Hamburg. Ole von Beust regierte die Stadt von 2001 bis 2010. Nun schlägt der CDU-Politiker Alarm: Die Stadt spielt mit ihrem Wohlstand.

Neun Jahre war Ole von Beust Bürgermeister der Freien und Hansestadt – mit seiner Amtszeit werden stets die Entscheidung für den Bau der Elbphilharmonie und das Leitbild der Wachsenden Stadt verbunden bleiben, aber auch der verpasste Wiedereinstieg in den Wohnungsbau und die HSH-Nordbank-Krise. Ole von Beust hat die Stadt geprägt – und im Juli 2010 aus freien Stücken seit Amt zur Verfügung gestellt.

„Ich werde bis heute vielerorts daran erinnert, was wir damals angestoßen haben und was bis heute realisiert wird, zum Beispiel der Ostteil der HafenCity mit dem höheren Anteil an Sozialwohnungen oder dem Park am Wasser.“ Stolz ist er auf die Uferpromenade an den Landungsbrücken – oder die Neugestaltung des Jungfernstiegs 2006. Die Elbphilharmonie nennt er erst auf Rückfrage. „Natürlich freue ich mich über das Konzerthaus. Es ist phänomenal, wenn man an der Alster die Elbphilharmonie wie einen Diamanten leuchten sieht. Die Idee, ein neues Wahrzeichen zu bauen, das die Menschen in Hamburg stolz macht und viele in die Stadt lockt, ist hundertprozentig aufgegangen.“

„Es gab keine Salamitaktik bei der Elbphilharmonie“

Das Gerücht, der Senat habe damals die Kosten zu optimistisch geplant, um damit die Umsetzung zu ermöglichen, weist der 68-Jährige zurück. „Damals war ich vielleicht argloser. Es gab eine Welle der Veränderung, eine Aufbruchsstimmung in Hamburg. Dass die Kosten so aus dem Ruder laufen, hätte ich nicht gedacht.“

2001 begeisterte eine Skizze des gläsernen Konzerthauses die Stadt, 2007 beschloss die Bürgerschaft den Bau. Doch die ursprünglich kalkulierten Kosten von 77 Millionen Euro kletterten auf 866 Millionen Euro, die Eröffnung verschob sich von 2010 auf 2017. „Es gab keine Salamitaktik, erst Stück für Stück die Kosten offenzulegen. So etwas kommt immer raus. Ich bekomme bis heute Post von Leuten, die sich bedanken. Aber Hamburg ist viel mehr als die Elbphilharmonie.“

Es gibt den Satz, dass es einen Ole von Beust brauchte, um die Elbphilharmonie zu bauen, und einen Olaf Scholz, um sie fertigzustellen. Der Altbürgermeister widerspricht nicht: „Das stimmt. Scholz konnte unbelastet anfangen und Dinge lösen, die wir aufgrund der Vertragsbeziehungen und einer gewissen Verkantung nicht mehr so leicht angehen konnten.“ Er lobt seinen Nachnachfolger: „Das hat er vernünftig hingekriegt.“

Warum Ole von Beust heute nicht mehr in die Politik gehen würde

Von Beust sieht einen grundsätzlicheren Wandel: „Ich glaube, dass Politik die Arglosigkeit und die Spontanität verliert. Früher wurde ihnen ein falsches Wort verziehen. Heute genügt der Hauch eines Fehlers, um eine unglaubliche Empörung auszulösen.“ Das führe dazu, dass Politiker immer vorsichtiger, alle Ecken und Kanten abgeschliffen werden und jede Spontanität und Lebensfreude auf der Strecke bleibe.

Er würde nicht noch einmal in die Politik gehen: „Heute fehlt mir das dicke Fell. Ich habe den Rücktritt nie bereut. Das war auch keine spontane Idee, sondern geplant. Man hat in der Politik eine gewisse Halbwertszeit, und nach zwei Legislaturperioden reicht es oft.“ Vermutlich würde die Kanzlerschaft von Angela Merkel bei einem früheren Rücktritt heute anders bewertet, sagt Ole von Beust. Der Grund sei simpel: „Man wird am Ende immer mutloser. Auf der einen Seite hängt man an dem Amt, weil es das Leben bestimmt. Auf der anderen Seite schwindet der Mut, neue Dinge anzupacken, weil man immer auf Widerstand trifft. Neue Besen kehren gut, alte Besen stehen nur noch an der Wand.“

Zwei Fehler in seiner Amtszeit ärgern ihn bis heute

Im Podcast gibt sich der CDU-Politiker, der 2004 die absolute Mehrheit der Sitze errang, selbstkritisch: „Ich ärgere mich über zwei Fehler: Wir haben zu spät die wachsende Nachfrage nach Wohnungen erkannt.“ Zu Beginn seiner Amtszeit 2001 standen in Hamburg viele Wohnungen leer, die Saga beklagte Leerstände. „Diese Zeit hat uns geprägt, wir haben nicht schnell genug reagiert, als das Angebot knapp wurde.“ Den größeren Fehler sieht er in der Schulreform, die 2008 die Stadt spaltete. Schwarz-Grün hatte sich auf die Einführung einer sechsstufigen Primarschule geeinigt, die dann an einem Referendum scheiterte.

„Aus meiner Sicht ist die Idee des längeren gemeinsamen Lernens nach wie vor richtig, das Verfahren war aber zu schnell“, sagt der Absolvent des Walddörfer-Gymnasiums. „Leider haben wir mit der Strukturreform, die ans Eingemachte ging, viele Eltern, Schüler und Lehrer verunsichert. Im Bestreben, es schnell und unumkehrbar zu machen, haben wir uns zu wenig Zeit genommen. Wir hätten mehr mit den Leuten reden und Ausnahmeregelungen etwa für die altsprachlichen Gymnasien zulassen müssen. Es war ein Fehler, mit der Drahtbürste über diese Sorgen hinwegzugehen.“

Warum sich Schwarz-Grün damals eingbunkert hat

Schwarz-Grün habe zeigen wollen, dass man Dinge bewegen kann. Hinzu kam „eine gewisse Bunkermentalität“: „Wir haben den Widerstand in der Stadt gesehen und die Bürgerinitiative, wir wollten aber nicht wahrhaben, dass sie vielleicht ausdrückt, was die Mehrheit denkt. Wir haben die Zeichen an der Wand nicht gesehen. Wenn man lange in der Politik dabei ist, führt es leicht dazu, dass man sich einbunkert.“

Bis heute findet Ole von Beust es richtig, 2001 gegen alle Widerstände mit der FDP und der populistischen Schill-Partei ein Bündnis einzugehen: „Es war wichtig, dass nach 44 Jahren SPD etwas Neues kommt. Der Wechsel war notwendig, und ich sage es ganz freimütig: Ich wollte nach acht Jahren als Oppositionsführer Bürgermeister werden. Wenn man diese Chance nicht nutzt, ist man in der Politik falsch aufgehoben. Einen gewissen Machtwillen braucht man.“ Er habe Schill als Anwalt aus der gemeinsamen Bürogemeinschaft gekannt. „Er hatte seine skurrilen Seiten, konnte aber auch ein charmanter, netter Typ sein. Ich hatte gedacht: Irgendwie kriegt man das in den Griff. Ich hatte vermutet, seine Macken würden sich mit dem Amt wegschleifen. Da habe ich mich geirrt.“

Die Koalition mit Ronald Schill hält er weiterhin für richtig

Die 19,4 Prozent der Schill-Partei bei der Bürgerschaftswahl 2001 erklärt er so: Mit seiner Ausstrahlung habe der Parteigründer die Leute begeistert. „Er stand als ehemaliger Strafrichter für einen Kurswechsel bei der inneren Sicherheit, die Rot-Grün überhaupt nicht ernst genommen hatte“, so von Beust. Viele hätten der CDU als ewiger Oppositionspartei nicht zugetraut hat, das allein zu ändern.

Das ungleiche Trio erfand für die Stadt ein neues Leitbild. Hamburg sollte fortan Wachsende Stadt sein. „Hamburg galt als verfilzt, kam nicht voran. Jahrzehntelang wurde über den Spielbudenplatz diskutiert, den ZOB in Bergedorf oder die Drogenszene am Hauptbahnhof – aber nichts ist passiert. Die Leute hatten den Wunsch, dass der Knoten endlich platzt.“ Das habe auch für die Verwaltungen gegolten, in denen zu 80 Prozent Sozialdemokraten saßen, die nun aber ohne Parteitagsbeschlüsse eigene Ideen einbringen konnten. Plötzlich entstand eine Aufbruchstimmung in Hamburg.

Die Baustelle der Elbphilharmonie – das Konzerthaus wurde erst bejubelt, dann gehasst und heute wieder geliebt.
Die Baustelle der Elbphilharmonie – das Konzerthaus wurde erst bejubelt, dann gehasst und heute wieder geliebt. © www.blossey.eu / FUNKE Foto Service | Hans Blossey

Heute sei Hamburg wieder zurückgefallen: „Es fehlt aus meiner Sicht die Diskussion, wohin die Stadt möchte, eine Vision, die man diskutieren kann.“ Das sei nicht nur ein Hamburger Problem, sondern ein Manko der Bundespolitik: „Alle wissen, es gibt riesige Schwierigkeiten wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Art, aber keiner will den Knoten durchschlagen. Es herrscht im Moment eine eigenartige Stimmung, auf der einen Seite eine extreme Unzufriedenheit, auf der anderen Seite die Verweigerung, überhaupt über Änderungen und Ziele nachzudenken. Das ist ein gefährlicher Zustand.“

Warum die Olympiabewerbung gleich zweimal scheiterte

Ole von Beust bedauert, dass 2015 die Bewerbung für Olympische Sommerspiele an den Bürgern scheiterte – so wie der Olympia-Traum 2003 an der Konkurrenz von Leipzig platzte. „Wir waren damals zu selbstverliebt und haben übersehen, dass auf bundespolitischer Ebene eine Kampagne für Leipzig lief. Die haben die Strippen besser gezogen.“

Die Ablehnung in der Volksabstimmung im November 2015 führt er auf eine Stimmung zurück, die er mit „wir hier unten, ihr da oben“ charakterisiert. „Die Kampagne kam nur von oben – und war aus meiner Sicht völlig falsch. Die Menschen waren misstrauisch, weil die führenden Zeitungen, die Kammer, die Gewerkschaft, die Parteien dafür waren. Es war eine Kampagne derer, die meinten, sie haben in der Stadt das Sagen. Das ist schiefgegangen.“

Hamburg hat nach Ansicht von Ole von Beust die falschen Konsequenzen aus dem Olympia-Debakel gezogen: „Die politische Führung hätte danach neue Dinge entwickeln müssen, um die Entwicklung Hamburgs voranzubringen. Das ist nicht geschehen.“ Es sei wie im richtigen Leben: „Wenn ich nur vor mich hin daddle, komme ich nicht voran.“

Warum Hamburg keine Weltstadt ist – und auch keine sein muss

Zuletzt hat Ole von Beust mit seinem Partner einige Jahre in Berlin gelebt, inzwischen ist er in seiner Heimatstadt zurückgekehrt. Ein Interview im Abendblatt 2019 schlug Wellen, in dem er befand: „Hamburg diskutiert, ob es eine Weltstadt ist, Berlin ist es!“ „Das stimmt nach wie vor. Wir sind eine Welthandelsstadt, aber haben nicht die internationale Ausstrahlung wie Berlin. Man muss auch keine Weltstadt sein. Für die Lebensqualität ist es manchmal schöner, ein Level darunter zu bleiben.“

Hamburg könne durchaus von Berlin lernen, etwa das Offenlassen von Arealen. „In der Hauptstadt gibt es Gebiete, in denen sich unangepasste Menschen entfalten und über Jahre leben können. In Hamburg wäre dort vermutlich längst ein Glaspalast gebaut worden. Eine Stadt braucht Freiräume für Menschen, die mit dem bürgerlichen Leben nichts zu tun haben, wo es billig ist, manchmal auch ein bisschen schmutzig. Dort bekommt eine Stadt den Input, um beweglich und flexibel zu bleiben. Berlin hat nach wie vor solche Stellen. Hamburg nicht.“

„Umgang mit Klaus-Michael Kühne ist ein Fehler“

Wo sieht Ole von Beust, der neun Jahre im Rathaus regierte, seine Heimat in der Zukunft? „Wenn wir es gut machen, sind wir die Stadt in Deutschland, die noch vor München wirtschaftlich, kulturell, gesellschaftlich führend ist. Wenn wir es schlecht machen, geht es weiter abwärts. Deshalb muss die Weichenstellung jetzt erfolgen.“

Er hält den Umgang mit Klaus-Michael-Kühne für einen Fehler des Senats – so wurde sein Angebot, bei der HHLA einzusteigen, zurückgewiesen, auch weil man bereits mit MSC verhandelte. Als Mäzen und Sponsor sei Kühne ein Gewinn für die Stadt. „Sie müssen solche Leute pflegen, einbeziehen, essen gehen, diskutieren. Die Tür zuzuschlagen ist der falsche Weg!“

Braucht Hamburg die Oper? „Es wäre für die Entwicklung der Stadt, die HafenCity und den Sprung über die Elbe gut, ein weiteres Highlight zu bekommen. Ein interessantes, inhaltlich gut bespieltes, kulturelles Bauwerk wäre ein Riesengewinn für die Stadt“, sagt von Beust, der sich selbst nicht als Operngänger beschreibt. Eine Einschränkung macht er: „Wir müssen ein Gleichgewicht finden zwischen der alten City und dem neuen Überseequartier.“

Von Beust über „Bilder des Jammers“ in der Stadt

Scharf kritisiert er die Verwahrlosung des öffentlichen Raums: „Das Umfeld des Hauptbahnhofs mit dem Drob-Inn ist eine einzige Katastrophe. Ich kann Rot-Grün nur warnen: Die Leute merken es. Leerstand, Obdachlosigkeit, Bettelei und Drogenmissbrauch verbunden mit einer Krise des Einzelhandels gefährden unsere City. Und diese Krise wird verschärft durch eine falsche Verkehrspolitik, die Autofahrer vertreibt. Das macht andere Einkaufsviertel noch interessanter.“ Man müsse die Probleme rasch lösen.

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„Noch haben wir nicht die Zustände von 2001“, sagt Ole von Beust in Bezug auf die damals haarsträubenden Verhältnisse am Hauptbahnhof. „Aber wir sind auf dem Weg dahin. Wenn die Menschen ihre Stadt als unwirtlich empfinden und sich bedroht fühlen, gerät etwas ins Rutschen. Steigen sie am Hauptbahnhof aus, sehen sie sich die Spitalerstraße oder die Steinstraße an: Das ist besorgniserregend.“ Das Drob-Inn biete ein Bild des Jammers, menschlich für die Abhängigen, aber auch eine Katastrophe für das Entree der Stadt und die Kunstmeile. „Es gibt kein Problem, das unlösbar ist. Man hat zu lange weggeguckt und gehofft, es wird schon irgendwie gut gehen.“

Sorgen macht sich der CDU-Politiker auch um die wirtschaftliche und industrielle Basis der Stadt: „Mit der Hilfe unserer Senate haben wir Beiersdorf in Hamburg vor einer Übernahme gerettet, Hapag-Lloyd davor bewahrt, in asiatische Hände zu gelangen und Aurubis hier gehalten. Damals wurden wir von sogenannten Ordnungspolitikern scharf kritisiert. Aber die Entscheidungen waren richtig.“

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Auch den Bau des Kohlekraftwerks in Moorburg hält er bis heute für vernünftig: „Wir wollten in Hamburg damals lokal eine sichere und bezahlbare Energieversorgung. Heute halten das einige nicht mehr für wichtig, aber für Gewerbe und Industrie ist es eine Existenzfrage.“ Die Stadt, so fürchtet der Jurist, spiele mit ihrem Wohlstand: „Ich mache mir wirklich Sorgen um Hamburg: Nach außen ist alles schön, und ich genieße es, durch die Stadt zu gehen. Aber unter der Oberfläche brodelt es.“

Hamburg brauche mehr Vitalität, einen neuen Schub. Die Vehemenz, mit der er das einfordert, klingt, als laufe sich da jemand noch einmal für die Politik warm. „Nein“, winkt Ole von Beust ab. „Ich bin 68 Jahre alt, dann soll man auch mal sagen: Es reicht.“