Aumühle. Die Bürgerpreis-Kandidatin unterstützt Schutzsuchende im Krieg - und ist auch schon selbst im Lkw gefahren, um Spenden zu bringen.
Dieser Satz: „Vor einigen Tagen haben wir noch genauso gelebt wie ihr“, geht Kerstin Kleenworth nicht aus dem Kopf. Eine Ukrainerin, die vor dem Krieg in ihrer Heimat nach Deutschland geflohen ist und in Wentorf Schutz fand, hat ihn zu ihr gesagt. Ein Schlüsselmoment für die 54-jährige Aumühlerin, der sie in ihrem Engagement für das Kriegsland bestärkt hat.
Kleenworth war eine der ersten, die Hilfslieferungen in die Ukraine organisiert hat. Sie gründete den Verein „Gemeinsam Gutes tun – Komm“. Grund genug, die Vorsitzende für den aktuellen Bergedorfer Bürgerpreis vorzuschlagen, den unsere Zeitung gemeinsam mit der Volksbank Bergedorf im September vergibt.
Der erste Transport mit Hilfsgütern startete bereits Anfang März. Nur drei Tage zuvor hatte Kleenworth, als Vorsitzende des Vereins Kultur und Bildung in Aumühle bestens vernetzt, in Aumühle,Wohltorf und Umgebung einen Spendenaufruf gestartet. Sie wurde dabei unterstützt von ihrem Nachbarn Dennis Kropp.
Bürgerpreis Bergedorf: Kerstin Kleenworth hilft Menschen in der Ukraine
„Wir wollten unbedingt etwas tun, nicht tatenlos zusehen und haben den Nerv der Menschen getroffen“, sagt Kleenworth. Nur eineinhalb Stunden nach dem Aufruf standen bereits die ersten Kartons mit Spenden in ihrem Carport. Hunderte sollten folgen.
„Die Spendenbereitschaft war enorm und hat uns vollkommen überwältigt“, sagt Dennis Kropp. Wie gut, dass der 43-Jährige Leiter des gemeinsamen Bauhofs von Aumühle und Wohltorfs ist, die Bürgermeister der Gemeinden die Spendenaufrufe unterstützten und sie auf dem Bauhofgelände die Kartons lagern durften und dürfen. Rund 1000 Stück gefüllt mit Kleidung, Spielzeug, Haushalts- und Bettwaren sowie Hygieneartikeln haben sie auf 500 Quadratmetern mit etwa 200 Helfern sortiert.
„Anfangs war das mehr als ein Fulltime Job, waren wir von 7 bis 22 Uhr in unterschiedlicher Besetzung dabei“, sagt Kleenworth. Dass sie in den Massen an Spenden nicht untergegangen sind, lag wohl auch am gutem Sortiersystem von Kerstin Kleenworth.
Bürgermeister Suhk fuhr einen Lkw nach Polen
„Ich habe bei der ersten Flüchtlingswelle in den Hamburger Messehallen 2015 ausgeholfen. Deren System habe ich übernommen“, sagt die toughe 54-Jährige. Nur drei Tage nach dem ersten Aufruf startete der ersten Spendenkonvoi mit vier bis oben voll geladenen Transportern und einem 7,5-Tonner Richtung Osten.
Aumühles Bürgermeister Knut Suhk saß am Steuer des Lkw. „Wir bringen die Spenden in die Nähe von Warschau und übergeben sie dort an die Hilfsorganisation „Unite for Ukraine“, die die Spenden dorthin verteilt, wo sie gebraucht werden“, erklärt die Vereinsvorsitzende.
Selbst eins der großen Krankenhäuser ist komplett überfüllt
Dem ersten Transport Anfang März folgten bislang 15 weitere. Kleenworth war bei einem Transport dabei, Dennis Kropp bei dreien. Doch längst wird nicht mehr alles in die Ukraine gebracht, von dem die Aumühler denken, dass es gebraucht wird. Stattdessen arbeiten sie Listen ab, die sie von anderen Hilfsorganisatoren oder direkt aus dem Kinderkrankenhaus aus Lviv aus der Westukraine erhalten haben.
„Das Krankenhaus ist sehr groß, wird aktuell aber komplett überrannt“, weiß Kleenworth aus Erzählungen zweier Ärzte, mit denen sie im Austausch steht. Kinder aus Kriegsgebieten werden hier behandelt, fehlt es vor allem an Milchpulver, Babywindeln und Feuchttüchern, Baby-Wundcreme und Babyfläschchen und an Medikamenten.
Genehmigungen für den Transport von Medikamenten sind nicht leicht zu bekommen
Die Liste der benötigten Arzneien ist lang, sind darunter auch sehr teure zur Behandlung von kleinen Krebspatienten. Beim Besorgen der Medikamente wird der Aumühler Verein von der Apotheke des Hamburger Kinderkrankenhauses Wilhelmstift unterstützt. Kleenworth ist mit dem Wilhelmstift schon seit Jahren verbunden, war eines ihrer drei Kinder hier öfter Patient. Sie hat bereits ein paar Benefizkonzerte für das Krankenhaus organisiert. Organisieren kann Kleenworth, die im Familienunternehmen „Veranstaltungstechnik Hamburg“ mitarbeitet und seit Ende der Pandemie auch wieder jede Menge zu tun hat.
„Ein Konzert zu organisieren ist aber um vieles einfacher, als eine Genehmigung für einen Medikamententransport zu bekommen“, sagt Kleenworth, die ein großer Freund von pragmatischen Lösungen ist. Die Medikamente bezahlt der Verein aus privaten Spenden. Rund 30.000 Euro hat er bereits erhalten– von Senioren aus dem Augustinum, die Krieg noch erlebt haben und von Unternehmen aus der Region.
Das sind die bisherigen Kandidaten:
- Peter Kröger – seit 54 gehört sein Engagement dem DRK
- Gabriele und Jürgen Lapp engagieren sich gegen das Vergessen
- Annette Grizivatz hilft Menschen und Tieren in Not
- Melanie Sarnow kämpft für Nachhaltigkeit in Bergedorf
- Joachim Winkel: Leben ohne Musik ist für ihn unvorstellbar
- Für Wildtiere ist diese Frau oft die letzte Rettung
- Ute Becker-Ewe – eine Frau kämpft für Kunst und Kultur
- Sascha Prager ist der freundliche „Alltagshelfer mit Herz“
- Heike Deutschmanns und ihre Leidenschaft für alte Höfe
- Jens Wechsel: Ein Leben für den VfL Lohbrügge
- Ehepaar setzt sich mit viel Herz für Geflüchtete ein
Damit es sich lohnt, müssen die Transporter voll beladen sein
Doch seit einigen Wochen hat die Spendenbereitschaft rapide nachgelassen, beobachtet Kleenworth. „Dabei brauchen die Menschen in der Ukraine unsere Unterstützung nach wie vor“, ist sie überzeugt. Die zupackende Frau bangt ein wenig um den nächsten Transport, der spätestens im September Richtung Warschau starten soll. „Mit einem halb vollen Wagen werden wir nicht losfahren“, sagt sie.
Dafür sind die Benzinkosten einfach zu hoch – sie liegen bei etwa 400 Euro pro Tour. Die Lieferfahrzeuge selbst stellen Unternehmen der Region zur Verfügung. Neben Medikamenten sollen dann auch Männer-Nassrasierer und Rasierschaum, Schlafsäcke und Isomatten sowie Taschenlampen und Anti-Mückenspray an Bord sein.
Kleenworth hat eine persönliche Beziehung zur Ukraine aufgebaut
„Ein Teil der Lieferung geht auch in die Kriegsgebiete“, weiß die Bürgerpreis-Kandidatin. Deshalb stehen schon jetzt „Verbandskästen“ auf den Wunschlisten aus der Ukraine. „Wir nehme ausdrücklich auch abgelaufene an“, ermutigt Kleenworth. Die können auf dem Bauhofgelände an der Bergstraße abgegeben werden.
Dass die Sachen auch da ankommen, wo sie ankommen sollen, das kann Kleenworth versichern und zeigt eines der vielen Fotos auf ihrem Mobiltelefon. Die kommen direkt aus der Ukraine und zeigen zum Beweis Kartons samt Inhalt, zusammengepackt in Aumühle.
Schon in ihrer Kindheit hat sie Hilfsbereitschaft gelernt
Als Dank hat Kleenworth bereits mehrere Einladungen aus dem Kinderkrankenhaus erhalten – und will sie auch annehmen. „Vor Beginn des Krieges hatte ich keine besondere Beziehung zur Ukraine, spreche weder Russisch noch Ukrainisch“, sagt die Aumühlerin. „Das hat sich jetzt verändert. Mir sind die Menschen ans Herz gewachsen.“ Doch unabhängig davon hätte sie auch jedem anderen Land geholfen. Zu helfen, wenn man es kann, das hat sie schon in ihrer Kindheit gelernt.
Zusammen geht es noch besser – daher auch der Vereinsname „Gemeinsam Gutes tun–Komm“, der zugleich eine Aufforderung ist. „Viele sind ihr bereits gefolgt“, freut sich die Vorsitzende. Für sie auch ein Schritt, um der in der Pandemie entstandenen Spaltung der Gesellschaft ein Stück entgegenzuwirken.