Hamburg. Vor 50 Jahren wurde für das Allianz-Gebäude der Grundstein gelegt. Zeitgenossen feierten den Bau, nun zerfällt er zu Staub.

So sah vor einem halben Jahrhundert die Zukunft aus: Sie strebte in die Höhe, leuchtete in elegantem Edelstahl und sprengte mit Wonne die Maßstäbe von gestern. Um der Moderne aus Glas und Stahl eine Schneise zu schlagen, musste das Gewachsene weichen. Am Großen Burstah wurde nicht nur das prächtige Gertighaus, sondern mit der Bohnenstraße ein ganzes Stück Stadt abgeräumt. Und fast alle waren glücklich.

Am 27. März 1968 lud die Allianz-Versicherung zur festlichen Grundsteinlegung, sogar Bürgermeister Herbert Weichmann erschien auf der Baustelle. Das Abendblatt freute sich: „Fahnen, Musik und eine große Festveranstaltung kündigten gestern neben der alten Nikolaikirche an, dass dieser Teil der Hansestadt neue Gestalt annehmen wird.“

Gebäude wuchs auf 15 Geschosse

Die graphitgraueloxierte Leichtmetallverkleidung, umlaufende Balkone und vollklimatisierte Großraumbüros machten den Bau sehr modern. Die neue Zeit war nicht nur wegen ihres Materials mit Händen zu greifen, sondern wuchs auch mit insgesamt 15 Geschossen in die Höhe. Zwar hatte die Baubehörde weiterem Himmelssturm eine Absage erteilt und gefordert, unter dem Helmansatz der Kirchtürme zu bleiben, doch das Gebäude schob sich störend in die Stadtsilhouette. Der Silberling bedrängte das Rathaus für den Betrachter an der Alster.

Das durchaus anspruchsvolle Hochhaus bot alles, was die Zeit ersehnte. Zwei der drei Kellergeschosse beherbergten die Tiefgarage, das dritte das umfangreiche Archiv der Versicherung. Im Erdgeschoss entstanden eine Passage und zwölf Läden, darunter eine Modeboutique, ein Hutgeschäft, ein Juwelier und ein Restaurant. Die „Colonnaden“ an den Straßenfronten, so versicherten die Planer, würde auch bei Hamburger Wetter zum Bummel laden. Der Große Burstah sollte an seine große Vergangenheit als beliebteste Einkaufsmeile der Innenstadt anknüpfen.

Die Allianz setzte auf einen renommierten Architekten, der in Hamburg schon wichtige Bauten errichtet hatte: Professor Bernhard Hermkes, der die Grindelhochhäuser mitplante, die Kennedybrücke, das Audimax der Universität oder die Großmarkthalle in Hammerbrook. Der Verwaltungsbau für die Allianz war das letzte große Werk Hermkes’, der bei der Vollendung 68 Jahre alt war.

Keine Proteste gegen Abriss

Bald ist es Geschichte, seit einigen Monaten tragen Abrissarbeiter Etage für Etage ab. Ein solcher Umgang mit dem architektonischen Erbe hätte anderswo vermutlich Proteste heraufbeschworen, in Hamburg blieb es ruhig. Zum Verhängnis wurde dem Silberling nicht nur seine Überdimensionierung für den Straßenraum, sondern auch der Verfall in den letzten Jahren. „An jeder anderen Stelle in der Stadt müsste man für dieses Gebäude kämpfen. Es ist ein Meisterwerk der Nachkriegsmoderne, ein großer Wurf, der aber heute wirkt wie ein Fremdkörper“, sagte der Architekt ­André Poitiers kürzlich der „Welt“.

Die Zeiten haben sich geändert, nicht nur in der Stadtplanung, sondern auch in der Versicherungswirtschaft. 1963, als sich die Allianz zu einem Neubau entschloss, wollte der Konzern seine Beschäftigten aus verschiedenen Gebäuden in einer Niederlassung zusammenführen. 1971, bei der Fertigstellung, fanden alle 1750 Mitarbeiter des Innendienstes am Standort Großer Burstah eine neue Heimat. Im neuen Jahrtausend war das Gebäude längst zu groß – und nicht mehr zeitgemäß.

Die Allianz kokettierte lange mit einem Umzug in einen Neubau nach Oststeinbek, ließ sich dann aber 2010 von Bürgermeister Ole von Beust und der Hamburgischen Gesellschaft für Wirtschaftsförderung in die City Nord locken. 2012 siedelte die Allianz schließlich in die ehemalige Esso-Zentrale um – und am Großen Bur­stah begann die Immobilie zu verfallen.

Haus mit Terrakottafassade geplant

Der Stolz der 60er wurde rasch zum Refugium der Gestrandeten. Immer mehr Obdachlose sammelten sich in dem Bürobau oder übernachteten vor den verwaisten Ladenflächen. Vandalismus setzte dem Silberling zu. Schließlich wurden die Eingangsbereiche eingezäunt, um Obdachlose fernzuhalten. Einen Steinwurf vom Rathaus entfernt wähnte man sich in Kaliningrad.

Je weiter der Verfall voranschritt, so einfacher wurde der Abriss. Zumal der Architektenwettbewerb 2014 wie ein Versprechen auf eine bessere Zukunft wirkte: Die Neugestaltung der Fläche bis hin zum Nikolaifleet ist Stadtreparatur. Schon jetzt, da nur noch zwei Stockwerke des einstigen Allianzhauses auf den Presslufthammer warten, erschließt sich der Blick auf verborgene Schönheiten – St. Nikolai, die Patriotische Gesellschaft an der Trostbrücke und den Globushof.

Direkt am Großen Burstah plant das Londoner Büro Caruso St. John ein Haus mit Terrakottafassade, dessen gestaffelt-spitze Ecke ans Chilehaus erinnern soll. Der Investor, die Commerz Real, will insgesamt mehr als 200 Millionen Euro in das Quartier „Burstah Ensemble“ investieren, an dem mit Störmer, Murphy and Partners sowie Biwermau weitere Hamburger Hochkaräter mitbauen. Hier sollen bis 2019 Büros, Einzelhandel und Gastronomie Platz finden, zum Wasser hin 62 Wohnungen entstehen.

Innenstadt bekommt alte Bohnenstraße zurück

Auch ein Hotel der gehobenen Klasse mit 155 Zimmern ist geplant. Dabei wird die historische Bohnenstraße, die durch die Allianz-Immobilie überbaut war, wieder freigelegt. „Dieses neue Quartier bedeutet einen Meilenstein für die Entwicklung des Großen Burstah“, versprach der ehemalige Oberbaudirektor Jörn Walter. „Die Architekten haben ein Gebäude ganz eigenständiger Architektur für diese prominente Lage entworfen.“

Zugleich versprach er nicht weniger als die „Wiederherstellung der historischen Bezüge rund um die Nikolaikirche“. Das Ensemble sei ein wichtiger Beitrag für eine bessere Verbindung von Nord nach Süd in Richtung Katharinenviertel und Speicherstadt. „Damit rückt der Hopfenmarkt wieder ein Stück näher an die Stadt heran.“

Große städtebauliche Erwartungen hegten indes auch die Planer in den 60er-Jahren. Damals sollte das Hochhaus nicht nur den Großen Burstah aus seiner Randlage holen, sondern auch den Hopfenmarkt, den alten Nikolaiturm und das Hochhaus der Landeskirche aufwerten. Der Plan scheiterte.