Hamburg. Patienten nutzen wegen Corona verstärkt Online-Sprechstunden. Zava-Chef David Meinertz über Apps, Video-Ärzte und neue Trends.

Die Corona-Krise hat für Ärzte und Patienten eine unerwartet positive Seite: Wie die in London und Hamburg beheimatete Internet-Arztpraxis-Plattform Zava dem Abendblatt bestätigte, sind die Zahlen für Telefon- und Online-Sprechstunden um 60 Prozent gewachsen. Zava-Vorstandschef David Meinertz sagte dem Abendblatt, das Coronavirus und seine Folgen hätten dem Arztbesuch im Internet in acht Wochen eine Entwicklung beschert wie in den vergangenen zehn Jahren nicht.

Der Trend in der Telemedizin gehe weg vom sogenannten Lifestyle-Segment der Gesundheit hin zu Patienten mit chronischen Erkrankungen: Bluthochdruck, hohes Cholesterin, Asthma – und natürlich Corona. Und Patienten wie Ärzte wollten von den Vorteilen der neuen Apps und Video-Sprechstunden nicht wieder zurück ins Papier-Zeitalter der bisherigen Praxis.

Zava sucht auch in Hamburg weitere Ärzte

„Die Zahl der Arztbesuche wird sich in Deutschland von zehn pro Jahr auf vier bis fünf herunterregulieren. Auch die Ärzte müssen nicht unbedingt jeden Patienten unmittelbar sehen“, sagte Meinertz. Das Portal Zava, über das europaweit jedes Jahr mehr als 200 Mitarbeiter und Ärzte Hunderttausende Patientenkontakte haben (eine Million in 2019), wächst weiter. Auch in Hamburg werden weitere Ärzte für ein neues Angebot im Netz gesucht.

Die App ist für Apple und Android (ab Juni 2020) verfügbar. Zava ist bei Online-Sprechstunden Europas größter Anbieter von Telemedizin.
Die App ist für Apple und Android (ab Juni 2020) verfügbar. Zava ist bei Online-Sprechstunden Europas größter Anbieter von Telemedizin. © Zava | Zava

Mit einer App, die seit Kurzem für Smartphones und Tablets verfügbar ist, können sich Patienten ihre Ärzte und die Fachrichtungen, die sie benötigen, direkt aussuchen und einen Termin vereinbaren. Dieses direkte Arzt-Patienten-Gespräch per datengeschützter App ist neu bei Zava. Für das Betriebssystem iOS (Apple) ist die App schon da, für Android kommt sie im Juni.

Zava-CEO David Meinertz über die neue App

Rezepte und Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen können laut Vorstandschef Meinertz schnell und kontaktlos ausgestellt werden. Der 46-Jährige bietet den Patienten Sprechstunden auf Deutsch, Englisch und Französisch von 6 Uhr morgens bis 22 Uhr an, am Wochenende von 8 bis 20 Uhr. Die Behandlung bei Zava (früher: DrEd) kostet zwischen 9 und 49 Euro, je nach Aufwand. Private Krankenversicherungen übernehmen diese Kosten meistens, gesetzliche in Corona-Zeiten oft auch. Zava ist laut Meinertz in Gesprächen, dass das auch nach Corona so bleibt.

Hamburgs niedergelassene Ärzte hatten ursprünglich geplant, in diesem oder im nächsten Jahr den Patienten zumindest einen umfassenden Online-Terminservice anzubieten. Krankenkassen wie die Techniker (TK) und Zava-Konkurrenten wie Teleclinic oder Kry bieten ebenfalls Online-Sprechstunden an. Zava arbeitet mit dem apothekereigenen Unternehmen Noventi bei Rezepten zusammen, das jetzt auch mit der TK kooperiert.

Hamburger Ärztechef Emami zu Chancen und Risiken der Telemedizin

Der Vorteil für Ärzte bei Zava ist, dass sie sich ihre Arbeitszeiten selbst aussuchen können. Dr. Emily Wimmer, die seit 2015 im Ärzteteam von Zava arbeitet und auch am UKE in der Versorgungsforschung tätig ist, sagte: „Eigene freie Kapazitäten können für telemedizinische Beratungen genutzt werden. Diese Flexibilität setzt ungenutzte Ressourcen im System frei und lässt sich oft viel einfacher mit der Familie vereinbaren.“

Für den niedergelassenen Hamburger Mediziner Dr. Jürgen Kolbeck ist der persönliche Kontakt wichtig, aber: „Ich betreue jeden Tag persönlich viele Patienten in Altenheimen. Ich muss mein Ansteckungsrisiko so gering wie möglich halten, daher führe ich meine Praxis während der Corona-Krise vorzugsweise telemedizinisch.“

Dr. med. Pedram Emami, Präsident der Ärztekammer Hamburg.
Dr. med. Pedram Emami, Präsident der Ärztekammer Hamburg. © MARCELO HERNANDEZ / FUNKE Foto Services | Marcelo Hernandez

Der Präsident der Hamburger Ärztekammer, Dr. Pedram Emami, sagte dem Abendblatt: „Gerade in Zeiten der Covid-19-Pandemie wurde klar, wie wichtig der Einsatz von Video-Sprechstunden in bestimmten Fällen sein kann, um hygienischen Anforderungen gerecht zu werden. Allein dieser Aspekt zeigt uns, wie wichtig es ist, solche Technologien zukünftig häufiger anzuwenden, wo sie uns Nutzen bringen.“

Covid-Antikörpertest brachte Zava an die Kapazitätsgrenzen

Emami mahnte aber an, kritisch auf die Qualität der Patientenversorgung und die ärztliche Sorgfalt zu schauen. Außerdem müsse man die Kosten genau ansehen, „damit Fortschritt nicht nur ein Privileg im privatärztlichen Bereich bleibt“. Video-Sprechstunden könnten eine Ergänzung sein. „Das bedeutet konkret, dass uns das am Ende mehr Ressourcen kosten wird und weniger Ersparnisse bringt, als manch einer heute glaubt.“

Über eine Online-Sprechstunde lässt sich bei Corona-Verdachtsfällen möglicherweise auch ohne einen Praxisbesuch abklären, ob es sich nicht doch um einen grippalen Infekt handelt. Als Zava in Großbritannien einen Covid-Antikörpertest online anbot, war durch die gewaltige Zahl der Zugriffe die Kapazitätsgrenze schnell erreicht. Meinertz: „Wir hatten in den ersten vier Stunden 10.000 Anfragen.“

Zava-CEO Meinertz sagt deshalb: „Das Coronavirus hat eigentlich nichts Positives. Aber die Vorteile digitaler Medizin werden vielen jetzt erst klar. Und Patienten werden in Zukunft vermutlich nicht mehr mit jedem Wehwehchen in die Praxis oder die Notaufnahme laufen.“

Einen erfahrenen Hamburger Herzarzt hat David Meinertz jetzt auch bewegen können, seine Dienste auf Zava anzubieten. Es ist sein Vater, der renommierte Eppendorfer Kardiologe Prof. Thomas Meinertz.