Hamburg. Eine gute Idee scheitert an der Unfähigkeit der Bahnbetriebe und der Überlastung des Systems. Und einem skandalösen Kundenservice.

Das Deutschlandticket gehört zu den wenigen, aber laut gefeierten Erfolgen der Ampel. Für 49 Euro – bald steigt der Preis auf 58 Euro – kann man quer durch die Republik reisen und alle Nahverkehrszüge und Busse nutzen. Digital, unbürokratisch, bundesweit gültig und monatlich kündbar, das war so einfach zu verstehen wie verbrauchernah.

Dass es die Landbewohner im Vergleich zu den Städtern benachteiligt, geschenkt. Ich war bis zuletzt dabei, ich wohne ja in der Stadt. Und was günstig ist, darf auch etwas schäbig sein. Aber so? Wer mit dem Metronom regelmäßig nach Bremen reist, ahnt schon, dass billig allein keine Strategie ist. Die Fahrpläne sind so verbindlich wie Wahlversprechen – manchmal kann man sich darauf verlassen, besser aber nicht.

Deutschlandticket: Schaurige Nahverkehrszüge rumpeln über das Land

Die Züge erinnern Rucksackreisende an Waggons, die in den 80er-Jahren durch Südeuropa rumpelten. Auf diesem Niveau ist Deutschland inzwischen angekommen – der Bahnprivatisierung sei Dank. Viele der Züge sind so schmutzig, dass sogar Sprayer aufgeben – Dreck und Staub schützen vor Graffiti. Defekte Toiletten sparen Reinigungskräfte, defekte Türen Energie. Vielleicht wäre allen geholfen, wenn die Verkehrsminister ihre nächste Tagung in einem Metronom-Zug abhalten.

Damit nicht genug. Das Einzige, was bei der Metronom Eisenbahngesellschaft, die sich im Besitz der teilstaatlichen NiedersachsenBahn GmbH & Co. KG (73,6 Prozent) und des Investmentfonds BeNEX (26,4 Prozent) befindet, reibungslos funktioniert, ist offenbar das Inkasso. Auch wenn BeNex als Kunstwort aus bene und nexus für „gute Verbindung“ steht und der Metronom im Slogan „unterwegs mit Freunden“ verspricht, sollten Sie skeptisch bleiben.

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Wer mit der Bahn reist, hat oft Schauer, Horror- und Gruselgeschichten zu erzählen

Seit Jahrhunderten gilt die Weisheit des Wandsbeker Dichters Matthias Claudius: „Wenn jemand eine Reise tut, so kann er was erzählen.“ Bei Bahnreisen leider oft eher Schauer-, Horror- und Gruselgeschichten. Hier kommt meine über eine Schwarzfahrt wider Willen.

Eigentlich ist ja alles ganz einfach. Wer im Besitz eines Deutschlandtickets ist, bekommt dieses in seiner Bahn-App jeden Monat automatisch hinterlegt. Aber die Deutsche Bahn ist immer für Überraschungen gut: „Aktuell gibt es Probleme bei der Nutzung von iOS-Geräten im Aboportal“ heißt eine der Fehlermeldungen auf Bahn.de. Aktuell währt schon etwas länger. Das Problem: Plötzlich, meist pünktlich zur Fahrkartenkontrolle, ist das Deutschlandticket auf dem iPhone digital verschwunden.

Plötzlich war das Deutschlandticket aus der Bahn-App verschwunden

Man muss es ganz neu laden – das aber funktioniert nur mit der Abo-/Vertragsnummer des Deutschlandtickets. Die Bahn beruhigt: „Ihre Abonummer finden Sie in Ihrer Aktivierungsmail“, die nicht jeder permanent auf Reisen griffbereit dabei haben dürfte. Alternativ soll sie auf dem Buchungstext im Kontoauszug stehen, aber nicht, wenn man ein Jobticket besitzt. Da hilft nur den Anruf in der Personalabteilung, die aber aus Datenschutzgründen diese zunächst nicht herausgeben darf.

Kurzum: Mit gültigem Ticket wird man dank einer Computerschwäche der Bahn zum Schwarzfahrer. Ich habe es live erlebt. Der Kontrolleur kennt zwar das Problem, aber hat – natürlich – seine Vorschriften. Routiniert notiert er meine Ausweisdaten, während ich derweil hektisch versuche, irgendwie an die verflixte Abonummer zu kommen, und stellt mir ein erhöhtes Beförderungsentgelt in Höhe von 60 Euro aus. Aber alles kein Problem: Sollte ich die Nummer noch finden, könne ich mich einfach an das Zugpersonal wenden.

Wie der Metronom vermeintliche Schwarzfahrer behandelt

Kurz vor dem Ausstieg in Bremen war das schwer möglich, aber noch auf der Rückreise am selben Tag. Mit der hart recherchierten Abonummer und einem frisch geladenen neuen alten Jobticket ging ich stolz zum Schaffner. Der aber erklärte sich für nicht zuständig. Aber alles kein Problem, ich könne mich in der Geschäftsstelle anstellen. Was schon eine drollige Empfehlung ist, denn ich bin ja nicht schwarzgefahren.

Aber in Zeiten der Digitalisierung sollte ja vielleicht die schriftliche Kontaktaufnahme helfen. Also schreibe ich an die zuständige Stelle beim Metronom: „Sehr geehrte Damen und Herren, ich hatte heute die zweifelhafte Freude, mit Ihren Zügen reisen zu müssen. Dass der Zug eine halbe Stunde verspätet war, dreckig, mehrere Türen und WC defekt, kenne ich schon. Weil aber die Deutsche Bahn mein Deutschlandticket in der App gelöscht hat – ein Bug, der offenbar laut Webseite häufiger auftritt – war ich plötzlich Schwarzfahrer und soll 60 Euro zahlen“, schrieb ich an diesem 10. September. Und, zugegebenermaßen, ungehalten: „Das werde ich natürlich nicht tun. Ich habe auch nicht das Ticket vergessen, wie in der Nacherhebung steht. Und anders als angegeben, konnte auch der Schaffner das Problem nicht lösen.“ Die Vorgangsnummer ergänzt und ab mit der Mail nach Uelzen, dem Sitz der Metronom.

Hamburg, Deutschland, Reisende in einem ueberfuellten Metronom
Ein überfüllter Metronom im vergangenen Sommer. Damals kamen Zugausfälle und erhöhtes Passagieraufkommen zusammen. © picture alliance / galoppfoto | Sabine Brose

Der Kundenservice antwortet freundlich und prompt – eine automatisch generierte Mail: „Sehr geehrter Fahrgast, vielen Dank für Ihre Mitteilung, deren Eingang wir Ihnen hiermit gern bestätigen. Nun sind wir am Zug. Ihr Anliegen haben wir unter der Vorgangsnummer 00029519 erfasst. Sollten wir noch weitere Informationen oder Unterlagen benötigen, werden wir uns in Kürze bei Ihnen melden. Wir versprechen Ihnen, dass Sie zu Ihrem Anliegen eine abschließende Antwort erhalten werden.“

Dann tritt das Inkasso-Unternehmen auf den Plan

Ein leeres Versprechen. Denn seitdem war Schweigen, keine Mail, kein Anruf, kein Brief. Etwas naiv dachte ich schon, das Unternehmen habe ein Einsehen. Bis zwei Monate später ein Schreiben der Riverty „Back in flow“ aus Verl eintraf.

„Wir haben von der Firma metronom Eisenbahngesellschaft GmbH einen Inkasso-Auftrag erhalten, da Sie sich mit einer offenen Forderung in Zahlungsverzug befinden.“ Die Geldeintreiber geben sich zumindest freundlich: „Vielleicht ist es bei Ihnen im Alltag untergegangen – das kann mal passieren. Wichtig ist nur, dass Sie es nun direkt in Angriff nehmen.“

Wer widerspricht, kassiert ein Beförderungsentgeld von 136,44 Euro

Inkassounternehmen erklären kostenlos, wie Inflation funktioniert. Statt der 60 Euro sind es nun schon 89,65 Euro, interessanterweise inklusive eines Zinssatzes von 8,37 Prozent – zahlbar binnen 14 Tagen. Wer nicht reagiert oder nicht im Urlaub ist, landet schnell bei 112,92 Euro, warnt Riverty. Und wer unberechtigte Einwände erhebt, dann 136,44 Euro. Als klagescheuer und braver Bürger habe ich dann die Summe überwiesen.

Als Journalistenmensch aber anschließend an die Pressestelle einen Fragenkatalog versandt. Der Fall könnte ja andere interessieren. Ich wollte beispielsweise wissen, wie oft man mit Kunden zu tun hat, denen aufgrund eines technischen Fehlers, den die Bahn selbst auf ihrer Website einräumt, das Ticket abhandenkommt? Warum sich das Problem nicht bei einem Schaffner beheben lässt, wobei doch klar ist, dass ein Abo nicht rückwirkend abzuschließen ist? Auch warum Beschwerden zum Fall über acht Wochen unbeantwortet blieben, hatte mich interessiert.

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Die Antwort fiel beim Metronom sehr kurz aus. Man war am Zug, aber verpasste ihn. So wie die Vorgangsnummer 00029519 ließ die Pressestelle auch diese Mail unbeantwortet.

Ganz ehrlich: Wenn das die Verkehrswende ist, bin ich nicht länger dabei.

Deutschlandticket: Das Problem gründet noch tiefer

Vielleicht aber gründet das Problem noch tiefer: Mehr als eineinhalb Jahre nach der Einführung lassen sich die Schattenseiten kaum mehr übersehen. Ein Nahverkehrssystem, das schon vor dem Deutschland-Ticket am Anschlag war, ächzt unter dem Ansturm der Reisenden. Forscher haben herausgefunden, dass es nur wenige Autofahrten ersetzt, aber zusätzliche Fahrten auslöst. Wie bei einer Flatrate-Party fährt man noch eine Runde extra. Schlimmer noch: Die Länder müssen hohe Millionenbeiträge in die Finanzierung des Tickets pumpen, die dann anderswo fehlen. Schleswig-Holstein etwa hat deshalb nun neue Züge abbestellt. Und Bayern vermisst 300 Millionen Euro für die Infrastruktur, die in das verbilligte Ticket fließen.

Aber für einen lohnt sich das Ticket ja vielleicht: für die Inkasso-Branche.

Anmerkung: Im Dezember teilte das Inkasso-Unternehmen mit, dass es auf die Forderung und den Einzug des Geldes verzichtet. Der Autor hat sein Deutschland-Ticket verlängert.