Hamburg. Anna-Theresa Korbutt leitet seit dreieinhalb Jahren als Geschäftsführerin den HVV. Wie die Verkehrswende gelingen kann.
Der Begriff „Herkulesaufgabe“ könnte als Aufgabenbeschreibung fast eine Verniedlichung sein. Anna-Theresa Korbutt muss in Hamburg als HVV-Geschäftsführerin die Mobilitätswende vorantreiben – und dies nicht nur in einem Verkehrsverbund, der aus 30 teilweise sehr unterschiedlichen Firmen besteht, sondern auch gegen manche Vorbehalte und Widerstände in der Stadt. Den Job macht sie seit dreieinhalb Jahren, aber ihren Eifer hat sie nicht verloren.
Was die gebürtige Danzigerin qualifiziert: Sie kennt nicht nur die Probleme des deutschen Nahverkehrs, sondern auch Systeme, die besser funktionieren. Lange war sie in der Schweiz und bei der Österreichischen Bundesbahn tätig. „Die Herausforderungen sind in allen drei Ländern gleich. Die Schweiz und Österreich aber halten an dem, was sie einmal begonnen haben, über Jahrzehnte fest – unabhängig davon, wer gerade in der Regierung sitzt, wer Vorstand oder Geschäftsführer ist.”
Nahverkehr in Deutschland: Von Österreich lernen
Viele loben den Nahverkehr in Österreich für seine Pünktlichkeit, die Sauberkeit, das tolle Netz. „Das ist über Jahre gewachsen und Ergebnis einer Kultur, die nicht an die Dauer einer Legislaturperiode geknüpft ist.“ Der Niedergang der Deutschen Bahn habe eine lange Historie. Als es 2008 um den Börsengang der Bahn ging, arbeitete Korbutt dort in der Strategieabteilung im Nahverkehr. „Ich weiß, wie man ein Unternehmen aufstellen muss, damit es bei einem Börsengang gut dasteht. Das ist nichts Böses. Aber es sind viele Dinge nicht mehr ins Rollen gekommen, nachdem der Börsengang abgeblasen worden ist.“
Die 44-Jährige sieht nicht nur Mängel im Netz, sondern noch größere Defizite bei den Zügen, weil Wartungszyklen ausgelassen wurden, weil es Engpässe in den Werkstätten gibt. „Das spürt jeder, der mit der Bahn unterwegs ist.“ Es werde dauern, bis die Bahn wieder so zuverlässig sei wie früher, sagt die Mutter dreier Kinder. „Der Konzern wird von vielen Seiten stranguliert. Dabei benötigt er unternehmerische Freiheit, um arbeitsfähig zu werden und tief in die operativen Prozesse einzugreifen.“ Nun lähme die kommende Bundestagswahl. „Wenn man eine gefestigte Struktur bekommt und die Arbeiten angeht, kann die Bahn schon in zehn Jahre sehr gut funktionieren.”
Korbutt spricht offen über Problemfälle im HVV
Korbutt muss als HVV-Geschäftsführerin 30 Verkehrsunternehmen koordinieren und zusammenhalten, darunter nicht nur große Spieler wie die Deutschen Bahn, die Hochbahn oder die VHH, sondern auch kleinere wie den Omnibusbetrieb von Ahrentschildt oder die Hadag-Fähren. „Ich habe etwas Wunderbares vorgefunden, als ich hergekommen bin: eine solide, kameradschaftliche Basis der Zusammenarbeit. Das kann nicht jeder Verbund von sich behaupten.“ Zugleich gebe es im HVV sehr starke Führungspersönlichkeiten: Die Herausforderung bestehe darin, jedem die Rolle zuteilwerden zu lassen, die er beherrscht und ins System einzupassen. „Der Verbund ist dazu da, um Einheitlichkeit zu gewähren. Das war der Gründungsgedanke.“
Korbutt räumt ein, dass es Problemfälle in Sachen Pünktlichkeit, Sauberkeit oder Kundenservice gebe. „Das ist wie in einer Schulklasse: Wir haben Streber und die Lauten aus der letzten Bank, ganz Stille, einen Klassenclown und einen Nörgler, dem alles wurscht ist, weil er wohl sitzen bleibt.” Das Kunststück sei, an allen dranzubleiben. „Mir ist eine offene und transparente Kommunikation wichtig. Jeder macht in einem so komplexen System Fehler.“ Sie wünscht sich mehr Selbstkritik: „Damit tut man sich in der Branche bisher noch etwas schwer.“
Metronom bekommt katastrophale Noten
Sie versteht ihre Aufgabe auch darin, zum Hörer zu greifen und die Aufgabenträger mit Problemen zu konfrontieren und gemeinsam nach Lösungen zu suchen. Korbutt weiß um die Klagen über den Metronom, der in der Kundenzufriedenheit bei Trustpilot von fünf möglichen Sternen groteske 1,1 Sterne erreicht – 95 Prozent der Nutzer vergeben die schlechteste Note. „Ich kenne die Beschwerdelage. Die müssen Fahrt aufnehmen, aber das wissen sie auch”, sagt Korbutt.
Im kommenden Jahr wird die Strecke von Hamburg nach Bremen neu ausgeschrieben. „Diese vorzeitige Ausschreibung erfolge auch, weil die Qualitätsversprechen nicht eingelöst wurden“, sagt sie. „Ich bin aber nicht diejenige, die sagt, die Beteiligten machen ihren Job schlecht, ich stelle nur fest: Das Ergebnis ist nicht gut.“
Korbutt zum Deutschlandticket: „Es ist das Beste, was uns passieren konnte“
Korbutt bricht eine Lanze für das das Deutschland-Ticket und gibt ihm die Bestnote. „Auf einer Skala von 0 bis 15 Punkten bekommt das Ticket 25 Punkte. Es ist das Beste, was uns passieren konnte: Die Branche ist aus ihrem Dornröschenschlaf erwacht.“ Dabei sei das Deutschland-Ticket in seiner Form eigentlich die Fortführung des ÖPNV-Rettungsschirms aus der Corona-Pandemie. „Wir haben simuliert, wie die Welt ohne Deutschlandticket aussähe. Dann würden den Ländern Mittel ungefähr in der Größenordnung von 1,5 Milliarden Euro fehlen, also das, was das Deutschlandticket sie kostet. Im Klartext: Ohne Deutschlandticket zahlen sie plus minus dasselbe und haben kein günstiges Angebot.”
Derzeit gibt es in Hamburg mehr aktive Deutschlandtickets (924.000, davon 334.000 Jobtickets) als zugelassene Autos (820.000), rund 200.000 junge Menschen fahren dank des Schüler-Deutschlandtickets seit September kostenlos im HVV und bundesweit.
Daran scheint auch die Preiserhöhung zum neuen Jahr auf 58 Euro wenig zu ändern. In den vergangenen Monaten verzeichnete der HVV jeweils um die 40.000 Kündigungen, gleichzeitig gab es Neuabschlüsse auf gleichem oder höherem Niveau. Zum 1. Januar 2025 sind bisher rund 49.000 Kündigungen eingegangen. Diese Zahl wird voraussichtlich noch weiter ansteigen, weil nicht alle Kündigungen, insbesondere aus dem Jobticket-Segment, schon verarbeitet sind. Gleichzeitig rechnet der HVV mit Neukunden.
„Es ist gut, dass das Deutschland-Ticket da die Züge füllt.“
Das Argument vieler Politiker, wegen des verbilligten Tickets fehle nun Geld für den Nahverkehr, weist die HVV-Managerin zurück. „Damit hat das Deutschland-Ticket nichts zu tun. Das Geld hat immer schon gefehlt. Die Zahlen und Fakten sagen etwas anderes. Wir würden nicht mehr einnehmen, aber viel mehr Luft durch die Gegend fahren.“ Korbutt verweist darauf, dass sich die Ströme der Reisenden seit der Pandemie neu verteilt haben. Bislang lebte der ÖPNV, insbesondere in den Metropolregionen, von arbeitenden Menschen und Pendlern. „Die aber bleiben seit Corona häufiger im Homeoffice oder verzichten auf ihre Dienstreise. Es ist gut, dass das Deutschland-Ticket da die Züge füllt.“
Sie räumt ein, dass manche Strecken, etwa Richtung Küste oder Seen, mitunter überlastet seien. „Aber das ist kein Beispiel, das für das ganze Land sprechen kann. Wir fördern Mobilität, wir fördern lokalen Tourismus, wir bringen Menschen, die es sich vorher nicht leisten konnten, zu neuen Zielen. Die Touristikbranche freut sich über das Deutschland Ticket.“
Verkehr Hamburg: Das Fahrrad gewinnt, das Auto verliert
Auch die Verkehrswende könnte das neue Angebot beschleunigen. Der sogenannte Modal Split bildet den Anteil der Verkehrsträger an den Wegen ab. In der Hansestadt hat das Fahrrad seinen Anteil von 13 Prozent 2008 auf 22 Prozent vierzehn Jahre später steigern können, während der private Pkw von 39 auf 32 Prozent einbüßte. Ebenfalls deutlich im Plus ist der Öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV), der seinen Anteil von 19 auf 24 Prozent ausbaute.
Weiteres Wachstum ist eingeplant: 2030 soll er in Hamburg bei 30 Prozent liegen. „Wir sind auf einem sehr guten Weg, aber es benötigt Zeit. Menschen sind Gewohnheitstiere, Verhaltensänderungen dauern vier bis fünf Jahre.” Sie schränkt aber ein, dass sechs weitere Prozentpunkte in den verbleibenden sechs Jahren schwierig werden. „Die Richtung stimmt. Ob es am Ende 2030 oder 2033 wird, müssen wir schauen. Wir richten aber unsere Angebote und Planungen an dem Ziel aus.“
Korbutt: „Aufhören, über das Deutschland-Ticket zu schimpfen“
Korbutt hat einen Wunsch: „Um das Ziel zu erreichen, sollten wir aufhören, über das Deutschland-Ticket zu schimpfen, dann würden es noch mehr Menschen kaufen.“ Hoffnungen setzt sie auch in Nahverkehrsangebote auf Bestellung (On Demand). „Wir müssen diesen neuen Ideen eine Chance geben.“ Zugleich sei der Ausbau der Netze nötig. „Wir müssen weiter bauen und die Dinge nicht zerreden. Die U5 ist so ein Beispiel. In meiner ersten Pressekonferenz habe ich Wien für den ÖPNV gelobt und dabei das Wort Tram gesagt. Da wäre ich fast von der Bühne gezerrt worden. Aber auch darüber werden wir irgendwann diskutieren müssen, wenn unsere Verkehrskonzepte an eine Grenze stoßen.“ Die hitzigen Verkehrsdebatten haben die Managerin gestählt: „Kritik muss man aushalten. Das gibt eine schöne, dicke Elefantenhaut.“
Benötigt Hamburg den VET, den angedachten Verbindungsbahnentlastungstunnel? Diese neue S-Bahn soll in Zukunft den Bahnhof Diebsteich mit dem Hauptbahnhof verbinden, aber würde die Innenstadt über Jahre in eine Großbaustelle verwandeln. Korbutt sagt: „Natürlich. Wir müssen jetzt in die Generationen investieren, die nach uns kommen. Wir fangen jetzt etwas an, damit es Hamburg in zehn, 15 Jahren besser geht. Die Stadt wird sonst ersticken, die Kapazitäten reichen nicht aus. Wir müssen freier und offener denken.“ Korbutt schlägt vor, auch Privatautos in den ÖPNV einzubinden. Das könne billiger und schneller sein, als neue Linien zu schaffen.
HVV-Managerin lobt ausdrücklich die E-Roller
Auch der Hauptbahnhof müsse ertüchtigt werden: „Dieser Bahnhof wurde vor einem Jahrhundert auf viel weniger Reisende ausgerichtet. Aber darin liegt auch eine gute Nachricht: Es fahren mehr Menschen mit dem ÖPNV.“ Bei der Frage nach dem Sinn der Verlagerung des Fernbahnhofs nach Diebsteich vertraut sie den Experten, die sich dafür entschieden haben. „Wenn eine solche Entscheidung getroffen worden ist, sollte man nicht wieder alles aufschnüren. Auch an ewigen Debatten krankt das System.“
Den umstrittenen E-Roller verteidigt sie gegen Kritik, weil er durchaus auf der letzten Meile von oder zur U-Bahn funktioniert. „Ich fahre selbst oft damit durch die Stadt: Ist mein Ziel nicht sehr gut angebunden, dann schwinge ich mich auch mal gern auf so ein Ding.”
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Die Managerin, lobt den Konsens in der Stadt, den ÖPNV voranzubringen. „Da sind alle sehr mutig. Das wird sich auch in der kommenden Preisreform zeigen, die wir für 2026 planen und die das ganze System maximal vereinfachen wird.“ Die Struktur der Einzelfahrscheine werde einer Radikalkur unterzogen. „Von den 70 Einzelfahrscheinen werden nur wenige bleiben. Wir müssen diesen Tarifdschungel lichten.“ Gegenwind fürchtet sie nicht. „Alle im HVV haben ein sehr hohes Faible für solche Themen und wollen sich als moderne und coole Vorreiter präsentieren.“
Fünf Fragen an HVV-Chefin Anna-Theresa Korbutt
Meine Lieblingsstadt ist Danzig. Nach den Sanierungen ist das eine wunderschöne hanseatische Stadt geworden, die ich jedem nur ans Herz legen kann. Meine Familie lebt dort, und ich bin in Danzig zur Welt gekommen. Zwar kam ich mit sieben Monaten nach Deutschland, aber habe alle Sommerferien bis zur elften Klasse in Polen verbracht. Da die Sommerferien nicht gleichzeitig lagen, musste ich vor Ort sogar zur Schule. Als Kind habe ich das verflucht, mittlerweile sehe ich das ganz positiv.
Mein Lieblingsstadtteil ist die Hafencity rund um den Brooktorkai. Wir haben dort unser Büro, es war die Entscheidung der Belegschaft, in dieses spannende Quartier zu ziehen. Und das Weltkulturerbe Speicherstadt erinnert mich ein wenig an Danzig.
Mein Lieblingsort in Hamburg ist der Platz direkt vor der HVV-Zentrale an der Brooktorpromenade. Von dort schaut man direkt auf das maritime Museum, und Barkassen fahren vorbei. Wir haben ein Café unten in dem Haus mit einer breiten Terrasse. Wenn das Wetter gut ist, verlege ich meine Termine nach draußen.
Mein Lieblingsgebäude fasse ich einmal weit: Wenn ich den Hafen als Gebäude bezeichnen darf, wäre das mein Liebling. Ich liebe dieses Gesamtkunstwerk aus Kränen, Containerschiffen und Licht.
Einmal mit der Abrissbirne würde ich an die eine oder andere Elbbrücke denken – wenn es die Sanierung denn beschleunigen würde.