreußen

„Unser Zug wurde von den Russen angegriffen, wir hatten Hunger“, erinnert die damals Zweijährige, die im bombardierten Danzig landete. Auch das Schiff nach Kopenhagen (der Vater war in Dänemark stationiert) wurde beschossen. „Als wir in Friederika ankamen, starb meine kleine Baby-Schwester – verhungert im Krankenhaus.“

Fast drei Jahre blieb die Familie in einem großen Lager in Oksbøl, bis Bergedorfer Verwandte sie aufnahmen, in einem Keller am Pfingstberg. „Meine Brüder und ich kamen dann aber ins Kinderheim am Grasredder. Mir ging es sehr schlecht. Und dann hieß es, die Mickrigsten könnten von Privatleuten in Spanien gepflegt werden. So kam ich im September 1948 als Sechsjährige in das Dorf Valtierra in der Nähe von Pamplona.“

Ute Becker-Ewe: nach dem Krieg ein Jahr lang in Spanien verwöhnt

Ein ganzes Jahr lang wurde die kleine Ute verwöhnt, bekam Spielsachen und handgestickte Spitzenkleider. Dann ging es zurück nach Bergedorf, wo die Eltern eine Wohnung gefunden hatten, zur Untermiete: „Wir durften einmal in der Woche das Bad nutzen. Und es gab viel Sauerampfer-Suppe aus dem Bergedorfer Gehölz. Wenn es Geld gegeben hat, war auch mal eine Scheibe Brot mit Zucker drin.“

Damals ging der Vater täglich zu Fuß nach Glinde, „zu den Engländern“. Anfangs habe er viel gehungert, seine Zähne verloren und die Straßen in Glinde gefegt – bis er 1956 in Bergedorf das „Ausgleichsamt“ bekam, das in der weißen Villa Am Bult war, wo die staatlichen Ansprüche der Flüchtlinge geprüft werden sollten. „Dann bekamen wir eine Wohnung gegenüber vom Rathaus im Dachgeschoss, wo heute Käte-Mohr-Immobilien ist. Ich hatte ein acht Quadratmeter großes Zimmer für mich allein und eine Nähmaschine“, sagt Ute Becker-Ewe, die Knöpfe bezog, Hüte und Wintermäntel nähte: „Als ich mit 15 Jahren zur Luisenschule ging und die ersten Partys begannen, konnte man mich ja leider nicht einladen, weil ich kein feines Kleid hatte. Aber zum Glück war ich mit Elke Keller befreundet, deren Vater war Direktor vom Bergedorfer Eisenwerk. Von ihr durfte ich ab und an ein schönes Kleid vom Vorjahr erben. Die Frau Direktor hat mir oft beigestanden und mir auch mal eine Cola ausgegeben.“

Ute Becker-Ewe: Brüder bekamen Schlittschuhe, sie sollte Hemden bügeln

Denn „mit Nix und Verboten“ sei sie aufgewachsen. Und mit Vaters Schlägen: „Meine beiden Brüder waren die Kronprinzen und bekamen sogar Schlittschuhe. Ich aber sollte deren Oberhemden bügeln. Da habe ich mich geweigert und 50 Pfennige pro Hemd gefordert“, erinnert sie einen großen Streit. Damals hielten ihre Brüder zu ihr: „Das waren dann die letzten Prügel meines Vaters. Seitdem wollte ich kämpfen.“

Nach dem Realschulabschluss an der Ernst-Henning-Schule ging es zur Höheren Handelsschule, holte Ute Becker-Ewe das Abitur nach und wurde Versicherungsfachwirtin – zunächst bei einer privaten Krankenversicherung mit Sitz am Reetwerder. „1972 zog die Hanse-Merkur dann ans Dammtor, und ich wurde die erste weibliche Büroleitung“, sagt sie nicht ohne Stolz – und fügt hinzu: „Ich war fortan immer die Haupternährerin der Familie.“

CDU-Mann Gladiator erklärte den Grünen Kommunalpolitik

Mit der ersten Ehe kam Sohn Stefan, neun Jahre später folgte Tochter Gisela – und natürlich das große Liebesglück mit Rainer Ewe, den sie beim Bergedorfer Kammerchor kennengelernt hatte: „Als freiberuflicher Diplom-Psychologe hat er mir viele Ängste nehmen können, mir Selbstbewusstsein beigebracht.“ Und der Mann aus einer Vierländer Familie hat ihre Liebe zu Kunst und Kultur bestärkt, allein durch die gemeinsamen Konzertreisen: „Wir waren auch der Chor von James Last und haben 1962 in Bergedorf seine erste Langspielplatte aufgenommen, es war das Ännchen von Tharau“, erzählt die Frau, die nach einer Gesangsausbildung mehr als 40 Jahre im Kammerchor sang. Zudem webte und knüpfte sie Teppiche, und „nicht ganz nebenbei“ versorgte sie noch die pflegebedürftigen Eltern und Schwiegereltern.

Tja, und dann war da ja noch die Sache mit der Politik. „Ende der 90er haben wir in Bergedorf die Grünen eingerichtet, damals mit Jens Kerstan im Vorstand, dem heutigen Umweltsenator. Das ging gut bis zum Kosovo-Krieg, als viele aus der Partei austraten und schließlich bei den Linken landeten“, erzählt Ute Becker-Ewe. Vier Frauen blieben übrig: „Fraktionsvorsitzende Liesing Lühr hat um Hilfe gebeten, aber wir hatten ja eigentlich überhaupt keine Ahnung. Bis heute bin ich dem CDU-Politiker Dennis Gladiator dankbar, dass er uns noch als Student erklärte, wie die Verwaltung aufgebaut ist, was genau ein Antrag ist und wie man eine Senatsdrucksache liest.“ Zu der Zeit war man sich bei den Sitzungen auf ihrer Terrasse am Krellweg auch einig, dass nur die Hälfte des Geldes in die Parteikasse fließen möge: „Es waren doch auch Alleinerziehende dabei, da waren 200 Mark viel wert.“

Ute Becker-Ewe wurde ab 2011 Vize-Präsidentin der Bezirksversammlung

Und so ging es immer weiter, mit den Aufgaben und ihrem Engagement in den Bergedorfer Ausschüssen, zudem im Bergedorfer Rathaus-Bündnis gegen Rechts. Das aber vielleicht erfüllendste Ehrenamt war ab 2011 in der Legislaturperiode als Vize-Präsidentin der Bezirksversammlung: „Das hat mich zutiefst beeindruckt, war ich doch früher nur das dumme-doofe Mädchen. Das war ein schöner Lohn für all meine Arbeit.“

Und so jedenfalls kam es, dass die „kleine bunte Frau“ gelernt hat, das Leben zu genießen. Im Sommer schläft sie gern im Garten, radelt mit ihrer Enkelin (14) und freut sich auf eine große Reise mit der Familie: „Wir wollen die Kunststätten in Mexiko besuchen“, sagt Ute Becker-Ewe. Und wo bleibt mit 80 noch die Hartnäckigkeit? Sie lacht schelmisch und sagt dann: „Ach, ich bin milde geworden mit den Jahren.“