Hamburg. Robert Möller, Vorstandschef von Deutschlands größtem Krankenhausbetreiber, über Patienten, Finanzen und neue Ideen für Hamburg.

Die Notaufnahmen überfüllt, Pflegekräfte fehlen, die Ärzteschaft überlastet, die Zeit für Patienten wird immer kürzer – die Krankenhäuser in Hamburg und ganz Deutschland arbeiten am Anschlag. Nach Corona ist so manches Haus von der Insolvenz bedroht, und das hat nicht nur mit der Pandemie und ausgefallenen Operationen zu tun, sondern mit dem, was alle quält: die Folgen des russischen Angriffs auf die Ukraine, die Energiekrise, die Inflation.

Zu guter Letzt zauberte Gesundheits­minister Karl Lauterbach (SPD) eine Krankenhausreform aus der Schatulle, die noch so schwammig ist, dass Klinikmanager und Ärzte nach Berlin schauen, wie das Kaninchen auf die Schlange. Das Zeitenwende-Jammern schwillt an.

Helios-Chef Robert Möller: Krankenhaus-Reform hat mit Qualität zu tun

Einer aber sieht das anders. Das ist Robert Möller (56), der als CEO Deutschlands größten Krankenhauskonzern Helios leitet. Er sieht große Chancen für eine bessere Behandlung von Patienten am Horizont. Was kaum jemand weiß in „Asklepios-Land“, wie die Hansestadt wegen der sieben Häuser und der Zentrale des Helios-Konkurrenten gerne genannt wird: Möller ist Hamburger. Und Arzt. Und arbeitete zudem mal bei Asklepios und im Krankenhaus Groß-Sand auf der Elbinsel in Wilhelmsburg.

Man reibt sich leicht verwundert die Augen, wenn er Sätze sagt wie: „Eine Neuordnung der Krankenhauslandschaft hat mit Qualität zu tun. Aus medizinischer Sicht ergibt es vielerorts keinen Sinn, wie es im Moment läuft. Das Kernmotiv der geplanten Krankenhausreform ist richtig. Eine hohe Behandlungsqualität können wir nur erreichen, wenn wir Routinen und Kompetenzen bündeln.“

Werden Krankenhäuser geschlossen?

Das stimmt irgendwie alles. Man sagt das so als Platzhirsch und scheint die kleinen Häuser auf dem Land zu ignorieren, die möglicherweise in der bisherigen Form zusperren müssen. Scheint. Denn Möller kalkuliert auch mit Auswirkungen auf Helios: „Wir überprüfen regelmäßig unser Portfolio und stellen wie im Beispiel von Volkach auch mal fest, dass sogar Gründungshäuser von Helios nicht mehr zu unserem medizinischen Netzwerk passten. Wir können Krankenhäuser in zehn Jahren nicht mehr wie heute betreiben.“ Nein, es gehe nicht um Größe, sondern um die Frage: „Wie sind die Häuser in ein regionales medizinisches Gesamtkonzept eingebunden?“

Beispiel Hamburg: Hier würden Bürgerinnen und Bürger von einer Krankenhausreform nichts merken. „Sie werden jederzeit medizinisch wunderbar versorgt sein. Es fällt nicht ins Gewicht, ob sie mit der U 3 drei Stationen oder mit der U 1 fünf Stationen zur Behandlung fahren. Auch bei der Geburtshilfe muss sich keiner Sorgen machen, die Versorgung wird erstklassig bleiben.“

Helios und Asklepios als größte Klinikbetreiber

Zwei Kliniken hat Helios in Hamburg, Mariahilf und die Endo-Klinik. Von den dominierenden Betreibern wie Asklepios, Albertinen und der Krankenhausgesellschaft war große Skepsis gegenüber den Lauterbach-Plänen zu hören. Möller sagt: „Bundesweit machen wir die Clusterbildung bei Helios schon länger. Einen Leistenbruch muss man nicht in der Uniklinik machen, andersherum sollte ein Aorten­ersatz in einem Schwerpunktzentrum durchgeführt werden, wo das mehrfach im Monat gemacht wird.“ Ob und wie genau künftig die kleinen Häuser (Level I) rentabel bleiben können, das wisse doch niemand.

Andererseits hat Möller auch gut reden. 75.000 Menschen arbeiten bei Helios, 68.000 bei Asklepios (davon etwa 15.900 in Hamburg). Neben den beiden Kliniken besitzt Helios in Hamburg mit den Ärztehäusern arGon mehrere große medizinische Versorgungszentren (MVZ) in der Innenstadt, in Winterhude oder Harburg sowie ein Reha-Zentrum. Vom Fitnessraum in der Endo-Klinik streift der weite Blick über Hafenkräne und Elbe.

Krankenhäuser kaufen Arztsitze – auch in Hamburg

Stationär und ambulant – das denken Möller und seine Leute zusammen. „Im ambulanten Bereich sind wir mit über 600 KV-Sitzen in Deutschland der größte Anbieter. Das ist aber anders als früher kein ,Ansaugstutzen‘ für die Krankenhäuser.“ Sprich: Wen eine Praxis ins Krankenhaus schickt, der geht automatisch von Helios zu Helios. Möller denkt umgekehrt und setzt auf Fortschritt: „Wir können in Zukunft in der medizinischen Behandlung viel mehr ambulant machen. Dann brauchen wir eine Versorgungslandschaft um unsere Häuser herum, die das leisten kann. Das kommt den Patienten entgegen. Es wird deutlich mehr Operationen geben nach dem Prinzip ,morgens rein, abends raus‘.“

Hamburgs selbstbewusste Praxisärzte beäugen sehr kritisch, wenn sich ein Konzern in ihrem Vorgarten niederlässt. Möller beteuert, seinen Kollegen nichts wegnehmen zu wollen. „Wir werden uns nicht von vornherein verschließen, wenn sich Akquisitionsmöglichkeiten bieten. Sie müssen in erster Linie jedoch sinnvoll vor allem zum medizinischen Konzept passen.“ Nein, ein „riesiges Netz“ von Praxen wolle man nicht aufbauen.

Wie viele Pflegekräfte fehlen wirklich?

Die MVZ-Ketten, die sich auch in Hamburg breitmachen und von Finanzinvestoren aufgehübscht wurden, nimmt er wahr. Offensichtlich kein Modell für Helios. Der Konzern gehört zum DAX-Riesen Fresenius aus Bad Homburg. Am Taunus residiert auch Asklepios-Gründer Bernard große Broermann. Er zieht nach wie vor unternehmerische Fäden. Schon kurios, dass die Big Player die deutsche Krankenhauslandschaft von Hessen und Hamburg aus regieren.

Anders als „King Karl“ Lauterbach in Berlin und viele Experten sieht Möller auch keinen eklatanten Mangel an Profis am Bett: „Ich bin nicht der Auffassung, dass wir zu wenige Pflegekräfte haben. Im Vergleich zur Gesamtbevölkerung haben wir ausreichend Pflegekräfte, auch im OECD-Vergleich liegen wir im Mittelfeld.“ Ja, auch Möller ist der demografische Wandel bewusst, der vorne weniger Menschen in den Beruf bringt, aber hinten, bei den Älteren, den Bedarf an Betreuern steigen lässt. Doch Deutschland hat ein Gesetz über „Pflegepersonaluntergrenzen“. Ein Haus, das auf einer bestimmten Station Behandlungen anbietet, muss eine Mindestzahl an Pflegekräften dafür bereithalten.

Was Klimawandel und Energiekrise für Krankenhäuser bedeuten

Möller meint: Diese Grenzen seien „ohne Evidenz“ eingeführt worden und „politisch gewollt“. Er glaubt: „Sie haben aber zu keiner Verbesserung für die Pflegekräfte geführt, sondern dazu, dass Leistungen häufig nicht mehr erbracht werden können, weil eine Station die vorgeschriebene Zahl an Pflegekräften auf dem Papier nicht hat. Wenn dann, auch nur vorübergehend, eine Station Betten nicht in voller Zahl betreiben kann, entsteht verständlicherweise der Eindruck, es seien nicht genug Pflegekräfte da, obwohl die Station eigentlich sehr gut zurechtkäme.“

Auf diese Kuriosität und eine eigentlich ausreichende, aber falsch verteilte Zahl an Pflegekräften hat auch ein prominenter Krankenkassenchef hingewiesen. Helios hat wie alle Betreiber mit großer Anstrengung in den vergangenen vier Jahren 5000 Pflegekräfte zusätzlich angeworben. Das Unternehmen betont, nur dort aus dem Ausland Menschen anzulocken, wo die Weltgesundheitsorganisation WHO kein Problem sieht, dass die Versorgung durch einen Abfluss von Fachkräften leidet.

Wände einreißen, Personal, Finanzen: Möller bohrt die dicken Bretter. Eines seiner größten Projekte: Das Licht ausknipsen. „In unserem Unternehmen hat in diesem Jahr jeder Krankenhausgeschäftsführer die Aufgabe, 20 Prozent an Energie gegenüber 2021 einzusparen. Wir haben Helios-weit 100 Maßnahmen zusammengestellt, die jeder für sich durcharbeitet und schaut, was geht und was nicht.“

Photovoltaik auf jedes Klinikdach

Die Energiepreise sind ein derart großes Thema, dass sich sogar die verständlicherweise knauserigen Krankenkassen zuletzt mit den Praxisärzten schnell auf eine Erstattung von Mehrkosten vor allem für Radiologien und Dialysen geeinigt haben. Helios hat ein „Nachhaltigkeitsboard“ ins Leben gerufen. Im Ergebnis sind die Einrichtungen beim Energieverbrauch jetzt 15 Prozent unter dem Vergleichsjahr.

Vorstandschef Möller sagt: „Die Gesundheitsbranche kann einen Riesenbeitrag leisten zur Verringerung der Treibhausgase. Als Branchengrößter müssen wir mit großen Schritten vorangehen.“ Das heißt für ihn: Energie selbst erzeugen. Photovoltaik soll auf Krankenhausdächer, Wärmepumpen und Kraft-Wärme-Kopplung als Alternativen herhalten. „Bis 2030 wollen wir unseren CO2-Ausstoß halbieren und bis 2040 neutral sein. Im Moment sind wir auf diesem Weg sogar eher schneller unterwegs als geplant.“