Hamburg. Jörn Walter hat als Oberbaudirektor in 18 Jahren wie kaum ein Zweiter die Stadt geprägt. Ein Podcast über Erfolge und Enttäuschungen.
Es gibt Zufälle im Leben, die machen zwei große Oberbaudirektoren zu biografischen Zwillingen. Jörn Walter verbindet mit Fritz Schumacher nicht nur der Geburtsort Bremen, sondern auch eine langjährige Tätigkeit in Dresden und schließlich die prägende Zeit in Hamburg. Schumacher war mit einer Unterbrechung Oberbaudirektor von 1909 bis 1933, Walter von 1999 bis 2017. Bremen und Hamburg seien durchaus wesensverwandt, sagt Walter: „Wir sind eben Hanseaten“.
Der 67-Jährige zieht eine positive Bilanz. „Ich hatte das Glück, in einer Zeit arbeiten zu dürfen, als viel in Bewegung war.“ Hamburg hatte wie kaum eine zweite Metropole vom Fall des Eisernen Vorhangs profitiert – die Stadt am Zonenrand lag plötzlich im Herzen Nordmitteleuropas. Kurz vor Walters Amtsantritt hatte der Senat das größte innerstädtische Entwicklungsprojekt Europas beschlossen: die HafenCity.
Ex-Oberbaudirektor Jörn Walter: „Hamburg fehlt gerade der Impuls“
„Ein Projekt so lange verfolgen zu dürfen, ist fast einzigartig. Zudem konnte ich noch andere große Dinge beginnen wie den Sprung über die Elbe.” Tatsächlich entwickelte Hamburg um die Jahrtausendwende einen selten gesehenen Ehrgeiz: Der Süden der Stadt, über Jahre eher stiefmütterlich behandelt, sollte an den Norden heranrücken, nach 2001 machte der neue Senat das Leitbild der „Wachsenden Stadt“ zum Maß der Dinge. 2013 wurde Wilhelmsburg Gastgeber der Internationalen Gartenschau und der Internationalen Bauausstellung (IBA).
„Daher rührt meine Liebe zu Wilhelmsburg. Es war so schwierig wie faszinierend, eine Stadtgesellschaft zu motivieren, sich an solchen Orten intensiver umzusehen und die Schätze zu heben, statt nur Probleme zu sehen. Dieser Prozess hat mich innerlich sehr berührt. Ich habe dabei tolle Menschen kennengelernt.”
Damit nicht genug. Der höchste technische Beamte der Stadt von 1999 bis 2017 zählt die Projekte auf, die in seiner Amtszeit in Gang gekommen sind: Die Verlegung des Bahnhofs Altona sowie die Mitte Altona gehören dazu wie große neue Stadtquartiere, etwa das Pergolenviertel oder die Jenfelder Au. Walter betont, Hamburg habe in den vergangenen vier Jahrzehnten – er schließt seinen Vorgänger Egbert Kossak ausdrücklich mit ein – „eine unglaubliche Bewegung nach vorne gemacht“.
Jörn Walter: „In den 70er-Jahren habe ich die Stadt als relativ tot wahrgenommen“
Er selbst erinnert sich an das Hamburg der 1970er-Jahre: „Da habe ich die Stadt als relativ tot wahrgenommen, vor allem abends. Hamburg ist viel lebendiger geworden. Das hängt mit der Entwicklung der öffentlichen Räume und der Wasserlagen zusammen.“
Die Wiederentdeckung des Wassers hat die Stadt verändert. „Die riesige Elbe, die in Hamburg kein normaler Fluss ist, sondern schon ein Strom, und der gigantische Hafen sind beeindruckend“, sagt der Stadtplaner. Hinzu kommt mit der Alster ein faszinierender See mitten in der Stadt. „Zudem hat Hamburg mit dem Kontorhausviertel und der Speicherstadt Besonderheiten, die man kein zweites Mal auf der Welt findet.“ Diese Schönheiten traten vielen erst in den vergangenen Jahrzehnten ins Bewusstsein. „In meiner Jugend war die Speicherstadt ein etwas unheimlicher Ort. Das hat sich durch die HafenCity und die Lichtinszenierung von Michael Batz komplett verändert.“
Warum viele Hamburg für die schönste Stadt halten
Das langjährige Mitglied im Beirat der Bundesstiftung Baukultur sieht die Stärke der Stadt in ihren vielen Wasserlagen „mit sehr unterschiedlicher Charakteristik – mal grün, mal eher steinern, mit den Fleeten. Deshalb finden viele Menschen Hamburg so faszinierend. Deshalb sagen viele: Die schönste Großstadt in Deutschland ist Hamburg.“
In 18 Jahren hat der Bremer Hamburg wie kaum ein Zweiter geprägt. „Insgesamt bin ich sehr zufrieden, auch wenn manche Enttäuschung dabei war, weil Projekte nicht zustande kamen“, zieht Walter Bilanz. Ihm gelang das Kunststück, mit völlig unterschiedlichen Senatoren zusammenzuarbeiten: Geholt hatte ihn einst der grüne Senator Willfried Maier, es folgten ein Behördenchef der Schill-Partei und der CDU, schließlich Senatorinnen der Grünen und der SPD.
„Die Konstruktion des Amtes ist nicht unmittelbar an die Politik geknüpft“, erklärt Walter. „Architektur, Stadtplanung, Städtebau, Stadtentwicklung sind zwar hochpolitisch, zu 90 Prozent aber keine parteipolitischen Themen.“
Ole von Beust und Olaf Scholz bezeichnet Walter als „großartige Bürgermeister“
Kontrovers werde es nur bei den Schwerpunkten, wenn es um das Gewicht des sozialen Wohnungsbaus, der Wirtschaft oder des Klimaschutzes geht. „Ich bin mit allen Senatorinnen und Senatoren, vor allem mit den großartigen Bürgermeistern Ole von Beust und Olaf Scholz sehr gut zurechtgekommen.“
Tatsächlich hört man auch sieben Jahren nach seinem Ausscheiden viel Lob und nur wenig Kritik. Vorwürfe, der Sprung an der Elbe sei zu kurz gehüpft, weist Walter zurück: „Steckengeblieben ist da nichts. Der Sprung hat erst begonnen, wir sind bei den Themen Bildung und Wohnungen gut vorangekommen. Der zweite große Schub folgt jetzt nach der Verlegung der Reichsstraße, vielleicht ein bisschen verspätet.“ Im Wilhelmsburger Rathausquartier beginne der Wohnungsbau. „Wir haben dort ein Potenzial von weiteren 5000 Wohnungen, das wir hoffentlich nutzen.“ Damit würde der ganze Stadtteil, seine Gastronomie und der Einzelhandel profitieren. „Wilhelmsburg sieht in den 30er-Jahren anders aus.“
Das Nein zu Olympia treibt Jörn Walter bis heute um
Der frühere Oberbaudirektor bedauert, dass das Nein der Bürger von 2015 zu Olympischen Sommerspielen den Sprung über die Elbe und die Entwicklung des Grasbrooks ausgebremst hat. „Wir haben es in der Vergangenheit geschafft, Hamburg mit der Elbphilharmonie in eine Musik- und Kulturstadt zu verwandeln. Das hätte ich mir auch für die Sportstadt Hamburg gewünscht. Davon hätten viele Bürger profitiert, weil es mehr Trainingsstätten, Schwimmbäder und Sporthallen geben würde. Das Nein war schade für Hamburg.“
Walter nennt den Volksentscheid eine „Weichenstellung“, wenn auch nicht für immer. „Die Stadt stünde heute anders da: Wir hätten eine lange Liste von Infrastrukturvorhaben abschließen können. Wir hätten ein sichtbares internationales Profil. Wir hätten einen Wirtschaftsstandort mit internationaler Wahrnehmung.“ Walters Resümee: „Es gibt verpasste Chancen, aber immer auch neue Gelegenheiten.”
Eine neue Olympia-Bewerbung hält der Honorarprofessor der HafenCity-Universität für möglich: „Hamburg hat noch einige Reserven.” Nach den Erfahrungen im Bürgerentscheid sei ein gemeinsamer Versuch mit Berlin und Kiel, vielleicht auch mit Kopenhagen, nachhaltiger und zukunftsfähiger. Er traut seiner Wahlheimat aber auch einen anderen großen Schritt zu, wie es die HafenCity in der Vergangenheit war. „Ich hoffe darauf. Die Welt um uns herum schläft nicht.“
„Wir leben in einer vorsichtigeren, stagnativen Phase“
Der Bremer verweist auf andere europäische Metropolen, die sich mutig nach vorne entwickeln wie Kopenhagen oder Paris sowie London in Folge der Olympischen Spiele. „Auch Städte wie Amsterdam und Antwerpen sind auf dem Vormarsch. Hamburg fehlt gerade der Impuls.“ Die Politik scheue das Risiko.
„Wir leben in einer vorsichtigeren, stagnativen Phase. Die habe ich schon früher erlebt”, sagt Walter, dessen Karriere 1982 mit einem Städtebaureferendariat beim Regierungspräsidium Düsseldorf begann und die ihn 1997 schließlich nach Hamburg führte. „Gutes Verwalten ist das eine, aber irgendwann brauchen Städte eine Phase des Gestaltens, der großen Schritte.“ In Berlin nimmt er Stagnation schon seit zwei Jahrzehnten wahr. „Im internationalen Wettbewerb der Vier- bis fünf Millionenklasse hat die Hauptstadt deutlich verloren.”
Schon in der Finanzkrise 2008/09 reagierte in Hamburg die Vorsicht
Walter kennt eine Phase der Stagnation auch aus Hamburg – 2008/09 standen in der großen Finanzkrise plötzlich viele Projekte vor dem Aus. Als prominentes Opfer traf es in der HafenCity das Science Center, einen spektakulären Entwurf von Rem Kohlhaas. „Das hing auch mit den Mehrkosten bei der Elbphilharmonie zusammen. Das Science Center war ein sehr gutes Architekturprojekt, das es in dieser Form nirgends gab. Wäre es gebaut worden, hätte es einen ähnlichen Effekt wie die Elbphilharmonie auslösen und zum Symbol werden können für den Aufbruch als Wissenschaftsstadt.“
Walter vermisst noch einen weiteren Bau, der an Helmut Schmidt scheiterte: den Kristall auf dem Domplatz. Das Architekturbüro Auer + Weber hatte dort einen „kristallinen Solitär“ ersonnen, in dem die Zentralbibliothek, das Bürgerschaftsforum, ein Archäologiezentrum und Wohnungen entstehen sollten. Doch die Ausmaße des 30 Meter hohen Glaskomplexes mit 33.000 Quadratmetern Bruttogeschossfläche spalteten die Stadt. Im Juni 2006 warnte Helmut Schmidt, der gern Architekt geworden wäre, in der „Zeit“ vor einem „krampfhaft-schiefen, glasverkleideten Stahlskelettbau“, der ebenso oder ähnlich in Shanghai, Dubai, São Paulo gebaut werden könnte.
Den Kristall auf dem Domplatz vermisst Walter - scheiterte an Helmut Schmidt
„Wir waren damals sehr weit”, erinnert sich Walter. „Das war ein hochinteressantes Konzept für diesen besonderen Ort. Die meistbesuchte Kultureinrichtung, die Bücherhallen, hätte viele Leute in die Stadt gelockt.“ Schon zu Zeiten des Johanneum existierte dort eine große Bibliothek. „Auch die Hamburger Bürgerschaft wäre würdig für den Ort gewesen. Es wird schwer, etwas zu finden, das dem Domplatz und seiner bedeutenden Geschichte gerecht wird.“
Walter erklärt, dass jede Stadt einige besondere Standorte besitze. Wie etwas Besonderes gelingen kann, habe die HafenCity gezeigt. „Im Masterplan haben wir acht Plätze festgelegt, von denen drei sehr besonders waren. Zunächst wussten wir nicht, was dort hinkommt, das hat sich nach und nach gefunden mit der Elbphilharmonie, mit der HafenCity Universität.”
Eine der letzten Leerstellen der HafenCity ist das Baakenhöft. Kommt die Oper?
Das Baakenhöft ist die letzte Leerstelle – und wird möglicherweise Bau- und Schauplatz für die Oper, die Klaus-Michael Kühne seiner Heimatstadt spendieren möchte. „Das wäre eine würdige Einrichtung für den Standort“, sagt Walter. Zwar fehle Hamburg keine Oper, aber ein neues Haus könne einen Impuls setzen. Er fordert zugleich eine angemessene Nachnutzung am bedeutenden Traditionsstandort Gänsemarkt. Die Räumlichkeiten seien geeignet für ein Musical, ein Theater oder eine andere kulturelle Nutzung. Walter appelliert an den Ideengeber: „Für die Stadt ist die Oper keine wirklich dringende Investition. Es muss einer sagen, ich mache das jetzt.”
Auf Kühne ruhen auch manche Hoffnungen, dass der Elbtower zu Ende gebaut wird. „Die Fertigstellung noch in diesem Jahrzehnt ist möglich“, sagt Walter, der den Wolkenkratzer an den Elbbrücken mit auf den Weg gebracht hatte: „Meine Meinung war immer: Wenn Hamburg ein wirkliches Hochhaus baut, muss man es an einem sehr besonderen Ort tun – an den Elbbrücken. Das ist das gefühlte Eingangstor nach Hamburg, der Ort strahlt aus nach Rothenburgsort, auf den Grasbrook und die Veddel. Ein Wolkenkratzer dort beeinträchtigt auch nicht die Silhouette der Kirchtürme.“
Walter zum Elbtower: „Früher oder später bekommt diese Stadt das hin“
Walter setzt darauf, dass sich ein Investor findet. „Das dauert eine gewisse Zeit.” Zugleich mahnt er eine schnelle Entscheidungsfindung an: „Die Schäden werden nicht geringer, wenn der Rohbau mehrere Winter dort steht.” Er sei zutiefst überzeugt, dass der Elbtower am Ende ein Erfolgsprojekt wird – und der passende Abschluss der HafenCity. „Früher oder später bekommt diese Stadt das hin. Wir sind nicht wie andere Städte, wir machen keine halben Sachen.“ Es gebe glücklicherweise in Hamburg einige Leute, die nicht nur ans eigene Portemonnaie, sondern auch an ihre Heimatstadt denken. „Damit ist Hamburg groß geworden, davon hat sie immer gelebt.“
- 75 Jahre Abendblatt: Der geplatzte Traum – der Tag, als Olympia scheiterte
- Insolvenzverfahren: Kühne zu Elbtower-Übernahme – „Begleitumstände schwierig“
- Wer entscheidet, wie in Hamburg gebaut wird?
Fünf Fragen an Jörn Walter
Meine Lieblingsstädte sind aus biografischen Gründen Hamburg und Dresden, weil ich hier lange wirken durfte. In den letzten Jahren bin ich wieder oft in Bremen gewesen und spüre, dass die alte Liebe neu aufflammt.
Mein Lieblingsstadtteil? Das ist schwer zu beantworten, weil ich in den unterschiedlichsten Stadtteilen zu tun hatte und sie alle lieben gelernt habe. Am meisten hängt mein Herz wohl an Wilhelmsburg, ein Stadtteil, der es nicht leicht hat.
Mein Lieblingsgebäude ist genauso kompliziert. Ich mag Klassiker wie das Chilehaus, die Großmarkthalle, das Jenischhaus. Es fällt mir schwer, eines herauszugreifen: Hamburg hat viele beeindruckende Gebäude aus unterschiedlichen Epochen.
Mein Lieblingsort lag zunächst an der Elbe mit dem faszinierenden Blick auf den Hafen. Dieses Panorama beeindruckt jeden, der nach Hamburg kommt. Zugleich schätze ich die Alster mit den Segelbooten mitten in der Stadt. Hamburg hat unglaublich viele fantastische Orte: der Blick vom Hafen zurück auf Hamburg, von der Rethebrücke in den Hafen, von der Brücke auf den Kaufhauskanal, die Stadtparkachse oder das Naturschutzgebiet Heuckenlock. Ich habe erst im Laufe der Zeit den Reichtum der Stadt richtig entdeckt.
Einmal mit der Abrissbirne – diese Frage wurde mir im ersten Interview in Hamburg schon einmal gestellt. Damals habe ich geantwortet: die City Hochhäuser. Die sind nach einer langen Diskussion gefallen. Ich bin mit dem Ergebnis städtebaulich sehr zufrieden und glaube, das war eine gute Tat für diese Stadt.