Hamburg. Anna Katharina Zülch engagiert sich seit Langem in der Denkmalpflege – und fürchtet um das kulturelle Erbe der Hansestadt.

Denkmalschützer haben in der Hansestadt derzeit alle Hände voll zu tun – da ist es gut, dass Anna Katharina Zülch nicht der Generation Z angehört. Sie ist Mitglied im Vorstand der Hamburgischen Architektenkammer, des Kuratoriums Stiftung Denkmalpflege Hamburg und Vorsitzende des Denkmalrates der Hansestadt. Und sieht mit wachsendem Ärger, wenn wieder ein Stück Hamburg im Staub versinkt.

„Nach dem Krieg ist manchmal mehr kaputtgegangen als im Krieg“, sagt sie. Eine wirkliche Besserung sieht die Architektin bis heute nicht. Besonders vermisst die 76-Jährige den City-Hof am Klosterwall und das Allianz-Hochhaus am Großen Burstah – beide Nachkriegsbauten fielen erst vor wenigen Jahren, die Neubauten an ihrer Stelle sind gerade erst fertiggestellt.

Denkmalschützerin vermisst das Allianz-Hochhaus und den City-Hof

„Mir fehlen beide Gebäude“, sagt die frühere Professorin für Instandsetzung und Entwerfen in der Denkmalpflege. Das Allianz-Hochhaus hätte man ihrer Ansicht nach entwickeln können. „Das Gebäude war an seine Umgebung mit den äußeren viergeschossigen Randbauten angepasst. Man hätte dort einen Lichtgraben in die Großräume hineinbauen können und wunderbare Büroräume um einen wunderbaren Innenhof bekommen.“ Zülch mochte den offenen Durchgang zur Nikolaikirche, die frühere Kapelle, die Läden. „Das wurde alles zugemacht, und dann stirbt ein Gebäude.“

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Der Abriss des City-Hofs habe die Stadtplanung zerstört. „Jetzt haben wir eine Barriere in Rot zum Kontorhaus-Viertel gebildet, die vorher nicht da war. Das ist für mich ein Unding.“ Zülch sieht darin auch ein Versagen der Hamburger Behörden, die die Gebäude nie gepflegt hätten. „Die Leca-Platten, die dort verbaut wurden, hatten ihr Vorbild im Hansa-Viertel in Berlin. Dort sind die Oberflächen noch immer in Ordnung.“ Hamburg hingegen habe einst auf eine günstigere Firma gesetzt mit dem Ergebnis, dass die Platten rasch grau, schimmelig und dreckig wurden. „Dann kamen die grauen Eternit-Platten davor und haben das wunderschöne weiße Gebäude zerstört.“ Zum Schluss war die Heimat des Bezirksamts Mitte völlig heruntergekommen.

Aktuell kümmert sich Zülch um die Sanierung des HEW-Hochhauses

Viele Großgebäude der 50er-, 60er- oder 70er-Jahre hätten es schwer, weil sich die Nutzungsanforderungen radikal gewandelt hätten. So ist die Zeit der Großbüros vorbei. Zülch, die gerade die Instandsetzung des HEW-Hochhauses in der City Nord betreut hat, plädiert immer für den Erhalt: Angesichts der grauen Energie, also der im Gebäude gebundenen Energie, solle man weniger abreißen und neu bauen, auch im Sinne unserer Nachkommen.

„Das Schicksal der Commerzbank am Neß halte ich für eine Katastrophe. Da hätte man mehr erhalten können“, sagt die Mutter eines Sohnes. Sie hätte sich gewünscht, sowohl den noch erhaltenen Teil des Altbaus von Rathaus-Baumeister Martin Haller als auch das Hochhaus von Architekt Godber Nissen stehen zu lassen. „Ich hätte mir eine intelligente Lösung gewünscht, die beide Gebäude aus so verschiedenen Zeitschichten zusammensetzt.“

Warum aber geht die Hansestadt eher nachlässig mit ihrem Erbe um? Dafür sieht Zülch mehrere Ursachen. Hamburg war stets wohlhabend und konnte es sich leisten, alte Gebäude abzureißen und neu zu bauen. „Wir leben in einer attraktiven Stadt für Investoren.“

Denkmalschützerin: „Wir dürfen Hamburg nicht kaputt machen“

Das solle so bleiben, sagt die Architektin, schränkt aber ein: „Wir dürfen Hamburg nicht kaputt machen, indem wir eine beliebige Belanglosigkeit schaffen, die Stadt muss attraktiv bleiben. Deswegen liebe ich den Gänsemarkt: Er ist in jedem Gebäude anders, schräg: Ich habe mich einmal mit einer Gruppe von Menschen auf den Gänsemarkt gestellt, etwas zu den Häusern erzählt und war nach zwei Stunden noch immer nicht fertig, weil es so viele Geschichten gibt.“

Die Gänsemarkt-Passage von 1979 hätte sie angesichts der aktuellen Entwicklung lieber erhalten. Und sie vermisst die Frequenzbringer am Gänsemarkt. Früher gab es dort Kinos und die Abendblatt-Geschäftsstelle. „Geschäfte, die nach außen wirken, sind wichtig, weil die Leute wieder rauskommen und nicht durch Passagen entwischen können.“

Zülch fordert, die Bauordnung zu ändern. Sie ärgert, dass noch immer Abrissgenehmigungen mit Vorabgenehmigungen losgelöst von der Baugenehmigung erteilt werden. „Das Ergebnis sehen wir am Gänsemarkt: Dort haben wir nun ein Riesenloch! Und so etwas gibt es an vielen Orten in der Stadt.“

Zülch plädiert für eine Entbürokratisierung im Bau

Sie hofft darauf, dass aus der Krise eine Chance erwächst und mehr experimentiert wird. „Mit der Bundesarchitektenkammer versuchen wir uns am ‚Gebäudetyp E‘ im Bauordnungsrecht.“ Damit sollen Möglichkeiten geschaffen werden, den Neubau oder Umbau durch innovative und individuelle Planung nachhaltiger, ressourcenschonender und günstiger zu gestalten, indem von nicht zwingend notwendigen technischen Normen abgewichen werden kann. Nur: „Die Juristen müssen zustimmen, damit der Bauherr nachher die Gewährleistung hat.“

Zudem müssten Gebäude genehmigungsfähig werden, die schon einmal genehmigt wurden. „Wir dürfen etwa Häuser aus der Gründerzeit jetzt nicht mit heutigen Bauvorschriften erschlagen – denn diese Häuser gibt es ja.“ Sie seien sogar hochattraktiv, auch wenn der Trittschallschutz kaum gegeben sei, „Trotzdem zieht keiner aus. Wir brauchen eine Entbürokratisierung im Baurecht. Wir haben diese Gesetze geschaffen, also können wir sie auch wieder ändern.“

City Hamburg: Es fehlen die Ziele für die Menschen

Die Entwicklung der Innenstadt sieht die Architektin, die das Schweriner Schloss instandsetzte, mit Sorge. „Die City lebt von den Menschen“, sagt sie. Da komme den Warenhäusern weiterhin eine zentrale Funktion zu. „Wir benötigen sie, aber sie müssen sich ändern.“ Die Menschen gingen dorthin, um unterhalten zu werden. „Das ist ein Ort, an dem man sich wohlfühlen soll und flanieren, Dinge ausprobieren kann.“

Früher sei die Innenstadt attraktiver gewesen, jeder konnte mit dem Auto vorfahren und bei Brinckmann sogar den neuen Kühlschrank abholen. „Das fehlt jetzt, und damit geht Lebendigkeit verloren. Die Stadt muss ein Erlebnisort sein.“ Zülch schlägt vor, beispielsweise Musik-Clubs anzusiedeln. „Die Leute beschweren sich oft, dass man nach dem Theater oder der Oper nur wenige Orte hat, an denen man ein Bier trinken kann.“ Viele finden diese Orte auch nicht, etwa an der Binnenalster. Immerhin: Am Alten Wall soll in Kürze ein Jazzclub eröffnen.

„Die Idee mit den Affen auf der Mönckebergstraße fand ich wunderbar“

Die Innenstadt müsse mehr wagen. „Die Idee mit den Affen auf der Mönckebergstraße fand ich wunderbar: Plötzlich waren die Busse weg, aber überall Menschen. Kinder, die auf den Affen herumkrabbelten, Leute, die Selfies gemacht haben“, sagt Zülch. Im Sommer 2022 hatten zwölf Affenskulpturen, jede drei Meter hoch und 600 Kilo schwer, die Straße verändert. „Mein Ideal wäre ein Skulpturensommer in Hamburg: Dafür sollten wir die Denkmale der Stadt zeitweise an neue Orte stellen. Was passiert, wenn Kaiser Wilhelm plötzlich die Mönckebergstraße entlangreitet? Dann kommen ganz viele Leute, gucken und blicken neu auf die Stadt.“

Prof. Anna Zülch sitzt im Vorstand der Hamburgischen Architektenkammer, des Kuratoriums Stiftung Denkmalpflege und ist Vorsitzende des Denkmalrates.
Prof. Anna Zülch sitzt im Vorstand der Hamburgischen Architektenkammer, des Kuratoriums Stiftung Denkmalpflege und ist Vorsitzende des Denkmalrates. © FUNKE Foto Services | Roland Magunia

Mitunter fehlt der Architektin, die jahrzehntelang mit Horst von Bassewitz ein Büro hatte, der Mut in Hamburg. „Berlin ist schneller. Es wäre schön, wenn Hamburg mehr Mut fände, einfach etwas schräger zu sein und Neues zu wagen – so wie bei der Idee der Patriotischen Gesellschaft, Straßen im Rathausquartier zu sperren. Das fanden alle super“, sagt sie. Ihr Resümee: „Die Stadt bleibt manchmal unter ihren Möglichkeiten.“

Denkmalschützerin Zülch: „Die Köhlbrandbrücke ist ein Wahrzeichen“

Das Überseequartier, das im April neu eröffnen wird, sieht sie entspannt. „Da gibt es keine Alster, da gibt es keine Fleete. da fehlt die gewachsene Struktur. Wir müssen darüber nachdenken, wie wir die Innenstadt beleben können.“ Sie schlägt ein Freiluftkino vor, Modenschauen auf der Straße, Kultur an neuen Orten. „Warum haben wir kein Theater auf der Alster? Warum haben das andere Städte im Süden?“, fragt sie. Mit einem besseren Angebot kämen die Menschen zurück. „Davon profitieren die Geschäfte, die Restaurants. Wir müssen uns häufiger fragen: Was kann man in dieser Stadt mal ändern?“

Mit Sorgen blickt sie in den Hafen: „Die Köhlbrandbrücke ist ein Wahrzeichen.“ Sie fühlt sich getäuscht, dass man die Gutachten über den Zustand der Brücke damals zurückgehalten hätte. Kritisch sieht sie auch das Hafenerweiterungsgesetz, „das uns fürchterlich auf die Füße fällt, weil wir große Teile der Stadt zu einem Sperrbezirk für hafenaffine Nutzungen erklärt haben“.

Im Hamburger Hafen sieht Zülch enorme Flächenpotenziale

Der Erfolg von gestern sei kein Argument, morgen alles genauso zu machen. „Nur weil das vor 500 Jahren schon so war, muss das nicht für die Ewigkeit so bleiben. Wir müssen uns auch im Hafen verändern.“ Angesichts der enormen Investitionen und die permanenten Elbausbaggerungen stelle sie die Frage, ob ein Tiefwasserhafen in Wilhelmshaven nicht klüger sei.

„Wie kann ich den Hafen als wesentlichen Wirtschaftsfaktor für Hamburg so weiterentwickeln, dass ich an anderen Stellen in der Stadt nicht noch viel kaputt machen muss? Warum können wir nicht am Hafen Wohnungsbau realisieren, anstatt anderswo in Landschaftsschutzgebieten zu bauen?“ Einzelne Bereiche müssten aus dem Bereich des Hafenentwicklungsgesetzes entlassen werden. „Es ist doch ein Jammer, die City Nord, ein Denkmal, nachzuverdichten.“ Sie habe damals das Texaco-Gebäude „vom Entwurf bis zur letzten Schraube“ begleitet und bedauere, dass die großen Grünflächen dort verändert werden.

Denkmalschützerin hält Nachverdichtungen nicht für die Lösung

Auch die populären Nachverdichtungen hält sie nicht für die Lösung: „Ein ganz schlimmes Beispiel ist das ehemalige Unilever-Hochhaus, um das ein Hotel gewickelt wurde. Wer auf dem Johannes-Brahms-Platz steht, sieht dieses schlanke Hochhaus gar nicht mehr. Es ist deformiert. Alles ist so beliebig, so in die Enge getrieben.“ Die Frage der Sichtachsen aus menschlicher Perspektive wurden nicht berücksichtigt. Das menschliche Auge sieht nicht digital.

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Auch die ehemalige Ost-West-Straße sei durch die Nachverdichtung nicht attraktiver geworden – ganz im Gegenteil. „Das war eine geschlängelte Linie, in jedem Bogen fuhr man auf einen Kirchturm zu. Nun ist die Straße dicht und die Akustik eine ganz andere.“ Man hätte stattdessen besser etwas zurückgesetzt bauen sollen. „Und dann wurde auch noch die blaue Brücke weggenommen, was ich genauso schlimm finde, weil sie zur Bundesbank dazugehörte.“

Die Stadt müsse sich verändern – und zugleich erhalten werden. „Wir müssen immer darauf achten, dass wir das Bestehende nutzen. Wir müssen die großen Bürohochhäuser alle umnutzen. Wir sollten keine Häuser mehr abreißen. Und erst recht keine Denkmäler.“

Fünf Fragen an Anna Katharina Zülch

  • Meine Lieblingsstadt ist erst einmal Rio de Janeiro und dann Berlin. Die Städte sind quirliger, innovativer, weniger bürokratisch.
  • Meine Lieblingsstadtteile sind Eimsbüttel und Eppendorf, die Wohnen, Geschäfte und Gastronomie zusammenbringen. Der Eppendorfer Baum ist mir zu hochpreisig, lieber sind mir die Straßen mit den einfachen Läden aller Arten und den Eckkneipen.
  • Mein Lieblingsplatz ist der Gänsemarkt. Den gibt es seit 1600, er hat sich Zeichen aus jeder Zeit bewahrt und herrliche Kuriositäten: Dubletten, Neubauten, Rekonstruktionen. Der Gänsemarkt wurde immer wieder umgebaut und wird doch von Lessing in der Mitte bestimmt.
  • Mein Lieblingsgebäude ist das Gebäude der Patriotischen Gesellschaft mitten in der Stadt, dort, wo bis zum Großen Brand das alte Rathaus stand. Hier finden sich faszinierende Bauschichten, an denen sich die Geschichte der Stadt ablesen lässt. Zudem steht die Patriotische Gesellschaft für das gemeinsame Engagement für Hamburg. Ein Gebäude, das mir auch sehr gut gefällt, ist das Fritz-Schumacher-Haus auf dem UKE-Gelände. Das ist ein Meilenstein der Gesundheitspolitik, weil es eines der ersten Forschungsgebäude unserer Stadt ist und die Geschichte der Gesundheitspolitik erzählt.
  • Einmal mit der Abrissbirne ist die schlimmste Frage, die sie mir stellen können! Bitter ist das Kaufhaus mit Gleisanschluss, der sogenannte Bahnhof Altona. Dieser Bau hat die Stadtplanung kaputt gemacht, die Straßenführung, die Zuwegung zum Altonaer Museum und zum Rathaus. Das Herz von Altona ist durch diesen albernen Bahnhof in seiner Entwicklung gestört worden. Dabei hätte das alte Bahnhofsgebäude stehen bleiben können – es war nur den Investoren im Weg.