Die Studie von Verkehrssenator Tjarks zeigt: Menschen sind bereit, auf Fahrrad und Bahn umzusteigen. Doch es muss mehr geschehen.

Für die Grünen läuft es gerade nicht richtig rund. In den Umfragen befindet sich die Regierungspartei im freien Fall und liegt inzwischen mit der AfD auf Augenhöhe. Filzvorwürfe und handwerkliche Fehler entzaubern Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck, und in der öffentlichen Wahrnehmung dreht sich der Wind. Wurden die Grünen zuvor wie von einem Föhnwind getragen, bläst ihnen plötzlich polare Kälte ins Gesicht.

Da dürfte sich Verkehrssenator Anjes Tjarks über etwas Rückenwind besonders freuen: Die jüngste „Mobilitätserhebung in Hamburg“ zeigt, dass die Hansestadt richtig unterwegs ist. Demnach haben 68 Prozent der Hamburger ihre Wege in der Hansestadt mit dem so genannten „Umweltverbund“ zurückgelegt – also mit Bussen, Bahnen, Rad oder zu Fuß. Im Vergleich zur letzten Erhebung 2017 ist das ein Plus von vier Prozentpunkten.

Besonders profitiert hat der Radverkehr, der Liebling des Senats. Sein Anteil an allen Wegen – dem sogenannten Modal Split – stieg seit 2017 von 15 auf 22 Prozent. Zum Vergleich: 2008 waren es erst zwölf Prozent. Das grenzt an ein kleines Wunder. Als der rot-grüne Senat 2015 den ehrgeizigen Plan formulierte, den Radanteil binnen zehn Jahren auf ein Viertel hochzufahren, sprachen manche Beobachter von Fantasterei. Nun ist das Ziel zum Greifen nah. Und ganz nebenbei zeigt die Erhebung auch, dass der ADFC-Fahrradklimatest 2022 für die Stadt vielleicht nicht ganz fair ausfiel.

Entwicklung des Individualverkehrs in Hamburg überrascht

Noch einen Erfolg kann der Senat für sich verbuchen: Auch der Öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) legt zu. Sein Anteil erhöhte sich um zwei Punkte auf 24 Prozent; 2008 waren es erst 18 Prozent. Zugleich ist in den vergangenen 15 Jahren der Anteil des motorisierten Individualverkehrs kontinuierlich von 42 Prozent auf 32 Prozent im vergangenen Jahr gesunken.

Dieser Befund überrascht besonders – denn Corona dauerte ja in der Hansestadt bekanntlich länger als in allen anderen Regionen Europas. Im Erhebungszeitraum April 2022 war Hamburg noch Hotspot, die Maskenpflicht im Nahverkehr endete erst im Januar 2023. So dürfte das Virus und die Angst vor Ansteckung das Mobilitätsverhalten nachhaltig beeinflusst haben: Manche verzichteten auf Bus und Bahn und besannen sich auf das eigene Auto. Wieder andere blieben zu Hause und arbeiteten von dort. So sank die Zahl der Wege um neun Prozent. Mit der Normalisierung des Lebens nach Corona wird sich dieser Trend drehen.

Hamburg muss ÖPNV und Fußgänger weiter fördern

Tendenziell dürfte davon vor allem der Öffentliche Nahverkehr profitieren. Denn der ist seit Mai auf einen Schlag gleich doppelt attraktiv geworden: Der Fahrpreis sinkt auf 49 Euro im Monat – zugleich gehören das lästige Pfadfinden im Tarifdschungel wie die Kleingeldsuche für die Fahrkarte der Vergangenheit an.

Trotzdem liegt noch ein weiter Weg vor Hamburg. Bis 2030 sollen nach Vorstellung des Senates sogar 80 Prozent aller Wege im Umweltverbund bewältigt werden. Es fehlen also zwölf Prozentpunkte in acht Jahren. Damit müsste das Tempo des Umstiegs deutlich an Fahrt aufnehmen. In den vergangenen fünf Jahren lag der Zugewinn aber nur bei vier Punkten.

In Zukunft muss es darum gehen, Fußgänger stärker in den Blick zu nehmen, die derzeit noch fortgehupt und weggeklingelt werden. Ihr Anteil ist zuletzt deutlich gesunken. Setzt sich dieser Trend fort, werden die Ziele rasch unerreichbar.

Anjes Tjarks sollte also den Tag genießen. Die nächste Präsentation dürfte schwieriger werden.