Hamburg. Das Bauunternehmen Otto Wulff gehört zu den ältesten der Stadt. Wie schlimm steht es um die Baubranche? Und wann wird es besser?
Kaum ein Bauunternehmer kennt die Höhen und Tiefen des Geschäfts so genau wie Stefan Wulff. Der 58-Jährige leitet das Billstedter Familienunternehmen Otto Wulff bereits in dritter Generation. Seine Einschätzung muss alarmieren: „Wir durchleben eine der größten Immobilienkrisen seit Gründung der Bundesrepublik. Sie ist viel tiefgreifender und sehr viel substanzieller als die Finanzkrise 2008/2009. Die haben wir schnell und gut weggesteckt.“
Seit zweieinhalb Jahren komme vieles zusammen, sagt Wulff, der vor 30 Jahren in den väterlichen Betrieb einstieg und ihn seit 2000 als Geschäftsführer leitet. „Wir leiden unter den stark gestiegenen Zinsen und den rasant gestiegenen Materialpreisen. Gestörte Lieferketten verschärfen die Probleme, und jetzt kommt auch noch der Fachkräftemangel hinzu.“ Der Bauunternehmer sieht eine riesige Herausforderung für die gesamte Branche, die noch bis vor wenigen Jahren von den Niedrigzinsen verwöhnt war.
Immobilien Hamburg: Otto Wulff sieht sein Unternehmen auch in der Krise gut positioniert
Immerhin hält der Diplom-Ingenieur seine Firma, die 1932 als Holzbaubetrieb gegründet wurde, für wetterfest. „Wir sind sehr gut im Markt positioniert und kommen bislang gut durch die Krise.“ Das Auftragsvolumen fürs nächste Jahr sei gut.
Zusätzlich profitiere Otto Wulff mit seinen 650 Mitarbeitern noch von einem weiteren Trend. „Wir sind als Unternehmensgruppe breit aufgestellt, haben uns neben dem Wohnungsbau stark auf den Schulbau konzentriert.“ Mit Standorten in Berlin und Leipzig sei Otto Wulff inzwischen einer der größten Schulbauer im Land. Gerade errichtet das Unternehmen unter anderem die Stadtteilschule Kirchwerder und den Schulcampus an der Struenseestraße in Altona.
Der Bauunternehmer entdeckt einen Silberstreif am Horizont
Selbst bei der Projektentwicklung, dem Sorgenkind der Branche, zeigt sich ein Silberstreif am Horizont. „Die Nachfrage nach Wohnraum wird von Woche zu Woche größer“, sagt Wulff. „Wir gehen jetzt spekulativ mit größeren Projekten in den Markt. Die Stimmung hellt sich auf.“
Gleich mehrere Entwicklungen stimmen den Hamburger zuversichtlicher. So sänken die Zinsen, und der Preisabsturz bei Immobilien sei gestoppt. „Wir haben jetzt die Talsohle durchschritten und in den letzten drei Monaten so viele Wohnungen beurkundet wie im gesamten letzten Jahr nicht.“ Derzeit baut das Unternehmen an den Kolbenhöfen mit, ein großes Areal an der Grenze von Ottensen zu Bahrenfeld. Die Wohnungen dort kosten mindestens 8000 Euro den Quadratmeter, finden aber Interessenten. „Die Kunden kommen wieder. Wir haben dort 18 Reservierungen, von denen schon zehn beurkundet sind.“
Immobilien Hamburg: Die Zinssenkungen beginnen zu wirken
Die Zinssenkungen begännen zu wirken, Banken und Sparkassen trauten sich wieder, Kredite zu geben. Sowohl die Projektentwickler als auch die Käufer benötigten diese Finanzierung. „Kaum jemand kauft heute noch spekulativ eine Eigentumswohnung vom Blatt, wie das bis zum Einmarsch der Russen in die Ukraine der Fall war. Das ist vorbei. Heute muss der Rohbau stehen, viele Kunden wollen etwas sehen.“ Darauf reagierten die Bauträger. „Bei einem kleineren Projekt an der Feldstraße haben wir erst fünf Monate vor Fertigstellung mit dem Vertrieb begonnen. Da sind uns die Wohnungen aus den Händen gerissen worden.“
Die Preise liegen deutlich über dem Niveau früherer Jahre. Denn die Baukosten sind extrem gestiegen: Seit 2010 haben sie sich nach Zahlen der Arbeitsgemeinschaft für zeitgemäßes Bauen (Arge) von 2180 auf 4317 Euro ohne Grundstück mehr als verdoppelt. Allein in den letzten vier Jahren kam ein Plus von 42 Prozent hinzu.
Immerhin: „Diese Preisanstiege sind aus meiner Sicht aktuell gestoppt“, sagt Wulff. Er rechnet nun mit einer Seitwärtsbewegung: „Die Löhne im Handwerk sind massiv gestiegen. Zudem sind viele Baumaterialien knapp geworden, auch durch Werksschließungen. “
Stefan Wulff: Um die Preise zu senken, muss einfacher gebaut werden
Wie können die Preise sinken? „Es gibt nur einen Weg: Wir müssen einfacher bauen“, sagt der studierte Architekt Wulff. So sei die Technik im Haus mittlerweile teurer als der Rohbau. „Wir müssen uns auf das besinnen, was wir in den 90er-Jahren noch gekonnt haben: einfach und gut bauen.“ Wulff nennt mehrere Beispiele, angefangen beim Schallschutz.
„Der Mindestschallschutz reicht aus, aber wir haben uns in den vergangenen Jahren an den gehobenen Schallschutz gewöhnt.“ So würden Geschossdecken, die früher 16 Zentimeter maßen, heute 21 und 22 Zentimeter stark. Zugleich hätten die Wandstärken im Wohnungsbau von rund 17,5 auf 24 und mehr Zentimeter zugelegt. „Das ist eine Ressourcenverschwendung, die wir schnell zurückzudrehen sollten.“
Oftmals treiben die Behörden die Immobilienpreise
Wulff sieht auch die Behörden als Kostentreiber. „In den vergangenen Jahren sind Projektentwickler mit immer neuen Forderungen konfrontiert worden, etwa Abgaben für den Bau von öffentlicher Infrastruktur, wie zum Beispiel Grünanlagen und Spielplätzen und Kitas.“ Auch die Auflagen trieben die Kosten. „Wir müssen überall Wettbewerbe machen und bekommen immer mehr ins Lastenheft geschrieben. Damit muss Schluss sein, wenn wir wirklich günstigeren Wohnungsbau wollen.“
Kritisch sieht er auch die Wünsche an Abstellplätze für Privatwagen. Wulff erzählt von einem Bauprojekt für Senioren in Eppendorf, wo nun die Hälfte der vorgeschriebenen 20 Stellplätze leer stünden. „Selbst im Bereich der Eigentumswohnungen verzichten inzwischen viele auf ein Auto. Da müssen wir über neue Mobilitätskonzepte nachdenken, etwa Carsharing anbieten oder Parkhäuser von Firmen nachts als Quartiersgaragen nutzen.”
Wulff: „Das, was der Senat sagt, kommt nicht immer in den Bezirken an“
Zwischen Anspruch und Wirklichkeit klaffen in Hamburg mitunter Welten. „In jedem Bebauungsplan bekommen wir wieder die Auflage, Stellplätze bauen zu müssen oder Ablöse zu zahlen“, kritisiert Wulff. Das verteuert den Wohnungsbau allen Versprechen zum Trotz. „Das, was der Senat sagt, kommt nicht immer in den Bezirken an. Darunter leidet die gesamte Wohnungswirtschaft.“ Berlin, sagt Wulff, sei inzwischen viel weiter als Hamburg und verzichte auf Auflagen für Stellplätze.
Ausgerechnet die Hauptstadt zeige, was möglich ist. „Dort haben wir inklusive der Planung für weniger als 2700 Euro pro Quadratmeter gebaut.“ Möglich gemacht haben das ein Verzicht auf die Tiefgarage und ein serieller Bau: Alle Grundrisse liegen übereinander, in der Fassade wurde konsequent auf Rücksprünge verzichtet. Auch Staffelgeschosse gibt es nicht mehr. „Die sind im öffentlich geförderten Segment nicht mehr finanzierbar. Wir müssen wieder wie nach dem Krieg Vollgeschosse bauen, viele Wohnungen an ein Treppenhaus hängen und Balkone übereinanderstapeln.“ Schöner werden die Häuser dadurch nicht. „Aber sie haben ihre Qualität“, betont Wulff.
„Wir sind beim Klimaschutz falsch abgebogen“
Auch technisch müsse abgerüstet werden. „Wir sind beim Klimaschutz falsch abgebogen und haben nur geguckt, wie viel CO₂ ein Gebäude nach Fertigstellung emittiert. Deshalb haben wir die Häuser so gedämmt, dass wir sie zwangsbelüften müssen. Da brauchen die Bewohner fast eine Ingenieursausbildung.“ Eine weitere Nebenwirkung: „Die Nebenkosten sind explodiert, weil der Stromverbrauch steigt und die Wartung teuer ist.“ Nicht einmal zum Klimaschutz habe dieser Trend beigetragen. „Wie viel CO₂ bei der Produktion der Styroporblöcke entstanden sind, hat nie jemand hinterfragt. Das sind Milchmädchenrechnungen.“
Der Vater einer Tochter macht eine andere Rechnung auf: Der verbreitete KfW-55-Standard im Wohnungsbau, der 45 Prozent weniger Energie als herkömmliche Häuser verbrauchen soll, sei mit herkömmlichen Mitteln erreichbar, wenn die Mischung aus Wandstärken, Wärmedämmung und Gebäudetechnik stimmt und die Planung etwa der Fensteranteile intelligent ist.
Den politisch hingegen gewünschten KfW-40-Standard hält Wulff hingegen für „Quatsch“. Der sei ohne massive Investitionen kaum zu schaffen. „Er kostet pro Quadratmeter zwischen 600 und 800 Euro mehr und bringt am Ende vielleicht drei bis fünf Prozent CO₂-Ersparnis.“ „Dafür wird bei der Herstellung der Materialien für diese Häuser heute schon so viel CO₂ emittiert, dass wir keine positive Klimabilanz erreichen können.“
10.000 neue Wohnungen sind in Hamburg auf absehbare Zeit nicht erreichbar
Die magische Zielzahl von 10.000 neuen Wohnungen, die Hamburg jährlich bauen will, hält er auf absehbare Zeit für nicht erreichbar. „Wir sind weit davon entfernt.“ Im laufenden Jahr erwartet er nur noch etwa 3000 Einheiten. „Was jetzt gebaut wird, sind Projekte, die noch vor der Krise genehmigt worden sind. Aktuell werden kaum noch Baugenehmigungen erteilt.“ Da die Baukonjunktur Fünfjahres-Zeiträumen von der Entwicklung zur Fertigstellung durchlaufe, schlügen die dramatischen Rückgänge erst ab 2025 oder 2026 durch. Das bedeute zugleich: „Richtig aufwärts geht es erst 2030.“
Warum aber werden keine Baugenehmigung mehr erteilt? Einerseits fehlten die Investoren, von denen viele noch in „Schockstarre“ verharren, andererseits tue sich in den Bauämtern zu wenig. „Da sind die Ressourcen zurückgefahren worden“, kritisiert Wulff. „Auch da geht es in der Stadt Berlin nach dem Regierungswechsel plötzlich schneller als anderswo. Wir müssen in Hamburg besser und schneller werden. Wir sind leider zurückgefallen.”
Immobilien Hamburg: Eine Fertigstellung des Elbtowers erwartet Wulff nicht vor 2030
Wulff wünscht sich einen Neustart beim Bündnis für das Wohnen. „Wir brauchen eine konzertierte Aktion. Alle Beteiligten müssen Wege finden, wie wir den dringend benötigten Wohnungsbau wieder auf Kurs bringen.”
Zum Elbtower äußert sich Wulff zurückhaltend. „Das Thema treibt die Menschen um. Ich denke, beim jetzt erreichten Bautenstand wird es irgendwann weitergehen. Die Frage ist, wie man den Rohbau bewertet.“ Bei einem niedrigen Kaufpreis könnte es sich für einen mutigen Investor rechnen. „Der Elbtower ist ein sehr ambitioniertes Projekt. Da benötigt man jemanden mit viel Leidenschaft und viel Geld.”
Wulff fände es schade, wenn es nicht weitergeht. Er vermutet aber, dass auch an den Elbbrücken noch viel Zeit ins Land gehen wird. „Drei Jahre Bauzeit benötigt man mindestens noch. Mit einer Fertigstellung rechne ich nicht vor 2030.“
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Fünf Fragen an Stefan Wulff
- Meine Lieblingsstadt ist Hamburg, kurz danach kommt Berlin. Ich bin froh, dass ich in beiden Städten beruflich unterwegs sein darf, und verbringe gerne Zeit in Berlin. Die Stadt ist wahnsinnig inspirierend und dynamisch. Dafür hat Hamburg hat andere Qualitäten.
- Mein Lieblingsstadtteil ist die Uhlenhorst. Sie ist etwas lässiger und weniger gentrifiziert als die westlichen Alsterstadtteile. Durch die Nähe zu Barmbek gibt es auch mehr junge Leute. Und die Sonne kommt aus der richtigen Richtung, wenn man abends auf dem Balkon oder an der Alster sitzt.
- Mein Lieblingsgebäude ist die Elbphilharmonie in all ihren Facetten. Mit der Mischung aus Kultur, Wohnen, Gastronomie und Hotel haben wir einen Ort der Begegnung gewonnen. Der Weg dahin war steinig, aber sie ist für Hamburg ein immens wichtiges Gebäude geworden.
- Mein Lieblingsplatz ist einer der kleinen Stege an der Alster, wo man aufs Wasser blicken, einen Kaffee trinken und über berufliche wie private Themen nachdenken kann. Da finde ich alles, was Hamburg ausmacht: Wasser, Wind und die besondere Atmosphäre.
- Einmal mit der Abrissbirne würde ich Richtung Harburg schauen. Der Stadtteil hat zurzeit einige städtebauliche Probleme. Ich würde das leer stehende Karstadt-Gebäude abreißen, um dort eine neue städtebauliche Qualität für den gesamten Süderelberaum zu entwickeln. Zugleich ließe sich mit Wohnungen die Harburger Innenstadt beleben.