Hamburg. Fraktionschef Dirk Kienscherf will eine Brücke über den Domplatz schlagen und glaubt weiter an den Elbtower. Was er noch plant.
Die SPD hat die „ganze Stadt“ im Blick, versprach die Partei 2020 und gewann damit souverän die Hamburger Bürgerschaftswahl. Stadtentwicklung war eines der Themen, mit denen die Sozialdemokraten punkten konnten. Denn auch ein anderes Versprechen, den Bau von 10.000 neuen Wohnungen jährlich, hatten sie bis dahin stets eingelöst.
Heute ist vieles anders: Die Stadt wird erstmals ihr Wohnungsbauziel krachend verfehlen, und mit dem Desaster an den Elbbrücken verbinden viele Olaf Scholz, der den Elbtower einst unbedingt wollte. Auch dem SPD-Fraktionschef Dirk Kienscherf bläst seitdem der Wind rauer ins Gesicht.
Immobilien Hamburg: SPD-Fraktionschef rechnet mit weniger als 6000 neuen Wohnungen
Der Sozialdemokrat rechnet damit, dass in Hamburg im laufenden Jahr weniger als 6000 Wohnungen fertiggestellt werden. „Das ist ein riesengroßes soziales Problem“, sagt der 57-Jährige in Podcast „Was wird aus Hamburg?“ Zugleich beklagt er ein Scheitern mit Ansage, dessen Ursache aber nicht in Hamburg liegt: „Die Zahlen sind keine Überraschung. Ich habe schon vor einem Jahr gesagt, dass ich die Politik des Bundeswirtschaftsministers, die Förderung zu kappen, für fatal halte. Damals war bereits sichtbar, wie herausfordernd die Lage durch die Zinssteigerung und teurere Materialkosten werden würde”, sagt Kienscherf, der sieben Jahre lang Fachsprecher der Fraktion für Stadtentwicklung war.
Das Zinstief hat Politik wie Investoren leichtsinnig gemacht, sagt er. „Durch die günstigen Zinsen konnten wir lange bei den Klimaschutzauflagen draufsatteln, haben damit aber die Preise weiter nach oben getrieben.” Er hält die Bundespolitik an dieser Stelle für falsch. „Wir versuchen das in Hamburg etwas auszugleichen. Wir brauchen viele Wohnungen und haben unsere Ausgaben für den sozialen Wohnungsbau bereits von jährlich 400 Millionen Euro auf ca. 1,5 Milliarden Euro in den Jahren 2023/2024 deutlich erhöht. Wir werden aber nicht alles auffangen können, was anderswo schiefläuft.“
SPD-Fraktionschef Kienscherf hat klare Meinung zu Wohnungsbau in Hamburg
Wer in Hamburg öffentlich geförderten Wohnungen baut, bekommt von der Stadt günstige Grundstücke im Erbbaurecht, erhebliche Fördermittel und Kredite in Höhe von einem Prozent über 30 Jahre. „Die Saga wird viel realisieren, aber wir können die Lücke beim frei finanzierten Wohnungsbau nicht schließen.“ Seine Konsequenz: „Wir müssen einfacher bauen und weg von diesen komplizierten Vorschriften.“
Komplizierte Vorschriften und Ideen gibt es auch bei zwei besonderen Projekten in Hamburg zu bestaunen, dem Paloma-Viertel auf dem Kiez und dem Holsten Quartier in Altona. Das Problem: Niemand baut. Seit Jahren verspricht die Adler Group, 1300 Wohnungen in Altona zu errichten. Passiert ist nichts.
Die Hoffnungen der Stadt Hamburg ruhen auf der Saga
Nun ruhen die Hoffnungen auf der Saga. Die städtische Wohnungsbaugesellschaft ist zum Einstieg bereit, aber nur, wenn die Anforderungen an den Bauherrn abgespeckt werden. „Das muss man im Stadtteil und dem Bezirk genau besprechen“, sagt Kienscherf. „Die Frage ist: Will man das Grundstück weiter liegen lassen oder schafft man Wohnungsbau? Dann muss man bestimmte Dinge verändern.“ Zugleich betont er: „Die Saga kann nicht die Spekulanten retten. Da lassen wir uns nicht erpressen. Das ist zwar städtebaulich nicht schön, aber das wird jeder Steuerzahler verstehen.”
Aus heutiger Sicht sei es ein großer Fehler gewesen, als Stadt auf das Vorkaufsrecht beim Holstenareal zu verzichten. „Man hat damals richtigerweise versucht, Carlsberg und Holsten am Standort zu halten. Keiner konnte sich vorstellen, dass daraus so ein Spekulationsobjekt wird.” Inzwischen sei die Stadt klüger: „Wir werden keine städtebaulichen Verträge verhandeln oder Bauleitverfahren einleiten, bevor wir nicht klare Verträge geschlossen haben.”
Paloma-Viertel in Hamburg-Altona: Wunderbare Ideen, aber schwer zu realisieren
Das Paloma-Viertel, das in einem intensiven Dialog des Investors Bayerische Hausbau mit der Planbude entworfen wurde, liegt ebenfalls brach. „Das waren wunderbare, aber sehr teure und anspruchsvolle Ideen. Ich glaube, manches war zu anspruchsvoll“, sagt der Sozialdemokrat. So habe man eine Kletterwand geplant, und dann habe die Feuerwehr aus Sicherheitsgründen ein zusätzliches Treppenhaus gefordert. „Das Projekt wurde zu komplex. Am Ende fehlten ein, zwei Jahre, dann hätte man es noch realisieren können. Ich fürchte, das ist in dieser Form heute nicht mehr möglich”, sagt der Diplom-Kaufmann.
Die Verwerfungen am Markt haben manchen Projekten den Stecker gezogen.
In einer besseren Welt würde auch der Elbtower seiner Vollendung entgegenstreben. Doch die Baukrise hat alles verändert: „Unternehmen, die viele Grundstücke und Immobilien aufgekauft haben in der Erwartung, deren Wert würde weiter steigen, haben nun ein Problem. Manche haben so neues Geld besorgt, um es in alte Projekte zu stecken.” Angesichts der Abwertungen ist diese Strategie hinfällig. „Adler ist ein ganz schlimmes Beispiel dafür, und in diesen Strudel gerät nun auch Benko.”
SPD-Fraktionschef Kienscherf glaubt an die Fertigstellung des Elbtowers
Kienscherf glaubt trotz der Insolvenz der Signa Holding weiter an die Fertigstellung des Elbtowers und sieht keinen Grund zur Panik. „Mit Anmeldung der Insolvenz der Signa Holding endet eine wochenlange Hängepartie. Es bleibt abzuwarten, wie das Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung vorangetrieben wird. Entscheidend ist, dass Signa klärt, welche Perspektiven es für einzelne Unternehmensteile und Projekte gibt. Wir wollen, dass der Elbtower kommt - das ist und bleibt ein sehr interessantes Gebäude – aber die Stadt wird dort kein Steuergeld versenken.” Die Politik könne bei der privatwirtschaftlichen Angelegenheit lediglich bei der Investorensuche helfen, doch die „stehen jetzt nicht Schlange”. Entscheidend ist, dass Signa klärt, welche Perspektiven es für konkrete Unternehmensteile und Projekte gibt – wie auch am Gänsemarkt.
Erst kürzlich mischte sich der frühere Abteilungsleiter der Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt in die städtebauliche Debatte ein, wie sich die Innenstadt und das Überseequartier besser verbinden lassen. Konkret schlug der 57-Jährige eine High Line für Hamburg nach New Yorker Vorbild vor, eine begrünte Holzbrücke über den Domplatz.
High-Lane soll HafenCity mit der Innenstadt verbinden
Doch bei der jüngsten Ideenpräsentation des runden Tisches fehlte diese Idee. „Die High Line vermissen viele. Wir brauchen für diese wichtige Verbindung etwas Innovatives, etwas Außergewöhnliches, etwas, das Frequenz reinbringt.” Natürlich müsse eine solche Verbindung finanzierbar sein. Die Kosten schätzt er auf zehn bis 30 Millionen Euro. „Das alte Konzept von etwas mehr Grün und breiteren Wegen wird hier nicht reichen. Wir brauchen einen großen Wurf.“
Der Bürgermeister habe ihm bestätigt, dass die High Line nicht vom Tisch sei. „Wer die Domachse beleben möchte, muss Gebäudestrukturen und Nutzungen etwa von Parkhäusern verändern. Die Erweiterung des Parks lässt sich schnell realisieren. Ich kann aber allen versprechen, dass wir an der High Line oder anderen Lösungen dran sind. Das ist ein mittelfristiges Unterfangen.” Das Thema werde Bestandteil des Wahlprogramms für die Bürgerschaftswahl 2025 sein.
SPD-Fraktionschef Kienscherf: Politik muss die Gegenwartsprobleme lösen
Kienscherf möchte hie und da Impulse setzen, sieht die Rolle der SPD aber eher im bodenständigen Alltag als im Wolkenkuckucksheim „Uns geht es nicht um Symbolpolitik und bunte Animationen, sondern um Realpolitik, etwa bei der Science-City.” Der Senat habe in der Stadtentwicklung und beim Schnellbahnbau die Weichen gut gestellt. Angesichts unsicherer Zeiten sei die Politik aufgerufen. zunächst die Gegenwartsprobleme zu bewältigen.
„Wir müssen zugleich Impulse für eine gute Zukunft setzen, damit die Leute sich weiterhin für die Stadt begeistern. Wir müssen uns Dinge zutrauen, die spektakulär sind. Solche Diskussionen, etwa zum Grasbrook oder zum Sprung über die Elbe, möchte ich führen.” Die Stadt habe stets davon gelebt, dass es etwas Neues und Spektakuläres gibt.
SPD-Fraktionschef Kienscherf zog von Eimsbüttel nach Hamm - und hat es nie bereut
Als Politiker kommt er viel in der Stadt herum – und wirft einen eigenen Blick auf Hamburg. „Ich weiß, welche Vielfalt Hamburg bietet und welchen Charme eher unbekannte Orte haben.” Als waschechter Hamburger ist er in Studientagen nach Hamm gezogen und hat dort Wurzeln geschlagen – ganz gegen die Zugrichtung der meisten Menschen. „Ich habe schon damals festgestellt, dass kaum Hamburger vom Westen in den Osten ziehen, genauso wenig wie vom Norden in den Süden. Das ändert sich gerade.”
Er wünscht sich, dass mehr Hamburger Neugier und Lust auf andere Quartiere mitbringen. Hamm beispielsweise habe sich deutlich gewandelt. „Das hat wenig mit Gentrifizierung, aber viel mit der Bevölkerungstruktur zu tun: Viele ältere Menschen sind gestorben, junge Leute zugezogen. Sie haben die Qualität, die Nähe zur Innenstadt, die gute Verkehrsanbindung, die wunderschönen Grünanlagen dort schätzen gelernt. Hamm zeigt, wie gut sich der Hamburger Osten weiterentwickeln kann.”
Als junger Mann war SPD-Fraktionschef Kienscherf Eugen Wagners Büroleiter
Kienscherf hat die Stadt seit über einem Vierteljahrhundert im Blick. 1995 wurde er persönlicher Referent und 1997 Büroleiter des damaligen Bau- und Verkehrssenators Eugen Wagner. In Auftritt erinnert er kaum an seinen alten Chef „Beton-Eugen”. „Damals herrschte einfach ein anderer Führungsstil. Das ginge heute gar nicht mehr.” Er habe viel von dem Senator gelernt, der 18 Jahre an der Spitze der Baubehörde stand: „Wagner tauchte morgens um neun Uhr im Büro auf und ging erst um 22 Uhr nach Hause. Ihm war wichtig, dass man fit in den Themen war, die Menschen ernst nahm, nie hochnäsig auftrat.“
Die Themen waren die gleichen: „Es ging um bezahlbare Wohnungen und einen günstigen Nahverkehr.” Manches half Kienscherf auf den Weg zu bringen – nach eigenen Worten sogar die Fahrradstadt Hamburg. „Wagner hat die erste Fahrradbeauftragte eingeführt, das erste Veloroutenkonzept aufgelegt, er hat mit dem ADFC abgetrennte Radstreifen entwickelt und einen Fahrradbeirat eingesetzt.“
SPD-Fraktionschef Kienscherf kann sich auf manchen Strecken eine Stadtbahn vorstellen
Schon damals trieb Kienscherf auch die Stadtbahn um: Ursprünglich wollte Rot-Grün eine erste Trasse von Steilshoop zum Hauptbahnhof bauen, bevor die Union nach ihrem Wahlsieg 2001 das Vorhaben kippte: Zehn Jahre später machte Olaf Scholz der schwarz-grünen Stadtbahn durch Winterhude endgültig den Garaus. Ist das Thema damit durch? „Es ist wichtig, dass wir jetzt zunächst die Schnellbahnen bauen, die geplant sind. Die SPD hat aber nie gesagt, dass es in Hamburg keine Stadtbahn geben wird. Ich würde das auch nie sagen.”
Allerdings sehe man inzwischen auf der Linie 5 eine „ganz andere Mobilitätsentwicklung” als vor 20 Jahren. „Für bestimmte Verbindungen wie die U4 oder S4 benötigen wir ausreichend Kapazitäten, die nicht über Straßen, sondern kreuzungsfrei laufen. In einer zweiten Ausbaustufe etwa über Tangentialverbindungen kann es sein, dass man an der einen oder anderen Stelle eine Stadtbahn einführt.”
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Einen anderen Satz hingegen würde Kienschert nicht mehr wiederholen. Im Abendblatt-Interview hatte er 2018 gesagt, Hamburg könnte auch 2,2 Millionen Einwohner vertragen. „Damals hatten wir eine „Das-Boot-ist-voll“-Debatte. So wollte ich die Diskussion nicht führen“, sagt er heute. „Hamburg kann zwei Millionen Einwohner vertragen und muss die Tore dann nicht schließen. Wir wollen aber nicht auf drei Millionen wachsen – und auch nicht auf 2,2 Millionen.”
Den Gedanken des Stadtforschers Thomas Sevcik, auf den Hafenflächen Stadtteile für bis zu 400.000 neue Einwohner zu bauen, lehnt der Vater eines Sohnes klar ab. „Damit machen wir die Leute verrückt. Hamburg muss nicht in einer anderen Liga spielen. Entscheidend ist, dass wir eine funktionierende Infrastruktur bereitstellen, mit sozialen Einrichtungen, ausreichend Kita- und Schulplätzen, einem leistungsfähigen Nahverkehr und ausreichend Grünflächen. Hamburg ist eine wunderschöne Stadt – und soll es bleiben.”
Fünf Fragen an SPD-Fraktionschef Dirk Kienscherf
- Meine Lieblingsstadt ist: Zugegeben wenig überraschend, Hamburg.
- Mein Lieblingsstadtteil ist: Hamm. Ursprünglich komme ich aus Eimsbüttel und bin dann wegen der günstigen Mieten als Student in den Osten gezogen. Hamm ist ein wunderschöner Stadtteil mit einem ganz eigenen Charakter, sehr grün und sehr ehrlich. Den Spruch „Billstedt, Hamm und Horn erschuf der liebe Gott im Zorn“ fand ich immer schon selten blöd.
- Mein Lieblingsort ist: Steinwerder, genauer, der südliche Ausgang des alten Elbtunnels. Von dort hat man einen hervorragenden Blick auf die Silhouette der Stadt.
- Mein Lieblingsgebäude ist: das Rathaus. In diesem wunderschönen Gebäude wollte ich immer sitzen und arbeiten. Dass ich das jetzt wirklich machen kann, ist fantastisch.
- Einmal mit der Abrissbirne würde ich: die Bundesbank-Hauptverwaltung an der Willy-Brandt-Straße beseitigen. Auch wenn manche den Bau aus den 70er-Jahren toll finden mögen, für mich bleibt er ein Monstrum, das sich nicht einfügt.