Hamburg. Ob Doctorderma oder digitale Angebote der Techniker – die Online-Sprechstunde ist beliebt. Was das kostet und wo es noch nicht läuft.

Die Patientin kam mit Rückenschmerzen und ging mit einer überraschenden Empfehlung des bekannten Hamburger Orthopäden: „Gehen Sie doch unbedingt mal zum Hautarzt.“ Es gibt diese rätselhaften Fälle, rätselhafte Patienten. Die Frau zeigte dem Fachmann für Muskeln, Wirbel und Knochen ihren entblößten Rücken. Er untersuchte ihre Wirbelsäule, soweit man das mit Händen und Augen ärztlich tun kann. In seinen Blick fiel eine dunkle Stelle, die ihm ungewöhnlich vorkam. Es war ein „Beifang“, ein Verdacht auf eine Erkrankung, die ohne die Rückenschmerzen und die Behandlung womöglich nicht entdeckt worden wäre.

Die Patientin ging zum Hautarzt, ließ ihren Rücken begutachten – und musste erfahren, dass nur eine schnelle Therapie den wachsenden Hautkrebs eindämmen könne. Es war ihre Rettung, dass der Orthopäde einen messerscharfen Blick auch für Dinge hatte, die nicht aus seinem Fachgebiet sind.

Haut-Check im Internet: So geht’s

Nur in seltenen Fällen sind es so schwerwiegende Erkrankungen, die bei einem kleinen Haut-Check auffallen. Doch weil wir unsicher sind, was dieses dauernde Jucken am Arm bedeutet, diese Rötung und Schwellung am Bein, wollen wir das schon aus kosmetischen Gründen schnell wissen und abklären lassen. Verständlicherweise dauert es, bis Termine bei Dermatologen frei sind. Denn sie behandeln ja aufwendig die erkrankten Patientinnen wie unsere Frau, die vom Orthopäden kam.

Dadurch haben sich mittlerweile Online-Checks,Apps und digitale Gesundheitsanwendungen durchgesetzt, die von Tausenden Patientinnen und Patienten genutzt werden. Ihnen allen ist gemein, dass man Bilder von vermeintlich auffälligen Körperstellen hochlädt und sie von Hautärzten begutachten lässt. Das spart Zeit und Wege – für beide Seiten.

Eppendorfer Start-up Doctorderma: 180 Diagnosen bislang

In Eppendorf hat sich ein Start-up etabliert, das vom Dermatologen Christian Drerup Ende 2022 mitgegründet wurde, 14 Mitarbeiter hat und nach eigenen Angaben bereits mehrere Tausend Patienten versorgte. 180 verschiedene Diagnosen seien bei Doctorderma bereits gestellt worden. Drerup sagte: „Die Nachfrage nach telemedizinischen Angeboten nimmt immer weiter zu, und in kaum einem anderen Bereich lassen sie sich effizienter umsetzen als in der Dermatologie.“ Die Zugriffszahlen auf die Webseite stiegen, das „Feedback bei Social Media“ sei positiv.

25 Euro kostet der Service, der so läuft: Drei Bilder hochladen, Fragebogen ausfüllen. Ein ärztlicher Befund und gegebenenfalls ein weiterer Behandlungsvorschlag und ein Rezept kommen nach Unternehmensangaben nach durchschnittlich vier und höchstens 24 Stunden. Daten würden verschlüsselt übertragen, ein Kontakt zum Arzt für Nachfragen sei möglich. Die privaten Krankenversicherungen übernähmen die Kosten, eine Kooperation mit gesetzlichen Kassen sei geplant.

Techniker Krankenkasse mit kostenlosem Haut-Check: Ergebnis nach 48 Stunden

Doch die sind wie der Marktführer Techniker bereits aktiv. TK-Hamburg-Chefin Maren Puttfarcken sagte dem Abendblatt: „Der Online-Haut-Check wird sehr gut angenommen: Im Schnitt werden monatlich bundesweit rund 1700 Anfragen gestellt – in Hamburg rund 100 Anfragen pro Monat. In rund 85 Prozent der Fälle spart dieser Online-Service den Versicherten den Weg zum Arzt beziehungsweise zur Ärztin.“ Zwei von drei Anfragen kämen von Menschen zwischen 25 und 44 Jahren. Bei Doctorderma ist das Gros zwischen 20 und 50. Bei der TK tauchen am häufigsten Hautprobleme auf, die zur „sonstigen Dermatitis“ zählen, entzündliche Reaktionen, dazu Rötungen, Akne und Ekzeme.

Das Angebot von Doctorderma nutzen auch Menschen, die für Kinder oder ihre Eltern im Pflegeheim deren Hautauffälligkeiten abklären wollen. Und da der Service online weltweit verfügbar ist, kommen auch Insektenstiche aus dem Urlaub, Ausschläge und anderes auf den Tisch der Hautärzte. 48 Stunden dauert die Auswertung der Krankenkasse, die den dort Versicherten zur Verfügung steht. Die TK weist darauf hin, dass Muttermale nicht untersucht werden können – zu groß ist das Risiko einer falschen Online-Einschätzung.

Warum Muttermale beim Online-Haut-Check nicht untersucht werden

Trotz der Entwicklungen und jahrelangen Debatten kommen die Digitalen Gesundheitsanwendungen (Diga) in Deutschland nicht richtig vom Fleck. Dabei gibt es regelrechte Leuchtturmprojekte wie die COPD-App (für chronisch Lungenerkrankte), die von der Hamburger Pharma-Firma Chiesi unterstützt wird. Dazu kommt die erste zugelassene App auf Rezept überhaupt, Tinnitracks für Tinnitus-Geplagte.

Zuletzt hat die Firma dpv-analytics eine Anwendung entwickelt, die ein EKG von der Smartwatch direkt zum Kardiologen bringt. Seine Entwickler hatten bereits ein Mini-Langzeit-EKG zum Aufkleben auf die Brust auf den Markt gebracht. Der Vorstandschef der Telemedizin-Plattform Zava, David Meinertz, prognostizierte im Abendblatt bereits: Die Zahl der Arztbesuche in Deutschland werde sich über kurz oder lang halbieren.

Digitalisierung in der Gesundheit lahmt

Nicht alle Krankenkassen forcieren die Online-Helferlein wie die TK. Dort liegen 60 Prozent aller elektronischen Patientenakten (ePA), die es derzeit überhaupt gibt, also 390.000. Das Digitalisierungs-tempo ist den Hamburger Kassenverantwortlichen deutlich zu niedrig. Gesundheitsminister Karl Lauterbach will erreichen, dass 80 Prozent aller Versicherten bis 2025 eine ePA haben. Doch nach einer YouGov-Umfrage vom März weiß jeder dritte Deutsche nichts von dieser digitalen Möglichkeit seiner Krankenversicherung.

Aus der Ärzteschaft gibt es auch kritische Stimmen gegenüber der elektronischen Patientenakte, wegen Datenschutzbedenken und wegen der Frage: Wer befüllt sie – und ist sie aussagekräftig, wenn der Patient Daten löschen kann?

Maren Puttfarcken leitet die Hamburger Landesvertretung der Techniker Krankenkasse.
Maren Puttfarcken leitet die Hamburger Landesvertretung der Techniker Krankenkasse. © Daniel Reinhardt

Bei der TK fragen die Versicherten mehrheitlich (41 Prozent) drei Apps als Unterstützung nach: digitale Helfer für Rücken-, Knie- oder Hüftschmerzen, für Adipositas und Tinnitus. Der Großteil der Anfragen für die Apps kommt auf Rezept von Ärzten. Bei den digitalen Angeboten sieht die Kasse „Optimierungsbedarf“. Denn bisweilen mussten schon Kosten für Apps erstattet werden, obwohl deren Nutzen noch gar nicht belegt war.

Diese geprüften Apps unterstützen bei der Gesundheit

Bei Tausenden Apps für Gesundheit kann man den Überblick verlieren. Die TK bietet einen App-Check an, das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte listet die empfohlenen Apps und ihre Eigenschaften auf.

Künstliche Intelligenz wird Entwickler in der Auswertung von Gesundheitsdaten immer häufiger unter die Arme greifen. Auch die Haut-Checker von Doctorderma werden sie benutzen. Doch Unternehmensmitgründer Marc Hoffmann verspricht: „In Zukunft sollen diese Daten unsere Ärztinnen und Ärzte bei der Arbeit unterstützen. Aber auch wirklich nur unterstützen, mehr nicht, das ist uns wichtig. Die Diagnose wird immer von Hautärzten kommen.“