Hamburg. Bei einer Hafenrundfahrt in Hamburg diskutieren Ingenieure und Architekten über die klügste Querung – und zeigen einen Weg auf.
Der Ort hätte passender nicht sein können. Auf einer Hafenrundfahrt mit der MS „Commodore“ ging es auf Einladung der Hamburgischen Architektenkammer und der Hamburgischen Ingenieurkammer-Bau um die Zukunft der Köhlbrandquerung. Und das Podium war so zusammengestellt, dass die Debatte schon begann, bevor die Barkasse ablegte.
„Komplizierte Probleme brauchen magische Orte“, sagte Karin Loosen, die Präsidentin der Hamburgischen Architektenkammer. Und Peter Bahnsen, Präsident der Hamburgischen Ingenieurkammer-Bau, betonte: „Bei einem solchen Projekt muss die Stadtgesellschaft einbezogen werden.“ Die Köhlbrandbrücke sei ein Ort wie Rathaus, Michel oder Elbphilharmonie.
Rieseninteresse an der Diskussionsveranstaltung
Dass er damit nicht falsch lag, zeigte das enorme Interesse an der Veranstaltung, bei der 150 Personen an Bord waren und über 200 Personen auf der Warteliste – und das noch enormere Sitzfleisch. Zweieinviertel Stunden diskutierte man über die Zukunft der Köhlbrandbrücke. Wobei die Experten der HPA sehr offen und kompetent über die arg begrenzte Halbwertszeit der Brücke sprachen. Angesichts von 100.000 Schäden beschlich manche ein mulmiges Gefühl, als die Barkasse die Brücke passierte.
Zugleich war das Gutachten von 2008, das im Sommer die Stadt bewegt hatte, kein großes Thema mehr. „Das Gutachten ist nicht mehr viel wert“, sagte Prof. Marcus Rutner von der TU Hamburg. „Die Lasten erhöhen sich, man kann die Maßnahmen nicht ewig fortführen.“ Ähnlich bewertet es die HPA. „Heute haben wir Schäden, die es 2008 noch nicht gab. Die Brücke ist nicht zu halten“, sagte Olaf Bergen von der HPA. Es gebe Risse in allen Baukörpern.
Köhlbrandbrücke: „Wir bekommen dieses Bauwerk nicht saniert“
„Wir bekommen diese Brücke nicht saniert“, betonte er. Das sei keine Frage der Wirtschaftlichkeit, sondern der Möglichkeiten. „Im vergangenen Jahr hatten wir vier Vollsperrungen am Wochenende, 2023 werden wir fünf und im nächsten Jahr sechs Vollsperrungen benötigen, gegebenenfalls sogar eine Woche.“ Auf mehrfache Nachfragen machte der Leiter der Technischen Abteilung der HPA klar: „Die Brücke lässt sich insgesamt nicht instandsetzen.“ Nur wenn man den Schwerlastverkehr herunternähme, ergäben sich noch einige Jahrzehnte Lebenszeit.
Zugleich wurde klar, wie aufwendig die neue Köhlbrandquerung wird: Hier laufen vier Teilprojekte zusammen – der Neubau und der Rückbau sowie die beiden Knoten in Neuhof und Waltershof. Die Kostenexplosion beim Tunnel geht auf Probleme im Baugrund zurück. Während die Ingenieure einen homogenen Baugrund erwartet hatten, zeigte sich unterhalb des Köhlbrand eine eiszeitliche Rinne. Im Klartext: Der Tunnel muss tiefer werden – und teurer.
In Kürze wird sich entscheiden, welche Variante am wahrscheinlichsten verwirklicht wird, ein Tunnel, eine abgespeckte Variante oder doch der Neubau einer Brücke. „Wir prüfen ergebnisoffen“, stellte Bergen klar. Die Untersuchungen sollen zum Jahreswechsel abgeschlossen sein und eine politische Entscheidung im ersten Quartal 2024 ermöglichen.
„Die größeren Lkw machen den Brücken gerade aus den 60er- und 70er-Jahren zu schaffen“
Tomas Buhr, Leiter Öffentliche Infrastrukturanlagen der HPA, verdeutlichte, warum die Köhlbrandbrücke viel schneller an ihr Ende kommt, als bei der Fertigstellung 1974 erwartet. Die für 31.000 Fahrzeuge ausgelegte Brücke muss heute täglich 37.000 bis 38.000 Fahrzeuge tragen. Schlimmer noch: Die Zahl der Lkw liegt mit 13.000 weit über den Planungen, zudem sind die Brummis deutlich schwerer als vor einem halben Jahrhundert. „Die größeren Lkw machen den Brücken gerade aus den 60er- und 70er-Jahren zu schaffen“, so Buhr. Das Bauwerksmonitoring zeige immer neue Schwächen, die Brücke gleiche an der Unterseite einem Flickenteppich.
Der Mittelteil gilt wegen Ermüdung als das schwächste Glied. „Wir haben die Schäden. Und die Schäden gehen weiter. Da haben wir ein dauerhaftes Problem.“ Die voraussichtliche Nutzungsdauer liege bei nur noch 12 Jahren. Deshalb gilt seit 2012 auf der Brücke ein Überholverbot und seit 2019 ein Abstandsgebot. „Weitere Maßnahmen könnten die Sperrung einzelner Fahrstreifen sein oder eine Gewichtsbegrenzung.“ Buhr weiter: „Meine Sorge ist, ob wir es schaffen, die Köhlbrandbrücke bis zur neuen Querung in Betrieb zu halten. Denn es gibt im Hafen keine leistungsfähige Umleitung.“
Läpple stellt die Milliardeninvestitionen im Hafen infrage
Hätte nicht Dieter Läpple danach das Wort ergriffen, die Barkasse hätte gleich beidrehen können. Ende der Debatte? Keineswegs. Der Stadtforscher warb eindringlich für einen „Pfadwechsel in der ökonomischen Entwicklung“ der Stadt: „Hamburgs Wirtschaft ist nicht zukunftsfähig. Der Hafen war die Grundlage des Reichtums und ist nach wie vor prägend.“ Aber die Häfen hätten sich tiefgreifend verändert. „Heute sind die Arbeitsplatzeffekte kaum noch nachweisbar.“
Deshalb müsse die Stadt neue Pfade beschreiten, zukünftig auf Forschung, Entwicklung und Innovation setzen. Die Milliarden für die Köhlbrandquerung, Elbvertiefung und Kaimauern fehlten für Zukunftsinvestitionen. Die Chancen des Hafens lägen anderswo. „Hamburg verfügt über Flächenreserven wie keine andere europäische Stadt, aber das Hafenentwicklungsgesetz blockiert alles.“
In eine ähnliche Richtung argumentierte der Architekt Volkwin Marg: „Der Umgang mit diesem größten deutschen Industriegebiet ist blind. Was einmal Hafen war, muss nicht immer Hafen bleiben“, betonte er. Er forderte, die Stadtplanung und die Hafenplanung zusammenzubringen. Zugleich stellte er aber klar: „Hamburg ist der letzte Flusshafen in der Welt, das ist kein Handicap, sondern hat eine ästhetische Wucht.“
SPD-Fraktionschef widerspricht den Stadtplanern
Widerspruch kam erwartungsgemäß von Dirk Kienscherf, dem Vorsitzenden der SPD-Fraktion. Er verwies auf die enormen Investitionen in die Wissenschaft etwa in Exzellenzcluster oder die Science City Bahrenfeld. „Aber auch der Hafen ist wichtig. Wir müssen ihn fortentwickeln, ein Abgesang bringt keinen weiter.“ Als Politiker muss er nicht nur das Wünschenswerte, sondern auch das Mehrheitsfähige im Auge behalten.
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Große Einigkeit herrschte dann bei der Schutzwürdigkeit der Köhlbrandbrücke: Der frühere Oberbaudirektor Prof. Jörn Walter forderte zum Handeln auf und regte eine Art „Köhlbrandingenieursbund“ mit kompetenten Experten an. „Da sind wir alle Laien. Die Politik benötigt aber kompetente Auskünfte. Alles muss zum Erhalt getan werden, solange es eben geht. Den Michel reißen wir auch nicht ab, wenn wir Schäden haben.“
Er wies einen möglichen Weg, Denkmalschutz und Hafeninteressen zusammenzubringen. „Der Neubau kann nur ein Klon sein, er muss wieder so aussehen. Das ist ein Wahrzeichen.“ Damit konnte sich auch Kienscherf anfreunden: „Das wäre doch ein wunderbares Ergebnis, wenn wir die Brücke wieder so aufbauen, vielleicht nur etwas höher“, sagte er. „Eigentlich lieben wir alle diese Brücke.“
Auf diese Liebeserklärung konnten sich dann alle einigen.