Hamburg. Sind verbindliche Überprüfungen der Fahrtüchtigkeit “Altersrassismus“? Und welche anderen Lösungen für das Problem gäbe es?
Wann ist ein älterer Mensch fahruntüchtig? Und wie geht eine Gesellschaft mit den Senioren um und der Frage, ob sie noch fit genug sind, ein Auto zu steuern? Das Thema, ob eine Einschränkung der Fahreignung aus medizinischen Gründen im Alter besteht, müsse sehr sensibel und auf den Einzelfall bezogen werden.
Das meint Dr. Birgit Wulff, Vizepräsidentin der Hamburger Ärztekammer. „Es wird oft sehr unter dem Aspekt diskutiert: ja oder nein. Es gibt aber auch etwas dazwischen, beispielsweise die Frage, ob gesundheitliche Einschränkungen ausgeglichen werden können, zum Beispiel mit Brille oder Hörgerät“, betont die Expertin.
Fahrverbot nach verbindlichen Tests für Senioren?
Zudem appelliert Wulff zur Vorsicht bei etwaigen Überlegungen, in Deutschland verbindliche Fahrtüchtigkeitsprüfungen ab einem bestimmten Alter, also etwa ab 75 Jahren, einzuführen. Zuvor könnten wissenschaftliche Auswertungen zur Verbesserung der Sicherheit im Straßenverkehr aus EU-Mitgliedstaaten herangezogen werden, in denen solche Prüfungen bereits stattfinden. „Ich halte die Frage der Bewertung der Einführung von verbindlichen Tests in erster Linie für eine politische Aufgabe. Ärztinnen und Ärzte stehen hier nicht an vorderster Front.“
Die Diskussion über verpflichtende Fahreignungstests hatte sich an einem erneuten Verkehrsunglück an der Waitzstraße in Groß Flottbek Ende vergangenen Jahres entzündet. Immer wieder hatte es Unfälle gegeben, bei denen überwiegend ältere Menschen mit ihren Autos beispielsweise in Schaufenster gekracht waren. Daraufhin hatte die Altonaer Bezirksamtsleiterin Stefanie von Berg (Grüne), wie berichtet, einen Check für ältere Autofahrerinnen und Autofahrer gefordert: „Wann kommt endlich die Fahrtüchtigkeitsprüfung für Senior/-innen?“
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Wie brisant das Thema etwaiger verbindlicher Checks für Senioren ist und wie kontrovers die Meinungen dazu sind, hatte sich an den Reaktionen unterschiedlicher Fachleute gezeigt. Unterstützung hatte die Bezirksamtsleiterin von Rechtsmediziner Prof. Klaus Püschel erhalten. „Ich bin unbedingt für verbindliche Richtlinien, nach denen ab einem bestimmten Alter, zum Beispiel ab 70 oder 75 Jahren, die Verkehrseignung medizinisch und psychologisch überprüft wird“, fordert der Experte.
„Altersrassismus“: Grüne und Ex-Unipräsident gegen Tests
Ganz anders die Meinung von Christa Möller-Metzger, der seniorenpolitischen Sprecherin der Grünen. „Ich bin gegen verpflichtende Fahrtests für Senioren“, betonte die Hamburger Politikerin. Wenn man zu dem Schluss komme, dass Autofahren zu viele Gefahren berge, müsse es vielmehr Tests für sämtliche Altersstufen geben - und das beispielsweise alle fünf Jahre, so Möller-Metzger. „Wir dürfen Altersdiskriminierung nicht zulassen!“ Auch der ehemalige Unipräsident Dieter Lenzen hatte sich im Abendblatt ausdrücklich gegen mögliche Altersbeschränkungen für Autofahrer ausgesprochen und in dem Zusammenhang von „Altersrassismus“ gesprochen.
Es sei „keine Frage, dass im Alter körperliche Funktionen nachlassen können“, sagt die Vizepräsidentin der Ärztekammer, Birgit Wulff. Dies betreffe beispielsweise die Sehkraft oder die Fähigkeit, komplexe Verkehrssituationen zu erfassen. Dies sei allerdings bei Seniorinnen und Senioren von Person zu Person sehr unterschiedlich. Wulff plädiert dafür, bei gesundheitlichen Einschränkungen nicht sofort generelle Fahrverbote auszusprechen. Es gebe „vielfältige Möglichkeiten zu regeln, ob auch alte Menschen weiterhin Auto fahren können“. So könne in Einzelfällen etwa die Verpflichtung, eine Brille beziehungsweise ein Hörgerät zu tragen, dabei helfen, dass die betroffene Person weiter ans Steuer dürfe. „Oder man fährt nicht mehr nachts.“ Im Übrigen spiele „Eigenverantwortung immer noch eine große Rolle“.
Verdacht Fahruntüchtigkeit: Ärzte in Hamburg beraten ältere Menschen
Zugleich legt Wulff dar, dass Ärztinnen und Ärzte ältere Menschen bei Gesundheitsproblemen regelhaft im Hinblick auf die Fahreignung beraten. „Es gehört zu den Berufspflichten des behandelnden Arztes und der Ärztin, beim Verdacht einer möglichen Fahruntüchtigkeit, ob dauerhaft oder vorübergehend, den Patienten aufzuklären“, betont die Expertin. „Wir alle kennen ja die Hinweise dazu nach einer Untersuchung mit Pupillenerweiterung in der Augenarztpraxis.“
Mediziner würden ihre Patienten, bei denen sie erhebliche gesundheitliche Probleme wie etwa eine beginnende Einschränkung der Hirnfunktion feststellen, „grundsätzlich aufklären und darauf hinweisen, wenn man andere gefährdet. Wenn so ein Gespräch geführt wird, ist es gut, dass man dem Patienten das wirklich nahebringt und sicherstellt, dass er realisiert hat, was das bedeutet“.
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Wulff weist darauf hin, dass vonseiten der Ärztekammer regelmäßig und engmaschig Fortbildungen für Ärztinnen und Ärzte zum Erwerb von verkehrsmedizinischer Kompetenz angeboten werden. Sichergestellt werden müsse aber stets, dass das „Vertrauen des Patienten in seinen Arzt sowie die Persönlichkeitsrechte des jeweiligen Menschen gewahrt werden“, erklärt Wulff. „Die ärztliche Schweigepflicht ist ein hohes Gut.“
Wenn die Patientin oder der Patient „Angst haben muss, dass automatisch eine Meldung beispielsweise an die zuständige Fahrerlaubnisbehörde erfolgt, wäre das sicher nicht hilfreich“. Denn so könnten die Patienten sich veranlasst sehen, beim Arztbesuch bestimmte gesundheitliche Probleme erst gar nicht zu offenbaren.
Fahrverbot: Demenz beim Patienten sei für Ärzte schwierige Situation
„Wenn ein Patient uneinsichtig ist, dass es für ihn wichtig ist, sich in Zukunft nicht mehr hinters Steuer zu setzen, wird sich der Behandelnde mit der Aufklärung viel Mühe geben“, meint die Ärztekammer-Vizepräsidentin. Wulff legt dabei großen Wert auf die Vertraulichkeit des Verhältnisses zwischen Ärztinnen und Ärzten und ihren Patienten. „Ich glaube, dass Ärzte damit umgehen können, dass sie also den Patienten wirklich erreichen.“ Wenn eine Demenz beim Patienten festgestellt werde, sei das die „schwierigste Situation, aufzuklären“. Es gelte dann, den Betroffenen davon zu überzeugen, dass es keinen anderen Weg gibt, als in Zukunft nicht mehr Auto zu fahren.
„Wenn der Arzt aber mehrfach und eindringlich darauf hingewiesen hat, dass nun auf die Fahrerlaubnis verzichtet werden muss und wenn der Patient erkennbar keine Einsicht zeigt, kann der Arzt aus Gewissensgründen Kontakt zur Behörde aufnehmen. Beispielsweise, wenn Patienten in dem Wissen, dass sie andere Menschen durch ihre gesundheitlichen Einschränkungen beziehungsweise Medikamenteneinflüsse gefährden, sich weiterhin ans Steuer setzen und es vielleicht sogar schon zu Beinahe-Unfällen gekommen ist. Das ist aber immer nur unter Beachtung der rechtlichen Hürden und nach gründlicher Abwägung der Verhältnismäßigkeit möglich“, so Wulff.
Darüber hinaus seien Unfälle immer ein Anlass für die Polizei, sich ein Bild von der Fahrtüchtigkeit des betreffenden Autofahrers zu machen. Die Beamten, die solche Unfälle aufnehmen, seien ausgebildet, das einzuschätzen. „Es geht dann grob gesagt um die Frage, ob es ein einmaliges Versehen war, das einen Verkehrsunfall ausgelöst hat, oder ob er durch eine geistige oder körperliche Beeinträchtigung bedingt war.“ Im Zweifelsfall könne die Verkehrsbehörde eine Untersuchung anordnen. Dann werde ein verkehrsmedizinisches Gutachten erstellt.