Hamburg. Der Ökonom Henning Vöpel hat sich mit dem Hamburg Konvent für neue Strategien starkgemacht. Die Zukunft sieht er in der Wissenschaft.
Es gibt kaum einen Wissenschaftler, der so intensiv über seine Heimatstadt nachgedacht hat: Von 2014 bis 2021 leitete er als Direktor das Hamburgische Weltwirtschaftsinstitut HWWI, er war einer der Ideengeber des Innovationscampus Hammerbrooklyn. Und gemeinsam mit Nikolas Hill und Michael Göring initiierte er 2020 den Hamburg Konvent, der neue Impulse für das Wachstum der Stadt gegeben hat. Henning Vöpel ist ein Vordenker in Sachen Hamburg. Und ein Kritiker aus Liebe. Zwar arbeitet er inzwischen in Berlin und Freiburg, er wohnt aber weiterhin an der Alster.
„Die Stadt ist außerordentlich wohlhabend und schön. Hamburg kann aber mehr.“ Auf Initiative des Konvent kamen verschiedene Experten in die Stadt, die ihre Zukunftsideen geteilt haben. „Das hat unglaublich viel Spaß gemacht“, sagt der jetzige Leiter des Centrums für europäische Politik.
„Ob wir das Ziel erreicht haben, ist schwer zu beurteilen. Das Beharrungsvermögen ist ziemlich ausgeprägt, Hamburg ist sich selbst genug. Man wähnt sich in der schönsten Stadt der Welt, erfreut sich an der Dynamik und den vielen Touristen, die kommen. Trotzdem haben wir mit dem Konvent aufgezeigt, dass es noch Potenziale gibt, die geweckt werden können.“
In einer Welt der Umbrüche müssen sich auch Städte wandeln
Der VWL-Professor verweist auf einen alten Satz der Systemtheorie: „Wenn etwas zu lange stabil gewesen ist, dann wird es plötzlich instabil.“ Die Weltlage deute darauf hin, dass wir nicht nur einen Strukturwandel erleben, sondern viele parallele Strukturbrüche. „Die künstliche Intelligenz und die Digitalisierung verändern alles. Hinzu kommt das Thema Nachhaltigkeit – wir müssen mit unseren Ressourcen viel sparsamer umgehen. Und wir erleben geopolitische Konflikte, die unsere Welt instabil gemacht haben. Darauf muss die Stadt reagieren. Nichts ist garantiert für die Zukunft.“ Vöpels Forderung lautet: Hamburg muss agiler werden, vitaler, ambitionierter. „Wir unterschätzen die Veränderungen, die vor uns liegen. Darin aber liegen Chancen.“
Vöpel wünscht sich dabei mehr Engagement von Bürgermeister Peter Tschentscher. „Es mag an seinem Beruf liegen, dass er die Stadt ein wenig als Patienten betrachtet. Hamburg ist aber kein Patient, sondern ein Lebenskünstler. Wir müssen die Stadt nicht therapieren, sondern mobilisieren für ihre eigene Zukunft.“
Hamburg hat Stärken – aber spielt sie nicht immer aus
Dabei sieht der 51-Jährige durchaus Stärken: „Gäste loben immer wieder die gut funktionierende Stadt. Da ist Hamburg anders als Berlin, die manchmal wie eine Failed City anmutet. In Hamburg arbeiten die Behörden professionell, die Infrastruktur und die öffentlichen Dienstleistungen funktionieren gut.“ Hinzu kämen Fortschritte in Bildung und Wissenschaft und gute Ansätze in der Industrie.
Zugleich kritisiert Vöpel aber eine Fixierung in der Wirtschaft und der Politik auf den Hafen: „Der Hafen droht mittlerweile zu einem Bremsklotz zu werden. Die wirtschaftlichen Entwicklungspotenziale sind mehr oder weniger ausgeschöpft. Deshalb würde ich nicht für die nächsten 100 Jahre auf den Hafen setzen.“ Der Wohlstand müsse aus anderen Quellen kommen.
„Wir müssen in Köpfe statt in Container investieren“
„Wir wissen aus der Stadtforschung, dass eine Stadt von ihren Infrastrukturen und Netzwerken lebt. Es lässt sich nicht alles planen, Städte leben auch vom Zufall. Dieser Zufall steckt in den Menschen, in ihren Ideen, hier liegt das Potenzial, das man heben muss. Wir müssen in Köpfe statt in Container investieren.“ Städte waren immer Avantgarde, und so wünscht sich Vöpel mehr Dynamik, mehr Aufbruch, mehr Lebendigkeit. „Eine Stadt muss in wesentlichen Teilen unfertig bleiben, muss eben auch Freiräume schaffen.“
Städte sind Anziehungspunkte für Ideen und Talente
Vöpel versteht das Beharrungsvermögen sehr wohl. „Es ist schwer, sich von etwas loszusagen, das sich über Jahrzehnte und Jahrhunderte gut entwickelt hat. Der Hafen bleibt wichtig, aber er ist nicht mehr der einzige und schon gar nicht der wichtigste Pfad, auf dem wir mit dieser Stadt in die Zukunft gehen.“ Der 51-Jährige verweist auf die enormen Investitionen, die jetzt im Hafen anstehen, und fordert, diese umzulenken.
„Die Milliarden, die jetzt in den Hafen fließen sollen, könnte man besser in Zukunftsfelder investieren. Da muss man den Mut haben, zu klotzen. Hier mal ein bisschen Quantencomputing, ein bisschen Nachhaltigkeit, ein bisschen Wasserstoff wird nicht reichen. Wir müssen klotzen, nicht kleckern. Wir stehen am Anfang von neuen großen Technologiepfaden – und da muss man investieren, um eine zentrale Position für die Wertschöpfungsketten der Zukunft zu besetzen.“
In Hamburg aber vermisst er Ambitionen und das Selbstvertrauen, Außergewöhnliches zu schaffen. „Man benötigt in diesen Zeiten Mut, und Mut ist eine Mischung aus Ambition und Selbstvertrauen. Wenn wir uns die Geschichte großer Städte anschauen, waren die immer wieder in der Lage, sich neu zu erfinden, und hielten nicht am Alten fest.“ Manche Metropolen hingegen hätten den Moment verpasst, rechtzeitig die Weichen für die Zukunft zu stellen, und fielen folgerichtig zurück. „Nur Städte im Aufbruch ziehen die besonderen Menschen, Talente und Ideen an. Wissen zieht Wissen an, und Aktivität löst Aktivität aus.“
Was Toronto besser macht
Sein Lieblingsbeispiel ist eine kanadische Millionenstadt. „Toronto hat eine unglaublich spannende Vielfalt, dort leben hoch qualifizierte Menschen aus allen Teilen der Erde, die Stadt lebt, was der Soziologe Richard Florida schon vor vielen Jahren als Ziel formuliert hat: die Verbindung aus Toleranz, Technologie und Talent.“
Hamburg hingegen bezeichne sich gerne als „Tor zur Welt“. Aber nicht nur die Mutter von Karl Lagerfeld pflegte, wie der große Modezar spottete, dann zu sagen, dass Hamburg eben nur das Tor, aber nicht die Welt sei. „Die Stadt ist weltoffen, aber manchmal auch etwas provinziell. Außerhalb Deutschlands ist Hamburg weniger bekannt, als wir unterstellen. Berlin, München, selbst Frankfurt sind viel bekannter.“ Daran müsse die Hansestadt arbeiten, etwa indem die Universitäten besser werden.
Mit der Absage der Sommerspiele habe die Stadt eine einmalige Chance vertan
Eine große Chance habe Hamburg leider vertan, meint Vöpel: „Im nächsten Jahr finden die Olympischen Sommerspiele in Paris statt. Diese Spiele hätten Hamburg gut getan und den Aufbruch dieser Stadt mobilisiert.“
Doch im November 2015 hatte eine Mehrheit der Hamburger von 51,6 Prozent „Nein“ zu Olympia gesagt. „Ich nehme manchmal die Haltung wahr, dass die Menschen eigentlich nicht gestört werden wollen. Wenn man etwa durch Eppendorf geht, fühlt man sich in einer Oase, die unabhängig von der Welt lebt. Ich halte das für gefährlich, weil eine Stadt erst richtig Spaß macht, wenn sie Ambitionen entwickelt.“
Vöpel warnt: Hamburg läuft Gefahr, den Wohlstand zu verspielen
Aber was spricht dagegen, das Leben zu genießen und in Ruhe gelassen zu werden, Hamburg als großes Dorf und nicht als Weltstadt zu begreifen? Vöpel warnt: „Diese Genügsamkeit birgt die Gefahr, dass wir unseren Wohlstand verspielen. Er ist brüchig geworden, das gilt für Hamburg wie für die Bundesrepublik.“ Der Wohlstand der Zukunft beruhe auf neuen Kompetenzen, auf agilen Institutionen.
„Es wäre eine gefährliche Momentaufnahme, wenn wir uns darauf ausruhen, dass es uns heute doch gut geht.“ Klar ist: Ohne eine starke Wirtschaft wird die Stadt ihre Lebensqualität, ihre soziale und kulturelle Infrastruktur nicht erhalten können.
Zuletzt waren andere Regionen deutlich dynamischer als Hamburg
In dieser Geisteshaltung sieht der Hamburger einen der Gründe, warum die Hansestadt im Metropolenvergleich bereits zurückfällt. „Schon seit vielen Jahren entwickelt sich die Region schwächer als andere. Und es fehlt die Dynamik.“
Vöpel hält drei Dinge für entscheidend, um den Wohlstand der Stadt zu sichern: „Die Industrie von morgen wird nachhaltig und in eine Kreislaufwirtschaft eingebunden sein. Dazu haben sich die Staaten beim Pariser Klimagipfel verpflichtet.“ Als zweiten Punkt nennt er Innovationen. „Wir erleben den Beginn einer neuen technologischen Epoche, die sich mit großer Geschwindigkeit entwickelt, etwa bei der künstlichen Intelligenz oder Quantencomputern. Da muss man dabei sein.“
„Die Politik muss Raum schaffen für den Fortschritt“
Entscheidend sei eine enge Vernetzung mit den Hochschulen. „Neue Geschäftsmodelle entstehen im Umfeld von Wissenschaft und Forschung. Beim MIT in den USA gibt es pro Jahr mehr als 300 Ausgründungen aus der Universität. Da liegen die Chancen.“ Dabei sieht Vöpel durchaus die Gefahren einer Strategie, die sich zu sehr auf konkrete Techniken konzentriert. „Es geht um Rahmenbedingungen: Die Politik soll nicht den konkreten Weg vorgeben, sondern Raum schaffen für den Fortschritt.“
Ausdrücklich lobt Vöpel, dass die Stadt mit der Science City in Bahrenfeld in diese Richtung strebt. „Ich mag die Idee, am Volkspark einen Stadtteil zu errichten, der mit Wissenschaft zu tun hat und ein Ökosystem der Forschung wird. Ich fürchte nur, es ist ein Tick zu spät, weil sich das Zeitfenster schließt.“ Die Stadt des Wissens wird nicht vor 2040 fertig. „Die Geschichte zeigt uns, dass es irgendwann zu spät ist, auf den fahrenden Zug aufzuspringen.“
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Vöpel zitiert Helmut Schmidt, der einst von der „schlafenden Schönen“ sprach. „Hamburg schläft vielleicht nicht mehr so fest, aber die Stadt ist auch nicht mehr so schön. Wir müssen etwas mutiger und ambitionierter mit der Stadt umgehen. Man spürt, dass Hamburg ein bisschen darunter leidet, diesen Strukturwandel möglicherweise zu verpassen.“
Der Experte glaubt, dass die Stadt noch etwas zu klein ist, um groß zu sein, und kann sich wie der Schweizer Stadtexperte Thomas Sevcik noch deutlich mehr Einwohner in Hamburg vorstellen. „Ich war beim Fest zum Tag der Deutschen Einheit in der Innenstadt und habe diese Lebendigkeit genossen. Die Stadt war so voll wie seit Jahren nicht mehr. Auf den Straßen war etwas los, und das ist etwas, was Menschen lieben. In der Lebendigkeit stecken Aufbruch und Optimismus. Vielleicht verträgt diese Stadt noch ein bisschen mehr Verdichtung.“